Am Montag um Punkt 13 Uhr fiel im Bregenzer Sporthafen der Startschuss für ein außergewöhnliches Vorhaben: Der britische Extremschwimmer Neil Gilson nimmt sich vor, den Bodensee der Länge nach in Rekordzeit zu durchqueren – von Bregenz nach Bodman.
64 Kilometer Kälte, Wellengang und Gegenwind. Sein Ziel: die 20-Stunden-Marke zu knacken. Aber das Wasser ist nicht sein einziger Gegner.
Ein Mann, ein See, ein Ziel
Gilson startet im Rahmen seiner "Legend of the Lakes"-Challenge, bei der er die zehn größten Seen der Schweiz innerhalb von zwei Jahren durchschwimmen will. Der Bodensee ist der zweite Meilenstein – und möglicherweise der härteste: Die bisherige Bestmarke liegt bei 20 Stunden und 41 Minuten, aufgestellt 2013 von Christof Wandratsch. Der 40-Jährige will schneller sein.

Er hat gute Gründe, an sich zu glauben: Im Vorjahr durchschwamm er den Genfersee in Rekordzeit: 22 Stunden und neun Minuten für 72 Kilometer. Zum Abschluss seiner Challenge möchte er diesen Rekord erneut brechen.

Der Luganersee liegt bereits hinter dem Briten, ebenfalls in Rekordzeit durchquert. Und doch weiß er selbst: "Der Bodensee ist eine andere Nummer."
Wind gegen den Willen
Die Bedingungen sind tückisch. Laut Prognosen wird der Wind mit durchschnittlich 17 km/h wehen – das kann die Wasseroberfläche in eine stundenlange Tortur verwandeln.
Dennoch wagt Gilson den Versuch: Er schwimmt von Bregenz nach Bodman, weil dort am Montagnachmittag mit stärkeren Gegenströmungen zu rechnen ist – ein taktischer Schachzug. Sollte er es schaffen, wäre er der erste Mann überhaupt, der diese Route erfolgreich bewältigt.
"Ich will Familien helfen"
Was den 40-jährigen Engländer antreibt, geht weit über sportliche Ambitionen hinaus. Es ist die Geschichte seines Sohnes Jack, heute neun Jahre alt. Als Kleinkind veränderte sich dessen Verhalten plötzlich – Kommunikationsprobleme, Essstörungen, Zwangssymptome, körperlicher Verfall. Eine Diagnose war lange nicht in Sicht.
"Wir standen vor einem medizinischen Rätsel – und vor einer Mauer aus Unwissen", erinnert sich Gilson. Erst ein Fernsehbeitrag brachte die Wende. Seine Frau entdeckte dort Hinweise auf eine seltene Autoimmunerkrankung: PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorder Associated with Streptococcal infections). Eine Antibiotikatherapie brachte die Genesung. Heute ist Jack vollständig gesund.
Für seinen Vater ist klar: "Mein Ziel ist es, anderen Familien zu helfen, rechtzeitig Unterstützung zu bekommen. Ich schwimme nicht nur für die Rekorde – ich schwimme für meinen Sohn und für alle, die nicht wissen, was mit ihrem Kind passiert."

Schwimmen als Aufklärungskampagne
Gilson nutzt seine Rekordversuche, um Aufmerksamkeit für PANDAS zu schaffen und Spenden zu sammeln. Die Challenge „Legend of the Lakes“ ist sein persönlicher Weg, das Tabuthema sichtbar zu machen. Je mehr Menschen er erreicht, desto größer ist die Chance, dass andere Eltern nicht Jahre auf eine Diagnose warten müssen.
Er selbst stammt aus dem kleinen Küstenort Berrynarbor in Südwestengland – vielleicht ist es diese Nähe zum Wasser, die seine Entschlossenheit nährt. Doch der Bodensee stellt auch für einen erfahrenen Schwimmer wie ihn eine Grenzerfahrung dar.
Zwischen Rekord und Rückenwind
Sollte Neil Gilson Bodman wie geplant am Dienstag gegen 9 Uhr erreichen, hätte er nicht nur Geschichte geschrieben – sondern auch ein starkes Zeichen gesetzt. Für sportliche Ausdauer. Für väterliche Liebe. Und für eine Krankheit, die viele nicht kennen.
(VOL.AT)