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Tsipras opfert Varoufakis – Griechisches "Nein" löst Krisen-Diplomatie aus

Der Finanzminister, der sich dieses "Nein" gewünscht hatte, tritt nach dem Referendum zurück.
Der Finanzminister, der sich dieses "Nein" gewünscht hatte, tritt nach dem Referendum zurück. ©AP
Ein schallendes Nein aus Griechenland: Eine deutliche Mehrheit der Griechen lehnt die Sparplänen der Geldgeber ab. Die Griechen stärken Regierungschef Tsipras damit den Rücken. Am Tag danach verkündet der umstrittene Finanzminister Varoufakis, der sich dieses "Nein" gewünscht hatte, seinen Rücktritt - offenbar eine Geste der Besänftigung von Tsipras gegenüber den Europartnern. Die EU-Krisendiplomatie läuft unterdessen auf Hochtouren.

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Das klare “Nein” der Griechen zu den Sparvorgaben ihrer Geldgeber hat eine hektische Krisen-Diplomatie in Europa ausgelöst. Führende EU-Politiker forderten die Regierung in Athen auf, neue Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise vorzulegen.Schon an diesem Dienstag wollen sich die Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Länder zu einem Sondergipfel in Brüssel treffen.

“Ich werde die Abscheu der Gläubiger mit Stolz tragen”

Zuvor gab Yanis Varoufakis am Montag auf seinem Internetblog bekannt, dass er “heute” das Finanzministerium verlasse. Als Grund nannte er die ablehnende Haltung ihm gegenüber in der Eurogruppe. Nach dem klaren Sieg der Gegner der Gläubigervorschläge beim Referendum vom Sonntag kam der Schritt überraschend.

Einige Mitglieder der Eurogruppe hätten ihm klar gemacht, dass sie es vorziehen würden, wenn er nicht mehr an ihren Treffen teilnehmen werde, erklärte Varoufakis. Sein Abschied sei von Tsipras als “potenziell hilfreich” betrachtet worden. “Ich werde die Abscheu der Gläubiger mit Stolz tragen”, schrieb Varoufakis.

Varoufakis warf Gläubigern “Terrorismus” vor

Der linke Politiker hatte seit Monaten mit seinem konfrontativen Stil und seiner scharfen Rhetorik in der Eurogruppe für Verärgerung gesorgt. Erst am Samstag hatte Varoufakis in einem Interview den Geldgebern “Terrorismus” vorgeworfen.

Ein schallendes Nein aus Griechenland

Die Griechen hatten am Sonntag überraschend deutlich dagegen gestimmt, im Gegenzug für weitere Finanzhilfen die Spar- und Reformauflagen der internationalen Geldgeber anzunehmen: Laut offiziellem Endergebnis erreichte das Nein-Lager 61,13 Prozent. Dies ist ein innenpolitischer Triumph für die Regierung, die für ein klares Nein geworben hatte.

Ein Rücktritt, der besänftigen soll

Varoufakis’ Rückzug kann als Versuch Athens gelten, die verärgerten EU-Partner zu besänftigen. Tsipras hatte noch am Sonntagabend in einer TV-Ansprache angekündigt, Athen sei bereit zu “lebensfähigen Reformen, die von der Gesellschaft angenommen werden”. Der Ausgang des Referendums bedeute keinen Bruch mit Europa.

Griechisches “Nein” löst Krisen-Diplomatie in Europa aus

Die EU-Krisendiplomatie lief unterdessen auf Hochtouren. Die EU muss nun klären, wie sie mit dem überraschend klaren Votum umgeht. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel berät sich am Montagabend mit Frankreichs Staatschef François Hollande in Paris, für Dienstagabend wurde ein EU-Sondergipfel einberufen.

Merkel: Keine Basis für Verhandlungen

Über ihren Sprecher ließ Merkel ausrichten, dass es nach der klaren Absage der Griechen an ein Reform- und Sparprogramm vorerst keine Basis für Verhandlungen über ein neues Rettungspaket gäbe. “Angesichts der gestrigen Entscheidung der griechischen Bürger gibt es zurzeit nicht die Voraussetzungen, um in Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm einzutreten”, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei eine Absage an den Grundsatz für europäische Hilfen, nach der Solidarität und Eigenanstrengungen untrennbar verbunden seien. Die deutsche Regierung bekenne sich weiter zu diesem Grundsatz. Man bleibe aber natürlich gesprächsbereit: “Die Tür für Gespräche bleibt immer offen.”

Juncker: EU-Kommission respektiert Griechen-Votum

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker begann noch in der Nacht, die Staats- und Regierungschefs “der anderen 18 Eurozonen-Mitglieder sowie die Spitzen der EU-Institutionen” zu konsultieren, wie in Brüssel mitgeteilt wurde. Als erste Reaktion hieß es lediglich, die Kommission “respektiere” das Votum der Griechen.

Für Montag verabredete Juncker sich mit dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem zu einer Telefonkonferenz. Am Montag kommen außerdem die Finanz-Staatssekretäre der Euroländer zu einer Krisensitzung zusammen, wie aus EU-Quellen verlautete.

EZB-Rat entscheidet über ELA-Nothilfen

Auch der EZB-Rat tage am Montag, hatte der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und EZB-Rat Ewald Nowotny am Freitag angekündigt. Die EZB muss über weitere ELA-Notkredite an die griechischen Banken entscheiden, ohne die die Geldhäuser am Dienstag wohl kaum wieder öffnen können. Für Nowotny wäre es “extrem problematisch” und sogar “undenkbar, über einen langen Zeitraum hinweg die Banken zu schließen”, wie er am Montag zur APA sagte.

EU-Sondergipfel am Dienstagabend

EU-Ratspräsident Donald Tusk setzte für Dienstagabend 18.00 Uhr einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone an, um über die “Situation nach dem Referendum in Griechenland” zu beraten. Zur Vorbereitung des Gipfels treffen sich am Dienstag die Euro-Finanzminister, wie Dijsselbloems Sprecher mitteilte.

Dijsselbloem: “Sehr bedauerlich für die Zukunft Griechenlands”

Dijsselbloem erklärte, das Ergebnis des Referendums “sei sehr bedauerlich für die Zukunft Griechenlands”. Für eine Erholung der griechischen Wirtschaft seien “schwierige Maßnahmen und Reformen unvermeidbar”.

“Der Devisenmarkt gewöhnt sich an Griechenland-Schocks”

Der Euro machte erste Kursverluste rasch und fast vollständig wieder wett. Am Morgen kostete die Gemeinschaftswährung 1,1055 US-Dollar, nachdem sie im asiatischen Handel bis auf 1,0970 Dollar abgerutscht war. Die EZB hatte den Referenzkurs am Freitag auf 1,1096 Dollar festgesetzt. “Der Devisenmarkt gewöhnt sich an Griechenland-Schocks”, meinte der Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann. Auftrieb erhielt der Euro vom Rücktritt des griechischen Finanzministers Varoufakis. Der deutsche Aktienindex Dax verzeichnete am Morgen ein vergleichsweise moderates Minus von 1,24 Prozent.(APA/dpa/red)

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