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Tschechische Verhältnisse

Der heutige Gastkommentar von Johannes Huber.
Der heutige Gastkommentar von Johannes Huber. ©APA/Gindl
GASTKOMMENTAR VON JOHANNES HUBER. Österreich tut alles, damit die dritte Welle nicht so schlimm wird wie in seinem Nachbarland. Das Problem: Weil zu viele Bürger k.o. sind, mag auch die Politik nicht mehr dagegenhalten.

Spät, aber doch hat sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) gestern in aller Öffentlichkeit „alarmiert“ geäußert über die Entwicklung der dritten Infektionswelle nach denen vom Frühjahr und vom Herbst des vergangenen Jahres. Wenigstens einer, der nicht mehr so tut als wäre die Pandemie schon vorbei; als könne man morgen die Gastronomie öffnen und übermorgen zu einem Skiurlaub aufbrechen. 

Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt Gründe, zuversichtlich zu sein. Wirtschaftlich zum Beispiel. Aus immer mehr Gegenden der Welt, von den USA über Deutschland bis Österreich, kommen Meldungen, wonach es zumindest für die Industrie überraschend gut laufe. Hierzulande liegen die Exporte schon wieder über dem Vorkrisenniveau. Es ist im Übrigen nur eine Frage der Zeit, bis man wirklich wieder verreisen oder im Schanigarten sitzen kann. 

Auf der anderen Seite aber sollte man die Augen nicht verschließen: Seit Jahresbeginn breiten sich Mutationen aus, die ansteckender sind. Ebenso lange warnen Experten, dass eine dritte Welle daherkomme. Vor diesem Hintergrund war und ist es fahrlässig, bei Ausbrüchen in Tirol zunächst zu beschwichtigen, dann zu streiten und schließlich erst spät zu handeln. Dasselbe läuft nun gerade in Wiener Neustadt ab, wo man sich unschlüssig zeigt, wie man auf eine Inzidenz von mehr als 400 bestätigten Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche reagieren soll. Und so weiter und so fort. Auch bei Hermagor (Kärnten) ist unendlich viel Zeit verstrichen, bis man sich nun dazu entschlossen hat, den Bezirk ab kommendem Dienstag abzuriegeln. 

Schlimmer noch ist, dass sich Bürgermeister und Landeshauptleute lieber der Frage widmen, wann, wie und wo man Gastronomie wieder öffnen könnte: Je länger man sich jetzt nicht voll und ganz auf die Pandemiebekämpfung konzentriert, desto höher werden die Zahlen wieder steigen und desto länger wird es in weiterer Folge dauern, bis wirklich wieder eine Rückkehr zur Normalität möglich ist. 

Regierungspolitiker in Bund und Ländern riskieren insofern unendlich viel. Warum aber tun sie das? Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat schon recht, wenn er sagt, dass sich immer weniger Menschen an Beschränkungen halten, die mit dem Lockdown verbunden sind. Die Leute sind müde und wollen endlich wieder Freunde treffen und Feste feiern. Vernünftig ist es nicht, aber nachvollziehbar. Und Kurz und Co. haben nicht mehr die Kraft, dagegen zu halten.

Die Perspektiven sind ernüchternd. In Tschechien tut auch jeder, was er will. Ergebnis: Das Nachbarland im Norden steckt bereits mitten in der dritten Welle. Zumal erst wenige Menschen geimpft sind, gibt es so viele Spitalspatienten wie noch nie, und steigt auch die Zahl der Todesfälle wieder extrem stark an. 

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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