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Traumlauf von Deneriaz

Der Franzose Antoine Deneriaz hat den Goldtraum von Michael Walchhofer zerstört und sich zum Olympiasieger in der Abfahrt der Herren gekürt.   | Reaktionen

Der 29-Jährige deklassierte in sensationellen 1:48,80 Minuten die Konkurrenz auf der 3.299 Meter langen Olympiapiste in Sestriere um Längen und siegte am Ende 72/100 Sekunden vor dem Salzburger Walchhofer. Bronze ging an den Schweizer Bruno Kernen, der bereits 1,02 Sekunden Rückstand auf den großen Triumphator hatte.

„Ich habe alles gegeben. Dieser Sieg war mein großes Ziel nach meinem schweren Sturz im Vorjahr in Chamonix“, betonte Deneriaz, der sich am 7. Jänner 2005 in seiner Heimat im Abfahrtstraining das hintere Kreuzbandriss im linken Knie gerissen hatte. „Ich kann es aber noch gar nicht fassen. Ich wusste zwar nach meinen Leistungen im Training, dass ich gut fahren kann, doch dass es am Ende wirklich Gold wird… Dieser Tag ist der mit Abstand schönste in meiner Karriere.“

Vor seinem Gold-Coup im Piemont hatte der 1,89 m große und knapp 100 kg schwere Deneriaz nur drei Weltcup-Rennen gewonnen – das bisher letzte am 20. Dezember 2003 in Gröden. Sein bestes WM-Resultat datiert mit Rang acht in St. Moritz ebenfalls aus dem Jahr 2003, bei den Winterspielen vor vier Jahren in Salt Lake City war er Zwölfter, und im aktuellen Olympia-Winter war Rang sieben in Gröden sein bestes Weltcup-Ergebnis in der Abfahrt gewesen.

Da der Trainingsschnellste erst mit Nummer 30 kam, hatte es lange Zeit nach einem erneuten ÖSV-Triumph in der Königsdisziplin ausgeschaut. Denn Ex-Weltmeister und Topfavorit Michael Walchhofer, der bereits mit Nummer zehn ins alpine Topereignis der Spiele gestartet war, hatte mit 1:49,52 Minuten eine bis dahin unerreichte Marke in den Schnee gezaubert.

Der dreifache Familienvater riskierte bei seiner Fahrt Kopf und Kragen, doch machte er auch einige Fehler, wie er gestand. „Im oberen Teil war es auf jeden Fall eine Goldfahrt. Doch im unteren Teil war es alles andere als perfekt, da ich hatte Probleme mit dem Grip. Deswegen muss der liebe Gott etwas zum Sieg beitragen“, lautete Walchhofers erste Analyse unmittelbar nach der Zieldurchfahrt. In diesem Interview betonte er auch, dass er vor allem „die zwei Amis“ fürchte. Aber sowohl Weltmeister Bode Miller (5./+1,13), der auf die Besichtigung der Strecke am Morgen verzichtet hatte, als auch Vizeweltmeister Daron Rahlves (10./+1,53) fuhren an den Medaillen vorbei.

Trotzdem war Gold noch nicht fix, denn alles wartete noch gespannt auf Marco Büchel (7./+1,24) und Deneriaz, der mit Ausnahme eines kleinen Fehlers in waghalsiger sowie perfekter Manier über die doch schon sehr schlagige Piste raste und die Bestzeit wahrlich „zertrümmerte“. „Nach meiner Verletzung in Chamonix musste ich hart arbeiten, um wieder in Topform zu kommen. Diese Goldmedaille ist nun der verdiente Lohn für diese Strapazen“, erinnerte Deneriaz noch einmal an den Rückschlag im Vorjahr.

Sein Vorgänger als Olympiasieger, der Kärntner Fritz Strobl (+1,32 Sek.), musste sich diesmal mit Platz acht zufrieden geben. „Ich kann mir keinen Vorwurf machen, ich habe alles versucht, doch andere waren schneller“, meinte der entthronte „Titelverteidiger“, der aber ähnlich wie Walchhofer Grip-Probleme hatte. „Mein Ski, den ich extra für dieses Rennen haben wollte, hat schon sehr dünne Kanten gehabt und deshalb unten neben den Kanten schon etwas wenig Belag. Das ist Pech und Risiko, gehört aber zum Sport“, erklärte Strobl.

Bei ÖSV-Superstar Hermann Maier lag es dagegen nicht nur an einem schweren Fehler beim Zielsprung („der hat mich eine Medaille gekostet“), sondern auch am Gesundheitszustand des Salzburgers, dass er als Sechster (+1,20 Sek.) an Edelmetall vorbeifuhr. „Heute wäre mehr drinnen gewesen, doch am Ende hatte ich nicht mehr die Kraft, ich war total leer“, gestand der „Herminator“, der angesichts seiner noch nicht ausgestanden Grippe von „einer eigentlich guten Leistung sprach“.

Dem Norweger Kjetil-Andre Aamodt (+0,36 Sek.) fehlten in der Endabrechnung nur 6/100 auf seine 20. Medaille bei Großereignissen (bisher 12 WM/7 Olympia), während Klaus Kröll mit der Entscheidung nichts zu tun hatte. Der Steirer wurde nur 22. (+2,11), fand aber die treffenden Worte für den Husarenritt von Deneriaz: „Ich habe schon viel erlebt, aber das war ein Wahnsinn, was der da herunter aufgeführt hat!“

Walchhofers erster und letzter Gold-Angriff

Im ÖSV-Lager hatte sich am Sonntag im Zielraum von Sestriere Borgata bereits Gold-Stimmung breit gemacht. Mit Daron Rahlves, Bode Miller, Kjetil Andre Aamodt und Marco Büchel waren die schärfsten internationalen Herausforderer allesamt schon im Ziel und auf der Anzeigetafel lachte vor dem Namen Michael Walchhofer noch immer die “1“. Doch dann kam die Nummer 30 und der allerletzte Siegkandidat, der Franzose Antoine Deneriaz.

„Kurz habe ich schon ein langes Gesicht gemacht, aber das war nach zwei Minuten vorbei. Jetzt habe ich mit der Silbermedaille eine Riesenfreude“, meinte Walchhofer, der mit der frühen Startnummer 10 unterwegs war und das lange Zittern im Zielraum so beschrieb: „Es war extrem spannend. Mein Herz hat selten zuvor so heftig geschlagen. Und bei der Fahrt von Miller ist es, glaube ich, sogar kurz stehen geblieben. Bei Deneriaz war es dann weniger spannend. Er hat von oben bis unten gezeigt, dass er gewinnen will.“

Für Walchhofer war es aller Voraussicht nach die erste und gleichzeitig letzte Chance auf Olympia-Gold, denn 2010 in Vancouver wird der dann 34-Jährige wohl nur noch Zuschauer sein. „Sag niemals nie. Aber ich glaube nicht, dass ich da noch dabei sein werde. Der Sport ist jetzt für mich sehr wichtig, aber es gibt Wichtigeres im Leben. Deswegen wollte ich heute auch unbedingt gewinnen.“

Das krisengeschüttelte Schweizer Team durfte sich über Bronze durch Bruno Kernen freuen. Neun Jahre nach seinem Abfahrts-WM-Titel 1997 in Sestriere bekam der 33-Jährige an selbigem Ort seine erste Olympia-Medaille überreicht. „Damit habe ich mir einen Traum erfüllt“, so Kernen. „Die Fragen nach meinem WM-Sieg 1997 konnte ich schon nicht mehr hören. Ich musste diese Gedanken zur Seite schieben, sonst hätte ich definitiv keine Medaille gewonnen.“

Dabei hatte Kernen, der durch eine Meniskusquetschung gehandicapt war, einen alles andere als optimalen oberen Teil. „Oben bin ich nicht ideal gefahren. Nach 30 Sekunden hab ich mir gesagt: ’Komm jetzt Kernen, gib alles, das ist ein letztes Mal Olympia’. Dann habe ich alles riskiert und aufgeholt.“


Herren-Abfahrt in Sestriere

1.Antoine DeneriazFRA1:48,80
2.Michael WalchhoferAUT1:49,52
3.Bruno KernenSUI1:49,82
4.Kjetil Andre AamodtNOR1:49,88
5.Bode MillerUSA1:49,93
6.Hermann MaierAUT1:50,00
7.Marco BüchelLIE1:50,04
8.Fritz StroblAUT1:50,12
9.Patrick StaudacherITA1:50,29
10.Daron RahlvesUSA1:50,33
11.Pierre-Emmanuel DalcinFRA1:50,35
12.Tobias GrünenfelderSUI1:50,44
13.Manuel Osborne-ParadisCAN1:50,45
14.Lasse KjusNOR1:50,64
15.Scott MacartneyUSA1:50,68
16.Francois BourqueCAN1:50,70
17.Ambrosi HoffmannSUI1:50,72
18.Kurt SulzenbacherITA1:50,84
19.Peter FillITA1:50,88
.Steven NymanUSA1:50,88

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