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Trauerbegleitung mit Pferden: "Sie hören nicht, was du sagst – sie spüren, wer du bist"

Die Therapie mit Pferden ist eine heilsame Methode zur Aufarbeitung von Kummer.
Die Therapie mit Pferden ist eine heilsame Methode zur Aufarbeitung von Kummer. ©VOL.AT/Katja Grundner
Sie hören zu, ohne zu sprechen – und spüren, was Worte nicht ausdrücken können. In der pferdegestützten Trauerbegleitung in der Propstei St. Gerold werden Pferde zu stillen Begleitern für Menschen, die einen Verlust erlebt haben.

Eine Therapieform, die berührt, stärkt und heilt – ganz ohne Worte. In der Propstei St. Gerold im Großen Walsertal wurde vergangenen Dienstag ein besonderes Pilotprojekt gestartet.

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In Zusammenarbeit mit Hospiz Vorarlberg bietet Eva-Maria Türtscher, Therapeutin in der Oase der Begegnung in St. Gerold, mit Trauerkoordinatorin Irene Christof eine pferdegestützte Trauerbegleitung an. Dieses neue Angebot schafft einen sicheren Raum, in dem Gefühle wie Schmerz, Wut, Sehnsucht oder Stille willkommen sind – getragen von der Kraft und Präsenz der Tiere.

Video: Kraft tanken und Pferde spüren

"Pferde bieten eine wertfreie Ebene"

"Trauer ist etwas zutiefst Persönliches. Viele Gefühle lassen sich nur schwer in Worte fassen", erklärt Trauerbegleiterin Irene Christof. "Pferde bieten eine nonverbale, wertfreie Ebene, die es ermöglicht, sich angenommen zu fühlen – ganz egal, wer oder wie man ist", fügt sie hinzu. Gerade das sei in schweren Zeiten sehr heilsam.

Eva-Maria Türtscher und Irene Christof. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Das bestätigt auch Eva-Maria Türtscher, die in der pferdegestützten Therapie bereits viele berührende Momente erlebt hat: "Sie hören nicht, was du sagst, sondern spüren, wer du bist." Die Trauernden erleben in der Therapie mit den Vierbeinern Trost und einen neuen Zugang zu ihren Gefühlen. "Pferde berühren die Menschen auf einer tiefen emotionalen Ebene. Sie geben Kraft und Zuversicht, und das ganz ohne Worte", erklärt Türtscher.

Wie funktioniert die pferdegestützte Trauerbegleitung?

Sabrina Sohm, welche für die pferdegestützte Therapie mit Kindern zuständig ist, beschreibt den Ablauf einer typisch therapeutischen Einheit mit den Pferden: "Wir starten meist mit einer kleinen Einstiegsrunde, in der jeder sagen kann, warum er hier ist. Danach folgt eine kurze Meditation zum Ankommen, um wirklich präsent zu sein." Anschließend geht es in die Halle zur Freibegegnung mit den Pferden – das Herzstück der Methode.

Sabrina Sohm und Eva-Maria Türtscher mit Stute Ella. ©VOL.AT/Katja Grundner

"Dabei arbeiten wir viel mit Sinneswahrnehmung", erklärt Sohm. "Wie fühlt sich das Fell an? Was sehen wir? Was riechen wir? Das stärkt das Spüren – etwas, das in belastenden Lebensphasen oft verloren geht", schildert sie. Diese bewusste Auseinandersetzung mit dem Tier hilft, sich selbst wieder näherzukommen. "Viele Menschen berichten, dass sie durch die Pferde zurück ins Hier und Jetzt finden. Die Präsenz der Tiere wirkt beruhigend, zentrierend – und nachhaltig", ergänzt Türtscher.

"Pferde spiegeln uns Menschen"

Jedes Pferd hat dabei seine eigene Persönlichkeit. "Manche Menschen fühlen sich sofort zu einem bestimmten Pferd hingezogen“, erzählt Türtscher. "Die ruhige Gina etwa hilft, Gelassenheit wiederzufinden. Der stolze Hans kann Kraft und Mut wecken." Diese individuelle Resonanz ermögliche den Trauernden innere Anteile wiederzuentdecken, die in der Kummerphase vielleicht verschüttet sind. Oft bauen die Teilnehmer speziell eine Bindung zu jenen Pferden auf, die ähnliche Charakterzüge wie sie selbst aufweisen. "Das macht unsere Arbeit so besonders: Die Pferde spiegeln uns Menschen."

"Solche Momente bleiben im Herzen"

Beim ersten Termin des Frühjahrsblocks war die Gruppe tief bewegt. "Viele der Teilnehmenden haben aktuell einen Verlust erlebt", berichtet Türtscher. "Dennoch konnten sie sich wunderbar auf die Pferde einlassen." Besonders eindrücklich war die Szene, als Pferd Kaeti auf eine Frau zuging und ihr sanft das Gesicht berührte. "Solche Momente bleiben im Herzen", so Christof. "Und sie zeigen, wie viel Trost in der stillen Begegnung mit einem Tier liegen kann."

Basis der artgerechten Haltung

Die Pferde genießen eine artgerechte Haltung, welche die Basis für das feinfühlige Miteinander mit den Menschen ist. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Damit die Pferde diese Gelassenheit und Präsenz ausstrahlen können, ist auch ihre Haltung ein wesentlicher Aspekt. "Unsere Pferde leben in einem Herdenverband und haben bei uns einen Lebensplatz – sie dürfen also auch im hohen Alter noch bei uns bleiben", so Türtscher. "Die Tiere haben ganztägigen Zugang zu Futter, regelmäßige Weidezeiten und möglichst viel Freiheit. Diese artgerechte Haltung ist die Basis dafür, dass die Pferde so ruhig und feinfühlig mitarbeiten können", erklärt sie. Sogar die über 30-jährige Stute Indigo ist noch ein geschätzter Teil des Teams.

Stute Indigo. ©VOL.AT/Katja Grundner

Propstei St. Gerold: "Ein Ort der Ruhe eingebettet in eine eindrucksvolle Natur"

Warum gerade die Propstei St. Gerold der perfekte Ort für dieses Projekt ist? "Hier begegnet man Menschen mit offenem Herzen", sagt Christof. "Es ist ein Ort der Ruhe, eingebettet in eine eindrucksvolle Natur. Das allein gibt schon Kraft."

Im Innenhof der Propstei St. Gerold. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Türtscher fügt hinzu: "Unsere Arbeit hier ist ganz auf die Beziehungsebene fokussiert. Es geht nicht um Leistung, sondern um echte Begegnung zwischen Mensch und Tier."

Der Ausblick in der Propstei. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Kursinformationen und Anmeldung

Das Projekt startet mit einem Frühjahrs- und einem Herbstblock, bestehend aus jeweils vier Terminen. Die Teilnahme kostet insgesamt 40 Euro. Ein kurzes Vorgespräch hilft dabei, die passende Gruppe zu finden. Die Anmeldung erfolgt über die Kontaktstelle Trauer beim Hospiz Vorarlberg.

Neben der Trauerbegleitung gibt es auch offene Angebote: Montags Meditation mit Pferden und donnerstags Begegnung mit Pferden – für alle, die die Kraft dieser Tiere selbst erfahren möchten. Anmeldung direkt bei der Propstei möglich.

Irene Christof liebt den direkten Kontakt mit den Pferden. ©VOL.AT/Katja Grundner

Da es sich bei der Oase der Begegnung um einen gemeinnützigen Verein handelt, sind die Angebote bewusst niederschwellig gehalten. "Wir freuen uns immer sehr über Sponsoren, die unsere Arbeit unterstützen – sei es finanziell oder durch Kooperationen. Jede Hilfe ermöglicht es, dieses wertvolle Angebot für trauernde Menschen weiterzuführen", betont Türtscher.

Der kleine Maxi ist sehr zutraulich. ©VOL.AT/Katja Grundner

"Angebot soll nicht am weiten Weg scheitern"

"Das Angebot soll aber nicht an dem weiten Weg scheitern. Viele Teilnehmende kommen aus dem Unterland oder dem Montafon. Wir empfehlen ihnen, sich bewusst einen ganzen Tag für sich zu nehmen", sagt Christof. Die Propstei lädt mit Frühstück, Tees, Spazierwegen und stillen Plätzen dazu ein, zur Ruhe zu kommen. "Dieser Tag gehört nur dir", lautet die Einladung an die Interessenten. "Und das ist vielleicht das Wertvollste daran."

Kontakt

Kaeti und Ella. ©VOL.AT/Katja Grundner

Kontaktstelle Trauer, Hospiz Vorarlberg
Telefonische Anmeldung beim Hospiz Vorarlberg
www.hospiz-vorarlberg.at

Oase der Begegnung, Propstei St. Gerold
Anmeldung für offene Angebote an der Pforte der Propstei
www.propstei-stgerold.at

VOL.AT-Reporterin Emilia Waanders mit Irene Christof, Sabrina Sohm und Eva-Maria Türtscher. ©VOL.AT/Katja Grundner

(VOL.AT)

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