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Tod eines Häftlings in Schubhaftzentrum in Hernals: Zwei Amtsärzte verurteilt

Tod eines Schubhäftlings: Zwei Ärzte wurden verurteilt
Tod eines Schubhäftlings: Zwei Ärzte wurden verurteilt ©BilderBox.com (Sujet)
Wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit dem Tod eines tschetschenischen Asylwerbers im Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Wiener Hernalser Gürtel sind am Montag im Bezirksgericht Josefstadt zwei Amtsärzteverurteilt worden.
Der Prozess in Wien

Richterin Margaretha Richter erlegte ihnen eine Geldstrafe von je 15.000 Euro (150 Tagessätze zu je 100 Euro) auf. Zudem müssen sie die Kosten des Strafverfahrens tragen.

Herzinfarkt im Schubhaftzentrum

Der 35-jährige Zelimkhan Isakov war am 27. September 2012 an einem Herzinfarkt gestorben, nachdem er in der Schubhaft wiederholt über gesundheitliche Probleme geklagt und neben Unterleibs- und psychischen Beschwerden auch Schmerzen in der Brust geltend gemacht hatte.

Dennoch hatten die schuldig erkannten Ärzte es unterlassen, bei Untersuchungen am 14. bzw. 16. September 2012 mit einem EKG-Gerät diese näher abzuklären. “Da war eine Verantwortung gegeben”, meinte die Richterin am Ende des Beweisverfahrens. Es sei “keine Maßnahme gesetzt worden”, monierte sie.

Freispruch für Amtsärztin

Eine mitangeklagte Amtsärztin wurde demgegenüber freigesprochen, weil – gestützt auf ein kardiologisches Gutachten – nach Ansicht des Gerichts im Zweifel davon auszugehen war, dass bei ihrer Untersuchung zweidreiviertel Stunden vor dem Ableben des Mannes der Infarkt auch mit einer EKG-Testung nicht mehr zu verhindern gewesen wäre.

Ein ebenfalls zur Anklage gebrachter Psychiater, dem der Schubhäftling auch von seinen Beschwerden berichtet hatte, wurde freigesprochen, weil ihm zugebilligt wurde, dass das EKG nicht in sein Fachgebiet gefallen wäre. Außerdem hätte er sich auf Basis der Krankengeschichte darauf verlassen können, dass sich die Amtsärzte der Problematik annahmen, befand das Gericht.

Sämtliche Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Die verurteilten Ärzte erbaten Bedenkzeit, der Bezirksanwalt gab zu den zwei Schuld- und zwei Freisprüchen vorerst keine Erklärung ab.

Der Schubhäftling Zelimkhan Isakov

Isakov war am 30. Juni 2012 verhaftet worden, weil er bei einer Polizeikontrolle keinen gültigen Ausweis vorweisen konnte und sich im weiteren Verlauf herausstellte, dass es gegen ihn einen negativen Asylbescheid gab. Er hätte Ende September nach Russland abgeschoben werden sollen. In der Schubhaft machten ihm offenbar erhebliche gesundheitliche Beschwerden zu schaffen. Zwischen dem 26. Juli und dem Tag seines Ablebens nahm er im PAZ nicht weniger als 60 Mal ärztliche Hilfe in Anspruch. Vorrangig klagte der 35-Jährige bei den Amtsärzten über ein urologisches Problem – abklingenden Herpes im Unterleibsbereich – und psychische Schwierigkeiten, wiederholt wies er aber auch auf Schmerzen in der Brust hin.

Dennoch hielt es keiner der drei Amtsärzte, die mit Isakov zu tun hatten, für notwendig, ein Elektrokardiogramm anzufertigen, obwohl in dem Untersuchungszimmer ein EKG-Gerät zur Verfügung gestanden wäre.

Mann hatte Schmerzen in der Brust

Ein auf Sportmedizin spezialisierter praktischer Arzt, der Isakov am 1. Juli 2012 untersucht und diesem Haftfähigkeit bescheinigt hatte, vermerkte beim nächsten Kontakt am 14. September in der Krankengeschichte zwar wörtlich: “Seit drei Tagen Schmerzen in Brust”. Das EKG-Gerät kam trotzdem nicht zum Einsatz.

Der Mann habe “diffuse Schmerzen” geltend gemacht und mit den Händen vor allem Gesten Richtung Unterleib gemacht, sagte der Sportmediziner in seiner Einvernahme. Da sich keine Symptome in Richtung Herzbeschwerden zeigten, sei er davon ausgegangen, dass die Beschwerden am Unterleib im Vordergrund standen, bemerkte der Angeklagte: “Ich muss darauf vertrauen, was der Patient sagt. Ich hätte reagiert, wenn er mit seiner Gestik wieder nach oben gedeutet hätte.”

Arzt ging nicht von Herzbeschwerden aus

Am 16. September hatte dann ein hauptberuflich als Totenbeschauer und im Ärztefunkdienst tätiger Allgemeinmediziner mit dem Asylwerber zu tun. Dieser habe “mit schmerzverzerrtem Gesicht mit beiden Händen auf die Rippen in der Nierengegend und zum Penis gedeutet”, gab dieser Mediziner zu Protokoll. Er sei “keinesfalls von Herzbeschwerden ausgegangen” und habe dem Mann angeboten, ihn zu einer urologischen Untersuchung ins Spital zu bringen: “Ich wär’ nie auf die Idee gekommen, dass dies Symptome eines Infarkts sein könnten.” Er habe als Diagnose eine “unklare urologische Problematik” angenommen.

In einem schriftlichen Vermerk hatte allerdings auch dieser Amtsarzt Schmerzen in der Brust notiert. “Das war unglücklich formuliert”, erklärte er. Es sei “halt kürzer formuliert worden, ich hab’ ja keine Schreibkraft”.

Ärztin berichtet von Unterleibsbeschwerden

Am häufigsten sah den Häftling eine 55-jährige Medizinerin, die ausschließlich als Amtsärztin für die Polizei arbeitet. Die aus Osteuropa stammende Ärztin konnte sich sogar auf Russisch mit dem Asylwerber unterhalten. Sie habe diesen für “sehr krank” gehalten, räumte sie ein: “Es war eine sehr große Belastung für ihn, im Polizeianhaltezentrum zu sein.” Seine Unterleibsbeschwerden habe sie auch auf die mit der Schubhaft verbundene Trennung von seiner Frau und die erzwungene “Enthaltsamkeit” zurückgeführt, meinte die Amtsärztin.

“Er hat übertrieben”

“Für mich war er haftfähig”, sagte die Angeklagte. Sie habe den Mann nicht für einen Simulanten gehalten, “aber er hat übertrieben. Er hat das alles geschildert, als ob es das Ende der Welt wäre”. Am 13. September sei Isakov “in die Sanitätsstelle gestürmt” und habe aufgrund seiner Beschwerden seine Entlassung gefordert. Er sei “sehr verstimmt” und “gereizt” gewesen und habe sich gefragt, weshalb Leute, die nicht krank sind, auf freien Fuß kämen und er im Gefängnis bleiben müsse. Sie habe ihn “um Geduld gebeten”, erinnerte sich die Ärztin.

Brustschmerzen beim Duschen

Am 27. September, nachdem er am Morgen angeblich beim Duschen Brustschmerzen verspürt hatte, sah die 55-Jährige den Asylwerber ein letztes Mal. Er habe nun “Schmerzen am ganzen Körper” geltend gemacht, diese aber nicht näher ausgeführt, berichtete die Ärztin.

Sie habe den Blutdruck gemessen, ihn mit dem Stethoskop abgehört und – da sie ein Rasseln auf der linken Seite vernahm – für den nächsten Tag einen Röntgen-Bus bestellt, weil sie den Verdacht auf Vorliegen einer Tuberkulose hatte. Und sie verschrieb dem 35-Jährigen das bekannte Grippemittel Neocitran, weil sie seine Schmerzen auf einen grippalen Infekt zurückführte.

EKG-Untersuchung hätte Schlimmeres wohl verhindert

Zwei Stunden und 45 Minuten später war Isakov tot. Laut dem kardiologischen Sachverständigen Hartwig Bailer starb er infolge eines Verschlusses einer Koronararterie (LAD). Dem Gutachten zufolge wäre der Herzinfarkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch mit einer EKG-Untersuchung am 27. September 2012 nicht mehr zu verhindern gewesen, weshalb die Amtsärztin im Zweifel freigesprochen wurde.

(apa/red)

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