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Thema Missbrauch wird auch bei Wiener Festwochen thematisiert

Der Schwede Markus Öhrn sorgt mit seinen Aufführungen immer wieder für Schlagzeilen.
Der Schwede Markus Öhrn sorgt mit seinen Aufführungen immer wieder für Schlagzeilen. ©APA/ROLAND SCHLAGER
Der schwedische Künstler Markus Öhrn bereichert auch dieses Jahr die Wiener Festwochen. Heuer stellt er den Missbrauch in der Kultur in den Vordergrund.

Den Probenraum eines Theaters empfindet er als Skulpturenwerkstatt, sein künstlerisches Lebensthema ist die Gewalt. Der schwedische Künstler Markus Öhrn hat die Wiener Festwochen bereits in der Vergangenheit zweimal ordentlich durchgerüttelt. Heuer ist er mit zwei weiteren Arbeiten zu Gast.

Im Jahr 2012 war Öhrn mit seinem verstörenden Fritzl-Stück “Conte d’Amour” erstmals bei den Festwochen zu Gast. Seine nicht minder schockierende Inszenierung “Häusliche Gewalt” trug ihm im Vorjahr eine “Nestroy”-Nominierung ein. Mit “3 Episodes of Life” (Uraufführung am 12. Mai) widmet er sich nun der MeToo-Debatte, mit “Bergman in Uganda” (ab 6. Juni) führt er das westliche Selbstverständnis ad absurdum.

Männliche Gewalt gegen Frauen

Im Keller gefangene Kinder, eine dem schlagenden Ehemann ausgelieferte Frau und nun sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz: Der 1972 in Nordschweden geborene Markus Öhrn, der laut eigener Aussage im Alter von 29 Jahren das erste Mal im Theater war und ursprünglich bildende Kunst studierte, setzt in seiner 2010 eher zufällig begonnenen Karriere als Theaterregisseur auf die Exploration von Gewalt in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen. “Man kann sagen, ‘3 Episodes of Life’ ist eine Fortführung der Erkundung der männlichen Gewalt gegen Frauen”, erläutert er im Interview mit der APA.

Der Unterschied: Während die Besucher der fünfstündigen theatralen Installation “Häusliche Gewalt” dem Geschehen “absolut ausgeliefert waren und am Ende physisch genauso erschöpft waren wie die Darsteller”, handelt es sich heuer um eine von Musik begleitete – jeweils einstündige – Stummfilm-Installation, genannt “Silent Movie Theatre”. Auch diesmal verbergen sich die Darsteller wieder hinter Latexmasken, gespielt haben sie jedoch bereits vorab: Die Zuschauer sehen im Studio Molière lediglich den so entstandenen Film. Die Österreicherin Dorit Chrysler komponierte gemeinsam mit Öhrns langjährigem Begleiter, dem Pianisten Arno Waschk, für jede Episode eine eigene musikalische Stimmung, die live performt wird.

Missbrauch in der Welt der Kulturschaffenden

“Ich bin ein weißer europäischer Mann, also analysiere ich gerne meine eigene Kultur, meine Sphäre; wie ich aufgewachsen bin und wie ich mich benehme.” In “3 Episodes of Life” geht es daher um Missbrauch in der Welt der Kulturschaffenden. “Die Gewalt in dieser Sphäre ist nicht primär physisch brutal”, analysiert Öhrn. “Sie resultiert meistens nicht in einer gebrochenen Rippe oder einem blauen Auge, sondern mehr in einem gebrochenen Herzen oder einem mentalen Zusammenbruch. Der große Unterschied zu häuslicher Gewalt ist: Hier geht es um die Karriere. Das ist eine ganz andere Struktur der Gewalt.” Die Abhängigkeiten seien andere. “Es geht um Männer in Machtpositionen, die ihre Mitarbeiterinnen in eine Situation bringen, wo sie sagen: ‘Wenn ich das ertrage, wenn ich ihm folge, dann mache ich vielleicht einen Karriereschritt.'”

Das Problem sei, dass im Kulturbetrieb nicht so klare Strukturen herrschen wie etwa in einer Autowerkstatt. “Dort hat man Erfolg, wenn das Auto am Ende der Reparatur wieder funktioniert. In der Kunst ist das nicht so einfach. Da geht es um den Ruf. Darum, wer was über wen zu sagen hat. Wer dich einlädt.” Für Dekaden habe das System Männer unterstützt, die das ausgenützt haben. “Es war kein Geheimnis für irgendjemanden, wie Frauen oder Assistenten behandelt wurden.”

Diskussionsraum mit Gewalt und #metoo

Mit “3 Episodes of Life” will Öhrn an drei Abenden nicht eine bestimmte Geschichte erzählen, sondern einen Blick auf die Mechanismen des Machtmissbrauchs im beruflichen Kontext werfen. In jeder der Episoden trifft der Zuschauer auf Menschen in einer “stereotypischen MeeToo-Situation”. Damit will Öhrn erneut einen Diskussionsraum eröffnen. “Das Problem ist, dass wir im Moment nur die Monster jagen und ihnen den Kopf abschlagen. Es ist zwar gut, diese künstlerischen Egos mit der Realität zu konfrontieren, weil sie sich dem nie stellen mussten. Aber es hilft nicht. Wir müssen die kulturelle Produktion selbst hinterfragen”, so Öhrn, der sich auch die Frage stellt, welche Rolle das Publikum spielt, das seit Jahrzehnten “verrückt nach der Aura des gewalttätigen Künstlers ist, der die Grenzen hinter sich lässt. Das ist, wie in den Zoo zu gehen. Wir kaufen Tickets, um sie zu sehen. Wir haben diese Monster, denen wir jetzt die Köpfe abschlagen, selbst produziert.” Das sei ein wenig so, wie sich ein billiges T-Shirt bei H&M zu kaufen und damit zu akzeptieren, dass Menschen in der Produktion an den Bleichmitteln für die billigen Stoffe zugrunde gehen. “Es ist Zeit, die ganzen Strukturen zu öffnen und zu hinterfragen, welchen Preis wir bereit sind, für Kunst zu zahlen.”

Filmische Installationen in den Gösserhallen

In eine gänzlich anderer Richtung geht “Bergman in Uganda”, eine Produktion aus 2014: In den Gösserhallen zeigt Öhrn von 6. bis 9. Juni auf zwei Leinwänden eine filmische Installation. Während auf der einen Ingmar Bergmans “Persona” (1966) projiziert wird, flimmert über die zweite Leinwand ein Mitschnitt einer Filmvorführung des Streifens in Uganda. Dort werden in Slums westliche Filme gezeigt, die live vor Ort von einem “Übersetzer” kommentiert werden, da die Menschen nicht nur kein Englisch verstehen, sondern auch Ausprägungen der westlichen Kultur nicht nachvollziehen können. “Zu sehen, wie die Menschen verständnislos reagieren, wenn es um Ferienhäuser, Sonnenbaden oder die emotionale Katastrophe einer Abtreibung geht, hat mich tief bewegt. Die Installation zeigt, als wie absurd unsere Art zu leben und unsere Art, Filme zu machen, in vielen Teilen der Welt aufgenommen wird.”

Für Öhrn selbst sind die beiden Produktionen ein Experiment. “Ich möchte mich nicht wiederholen. Klar könnte ich zehn Versionen von ‘Häusliche Gewalt’ machen und nur zu den Endproben anreisen. Aber das will ich nicht”, sagt Öhrn, der sich als bildender Künstler sieht, der das Theater als Tool verwendet, um seine Projekte zu realisieren. “Es geht um die Entwicklung. Ich möchte in alle Schritte des Prozesses involviert sein. Ich filme gerne selbst, ich kenne mich mit meinen Synthesizern aus. Ich sehe meinen Probenraum mehr wie eine Skulpturenwerkstatt als ein professionelles Theater.”

(APA/red)

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