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Theater-Jahr 2010 - Die Burg dominiert und Salzburg lockt

Geht es nach der Nestroy-Akademie, bestand die österreichische Theaterlandschaft 2010 aus dem blühenden Burgtheater und einer weiten Wüste.
"Was ihr wollt" am Wiener Burgtheater
Red Ribbon Cotillion im Burgtheater
Pakistan-Benefizgala bei Salzburger Festspielen
Anna Netrebko in "Romeo et Juliette"
Salzburg: Vor "Liebe" rasende "Phädra"
Viele Burg- Uraufführungen in zweiter Saison- Hälfte

Ausschließlich Burgtheater-Mitarbeiter durften bei der Gala im – erraten! – Burgtheater Auszeichnungen in Empfang nehmen. Und Burg-Chef Matthias Hartmann scheint am Prinzip der “öffentlichen Proben”, das er bei Tolstois “Krieg und Frieden” im Kasino erstmals anwandte und dafür sowohl einen Nestroy-“Spezialpreis” als auch das Theater-Ranking des ORF-“Kulturmontag” gewinnen konnte, Gefallen gefunden zu haben. Seine Inszenierung von “Was ihr wollt”, die gestern Premiere hatte, erprobte er zuvor an einem überraschten Publikum, das eine andere Vorstellung erwartet hatte und so in den Genuss einer “Sneak Preview” kam.

Das Ergebnis war papierformgemäß: Eine Starparade voller darstellerischer Kabinettstücke. Neidlos muss man anerkennen: Das Burgtheater-Ensemble ist wohl nicht nur in Österreich, sondern auch im ganzen deutschsprachigen Raum das Maß aller Dinge. Ob Sunnyi Melles als vor Liebe rasende “Phädra”, Sarah Viktoria Frick als selbstbewusste “Johanna der Schlachthöfe”, geistig zurückgebliebene Bauerntochter Beppi (“Stallerhof”) oder (Nestroy-preisgekrönt) in verschiedenen Rollen von “Adam Geist”, Martin Wuttke als Pädophiler in Vinterbergs “Das Begräbnis”, Tilo Nest, Joachim Meyerhoff, Ignaz Kirchner, Sven-Eric Bechtolf, Caroline Peters, Christiane von Poelnitz, Johannes Krisch und noch etliche andere – sie alle haben immer das Zeug, auch bestenfalls durchschnittliche Texte zum Erlebnis werden zu lassen.

Was für die Regisseure der Burg nicht immer gilt. Michael Thalheimer überzeugte bei seinem späten Burgtheater-Debüt mit einer starker Brecht-Interpretation, das “Nature Theater of Oklahoma” findet mit seinem eigenwilligen Mammutprojekt “Life and Times” viele Anhänger des Unkonventionellen (u.a. Platz eins der “Falter”-Jahrescharts), während das Konzept, den belgischen Theater-Querdenker Jan Lauwers zur Mitarbeit einzuladen, erst im März 2011 mit “Die Kunst der Unterhaltung” die erste echte Bewährungsprobe erhalten wird. Alvis Hermanis wird seine Arbeit mit “Platonow” (April 2011 im Akademietheater) ebenso fortsetzen wie Jan Bosse (inszeniert “Lulu” im Mai im Burgtheater). Weitere Höhepunkte stehen bereits im Februar mit einer Botho Strauß-Uraufführung von Matthias Hartmann (“Das blinde Geschehen”) und einer Inszenierung von Andrea Breth (30 Kurzszenen von Szenen von Cami, Charms, Courteline) an.

Der in Koproduktion mit den Wiener Festwochen geplante Saisonabschluss “Parenté à plaisanterie” kommt nicht zustande: Der Tod von Christoph Schlingensief reißt auch eine große Lücke in die österreichische Theaterlandschaft. Einige seiner wichtigsten Arbeiten waren hier gezeigt worden. Die Festwochen 2010 schafften es mit Kornel Mundruczós Budapester Dramatisierung von Sorokins “Ljod. Das Eis” und dem neunstündigen Menschheitsdrama “Lipsynch” von Robert Lepage auf die Plätze eins und drei der “profil”-Jahresbestenliste. Beide Künstler werden 2011 wiederkommen, ebenso wie Christoph Marthaler, Peter Sellars, Patrice Chereau, Ivo von Hove oder Frank Castorf.

Während bei den Wiener Festwochen bis zum Abgang Luc Bondys 2013 also weitgehend alles beim Alten bleibt, verspricht die Schlussrunde von Thomas Oberender als Schauspielchef der Salzburger Festspiele ein Feuerwerk sondergleichen. Schon 2010 mit dem Salzburg-Comeback von Peter Stein und Klaus Maria Brandauer (“Ödipus auf Kolonos”), einer gelungenen Blutauffrischung für den Jedermann mit Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr sowie der “Phädra” nicht unerfolgreich, bietet er 2011 u.a. Uraufführungen von Peter Handke (“Immer noch Sturm”) und Roland Schimmelpfennig (“Die vier Himmelsrichtungen”) auf, einen sechsstündigen “Faust”-Marathon von Nicolas Stemann sowie eine von Christopher Hampton inszenierte Lesung von Daniel Kehlmanns Stück “Geister in Princeton”.

Mutiger Kurs in St. Pölten

Die Uraufführung des im Auftrag der Festspiele verfassten Kehlmann-Stücks über den österreichischen Mathematiker Kurt Gödel findet am 24. September in Graz statt – ein gelungener Coup der seit 2006 amtierenden Schauspielchefin Anna Badora, die derzeit vor allem dank des ungarischen Regisseurs Viktor Bodo überregional punkten kann. Nach “Liliom” wurde zuletzt auch seine Bulgakow-Dramatisierung “Der Meister und Margarita” gefeiert. 2011 startet mit der ersten Inszenierung von Elmar Goerden in Graz (Hebbels “Judith”, Premiere am 13. Jänner).

Aus den Bundesländern sticht der mutige Kurs des Landestheaters Niederösterreich hervor. Mit Baden hatte man die “Der Alpenkönig und der Menschenfeind”-Inszenierung von Jerome Savary koproduziert, die zum Besten des vergangenen Sommertheaters zählte und noch bis 11. März in St. Pölten auf dem Spielplan steht. Zuletzt hatte man sich an Thomas Bernhards Roman “Verstörung” gewagt, im Frühjahr versucht man sich an Dostojewskis “Der Spieler” und wildert mit der Österreichischen Erstaufführung von Philipp Löhles “Die Unsicherheit der Sachlage” in Gefilden, für die sich sonst das Wiener Schauspielhaus (mit tollem Ensemble und wechselndem Erfolg) zuständig fühlt. Vor allem aber lockt Intendantin Isabella Suppanz immer wieder hochkarätige Gastspiele an die Traisen: Im Jänner kommt das Deutsche Theater Berlin mit Jan Bosses “Endspiel”-Inszenierung, im März Luk Perceval mit seiner Bearbeitung von Hans Falladas “Kleiner Mann – was nun?” von den Münchner Kammerspielen.

Nach München zieht es zwei Kärntner: Martin Kusej startet im kommenden Jahr seine Intendanz am Residenztheater, der Intendant des Klagenfurter Stadttheaters, Josef Ernst Köpplinger, wird ab 2012/13 das Münchner Gärtnerplatztheater leiten. Über die Köpplinger-Nachfolge entscheidet eine hochkarätige Findungskommission mit Ioan Holender und Matthias Hartmann in den kommenden Monaten nach Hearings mit zwölf Kandidat/inn/en. Köpplinger selbst startet das Kärntner Theaterjahr am 8. Jänner mit der Uraufführung von Peter Turrinis “Silvester”, einer traurigen Komödie über drei Außenseiter der Gesellschaft.

Wenige Tage darauf (13.1.) folgt die nächste Turrini-Premiere im Theater in der Josefstadt: Direktor Herbert Föttinger inszeniert die Goldoni-Bearbeitung “Campiello”. Erfolge (Franz Wittenbrinks “Eh wurscht”) und Enttäuschungen (“Heldenplatz” revisited oder die Bauersima-Uraufführung “Kap Hoorn”) hielten sich hier zuletzt die Waage, während der Kammerspiel-Kurs zum 100-Jahr-Jubiläum mit den erfolgreichen Glattauer-Dramatisierungen, “Cabaret” oder einer radikalen Neudeutung von “Der Herr Karl” weitgehend zu stimmen scheint.

Unter noch größerem Erfolgsdruck steht das Volkstheater, wo bei einem Raimund-Wagnis mit Andreas Vitasek als Rappelkopf, einem chaplinesken “Herr Puntila und sein Knecht Matti” oder einer “Ratten”-Bearbeitung, mehr denn je der Kassen-Erfolg wichtiger ist als die Kritiker-Meinung. Dass mitten im laufenden Betrieb ein neuer Geschäftsführer gesucht wird, dürfte die Situation nicht erleichtern. Doch schon im Februar dürfte mit “Harold und Maude” (mit Elfriede Irrall und Claudius von Stolzmann) der nächste Kassenschlager warten, und auch auf die “Antigone” des höchst erfreulichen Ensemble-Neuzugangs Andrea Wenzl (Premiere: 4. März) darf man sich freuen.

Subventionskämpfe machen den Theaterleuten überall das Leben schwer, überall wird gejammert, wenngleich auf sehr unterschiedlichem Niveau. Ein vielschichtiges Drama auf offener Bühne spielt sich dabei beim Serapionstheater ab, dessen Gründer und Leiter Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann mit dem Nestroy-Lebenswerkpreis ausgezeichnet wurden. Trotz vielfacher öffentlicher Appelle sind die finanziellen Probleme weiterhin ungelöst, die neue Produktion “Volià” wurde auf März verschoben. “Ich bin aber grundsätzlich optimistisch”, so Piplits. “Wir sind geübte Zahnfleischgeher.”

Und die restliche Wiener Off-Szene? Mit dem brut und der Garage X am Petersplatz hat sich offenbar erfolgreich ein Angebot für jene etabliert, die mit dem herkömmlichen, althergebrachten Theater nichts zu tun haben wollen. Eine längst überfällige Entwicklung, die zu begrüßen ist. Ebenso wie das ambitionierte Programm des Hamakom-Theaters im Nestroyhof oder der um einiges breitenwirksamere Kurs des Rabenhof. Mit dem Cornelius Obonya-Solo “Cordoba – Das Rückspiel”, Ernst Moldens Singspiel “Häuserl am Oasch”, den “Science Busters” und der Promi-Hinrichtung “Unschuldsvermutung” hatte man 2010 gleich mehrere Asse im Ärmel. Da darf das dabei gehaltene Niveau auch schon mal “In Urlaub” gehen. Dass freie Theatermacher das Fehlen erschwinglicher Spielstätten beklagen, und dass der angekündigte Migrations-Schwerpunkt bisher eher heiße Luft war, zeigt, dass der Kulturpolitik auch 2011 durchaus noch viel zu tun bleibt.

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