Doch der gesamte “Struwwelpeter” wollte gestern, Mittwoch, Abend bei seiner Premiere im Burgtheater nicht so recht abheben. Weder fetziges Rockkonzert noch zu Herzen gehende Auseinandersetzung mit Schwarzer Pädagogik, erwies sich die Produktion nicht nur für das große Haus unterdimensioniert, sondern blieb auch unter ihren Erwartungen.
Mit “Shockheaded Peter”, der “Junk Opera” von Martyn Jacques, Julian Crouch und Phelim Mc Dermott, die das berüchtigte Kinderbuch von Heinrich Hoffmann zu einer bösen Horrorshow über das viktorianische England gemacht hatte (und die 2001 bei den Wiener Festwochen gastierte), hat die Inszenierung von Stefan Pucher gar nichts mehr zu tun. Statt der schrillen Wanderbühnen-Ästhetik, in der die Tiger Lillies das Publikum das Gruseln lehrten, regiert nun ein Stil-Mischmasch aus Musik-Gig, Stadttheater-Ambition und Video-Workshop.
Birgit Minichmayr hat eine aufregende Stimme und beachtliches musikalisches Talent. Die gemeinsam mit einer vierköpfigen Combo gebrachten zehn Songs (von denen vier auf einer dem Programmheft beigelegten CD nachgehört werden können) haben jedoch nur eine geringe musikalische Bandbreite und verharren meist in balladeskem, melancholischem Sprechgesang, sind mehr Chansons als Rock-Songs und haben – wie eben beim “Flieger Robert” – nur selten eine überzeugende Melodie, die sich ohrwurmartig in die Gehörgänge schlängeln kann. Ein kurzes Aufblitzen als wilde Struwwelliese mit Mini-Akkordeon bleibt Intermezzo. Größere Bandbreite zeigt Minichmayr mit ihren ständig wechselnden Outfits (Kostüme: Marysol del Castillo) zwischen Kleiner Prinz und Diva. Darstellerisch hat sie keine Aufgaben – und so stellt sich der absurde Umstand ein, dass die “Schauspielerin des Jahres” an diesem Abend nicht auf der Bühne, sondern in der Garderobe am meisten zu tun hat.
Videos (Meika Dresenkamp) zeigen vorgedrehte Familienszenen und altes Filmmaterial mit Größen wie James Stewart oder Robert Mitchum, Petra Morze und Michael Masula illustrieren in verzichtbaren Zwischenszenen den häuslichen Kleinfamilien-Schrecken, ein Quintett von in Schuluniformen gesteckten Kindern muss sich von Jacques Palminger als schleimigen Entertainer vorführen lassen. In einem Land, in dem nicht nur in Eigenheimkellern private Schreckensregime errichtet werden, sondern die “Chronik”-Spalten beinahe täglich von der in Gewalt umschlagenden Ohnmacht sogenannter Erziehungsberechtigter erzählen, grenzt dieser “Struwwelpeter” an Verharmlosung. Freundlicher, nicht übermäßig euphorischer Applaus.