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Streit um Macht bei Regierungskonferenz

Der Streit um Macht und Einfluss in der Europäischen Union ist beim Auftakt der Regierungsverhandlungen über die neue EU-Verfassung voll entbrannt.

Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der bald 25 EU-Länder am Samstag in einer „Erklärung von Rom“ erneut, das Grundgesetz der EU vor der Europawahl am 13. Juni 2004 zu unterschreiben. Große Demonstrationen von Gewerkschaftern und Ausschreitungen kleinerer Gruppen von Globalisierungskritikern begleiteten die Konferenz. Es gab acht Verletzte und 50 Festnahmen.

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi als Gastgeber der Staats- und Regierungschefs aus den EU-Staaten, Beitrittsländern und Kandidatenstaaten sprach von einer „sehr schweren Aufgabe“, die aber planmäßig beenden werden solle. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) bekräftigte die Forderung, dass alle der künftig 25 EU-Staaten einen Kommissar mit Stimmrecht stellen müssten. Allerdings müssten nicht alle Kommissare über ein klassisches Ressort verfügen. Dies könne als Kompromissvorschlag der kleineren und mittleren Staaten interpretiert werden, sagte Schüssel.

Für einen Abschluss bis zum Dezember-Gipfel seien es kaum mehr als 60 Tage, sagte Berlusconi. Bei anderen Gelegenheiten habe die EU solche Aufgaben aber auch geschafft. Er sei überzeugt, dass diese Regierungskonferenz die Reformen der Institutionen für ein neues und größeres Europas zum Wohle künftiger Generationen einvernehmlich verabschieden werde. Zugleich rief Berlusconi seine Kollegen zu Kompromissbereitschaft auf.

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer zeigten sich nach den ersten Gesprächsrunden aber überzeugt, dass sich auch in den Hauptstreitfragen zum Schluss alle aufeinander zubewegen werden. Niemand stelle den Konvent-Entwurf grundsätzlich in Frage, sagte Schröder. Fischer bezeichnete das Verhandlungsklima als „konstruktiv und ergebnisorientiert“. Er fügte aber hinzu: „Am Ende brauchen wir Einstimmigkeit.“ Die nächste Verhandlungsrunde der Außenminister ist am 14. Oktober in Luxemburg.

Es gab in Rom auch schon erste Entscheidungen: So wird es den im Konvent-Vorschlag vorgesehenen Legislativrat zur Verabschiedung von Gesetzen nicht geben. Eine Mehrheit der Außenminister war dagegen. Fischer akzeptierte dieses Votum. Spanien und Polen forderten zudem, das Stimmengewicht der Staaten bei Mehrheitsentscheidungen in der EU nicht direkt an die Bevölkerungszahl zu koppeln, weil das ihren Einfluss reduzieren könnte. Spaniens Ministerpräsident Jose Maria Aznar signalisierte aber auch Gesprächsbereitschaft.

Ein zentraler Streitpunkt ist die geplante Verkleinerung der EU-Kommission. Die kleineren Länder – angeführt von Österreich – wollen am Prinzip festhalten, dass jedes Land einen voll stimmberechtigten Kommissar nach Brüssel entsendet. Schüssel hält eine politische Einigung auf die Verfassung bis zum Jahresende für möglich, wenn alle Staaten die nötige Konsensbereitschaft zeigten. Schüssel sprach von einem „neuen konstruktiven Geist“ bei der Debatte der Staats- und Regierungschefs. Niemand habe Interesse, den Verfassungsentwurf als solchen in Frage zu stellen.

Auch sei der italienische EU-Vorsitz bereit, über alle Fragen zu sprechen. Die Haltung Österreichs ist nach Worten von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (V) unverändert. Die Regierung bestehe weiterhin darauf, dass „jedes Land mit Sitz und Stimme“ in der EU-Kommission vertreten ist. Insgesamt unterstützten neun Länder die österreichische Forderung zur EU-Kommission, verlautete aus Delegationskreisen. Es sind dies Finnland, Portugal, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Lettland, Litauen, die Slowakei und Polen. Als „schwankend“ wurde allerdings die Position Sloweniens und Polens in diesem Punkt bezeichnet. Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt meinte, ein „Aufribbeln des Textes“ wäre ein „historischer Fehler“.

Eine Reihe von Staaten hielten bei der Aussprache weiter an ihren Einzelforderungen fest. Polen und Spanien bekräftigten die Forderung nach der Beibehaltung ihrer Stimmgewichtung nach dem Vertrages von Nizza, der beide Länder begünstigt. Der ungarische Ministerpräsident Peter Medgyessy forderte ein stärkere Berücksichtigung nationaler Minderheiten in der EU-Verfassung. Österreich unterstütze dies, betonte Schüssel. Nach den Worten Ferrero-Waldners gibt es weitgehenden Konsens darüber, dass der im Verfassungsentwurf vorgesehene Legislativrat, der anstelle des bisherigen EU-Ministerrats Gesetze erlassen soll, nicht eingerichtet wird.

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