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Steiniger Weg

"Probleme haben die von draußen – wir können mit dem Stein." (Lothar Ladner, Bürgermeister)
"Probleme haben die von draußen – wir können mit dem Stein." (Lothar Ladner, Bürgermeister) ©Christian Grass
Lorüns - Wenn’s denn wahr wäre, das Lied vom Fortschritt, vom „immer mehr, immer höher“ ... Ganz unterschiedliche Voraussetzungen lassen es tüchtig eiern, und wenn’s gar abbricht, dann zeigt sich: Ganz anderes zählt!

Man könnte meinen, diese Erfahrung – gültig nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für Gemeinschaften – sei etwas Seltenes in unserer bangen Fortschrittsglaubenswelt. Etwas Wertvolles gar? Für manche freilich gehört sie zur Lebenswelt. Die Gemeinde Lorüns etwa, die zwischen Sonne und Wasser die Wahl hat – am engen Taleingang ins Montafon gelegen, immer vom Hochwasser der Ill bedroht und von den steil aufsteigenden Ausläufern von Rätikon und Verwall bedrängt. Dennoch ist die bescheidene Ebene seit dem Mittelalter besiedelt, haben sich zwei Ortszentren – sonnig um die Kirche und hochwassergeschützt ums Gemeindeamt – und eine kleinmaßstäblich bäuerliche Subsistenzwirtschaft gebildet. Viel war da freilich nicht zu holen, zusätzliche Einkünfte nötig – so etwa in der Waldwirtschaft.

Was für ein Segen war da die Entwicklung, die um 1900 einsetzte und auf die Rohstoffe zurückgriff, die buchstäblich unendlich anstanden, direkt vor der Türe: Stein und Wasser. Damals begann auf Gemeindegrund die Herstellung von Zement – 1907 als Zementwerk Lorüns etabliert. Der enorme Energiebedarf wurde durch ein eigenes Wasserkraftwerk (1900, ergänzt 1926) bereitgestellt, der Transport durch die Eisenbahn (ab 1905) bewältigt. Von rund 15 Höfen stieg die Zahl auf 25 im Jahr 1900. Etwa die Hälfte der Bewohner fand Arbeit im Zementwerk oder im Kraftwerk – 1986 waren es 128 Arbeitsplätze.

Für eine Gemeinde mit rund 300 Einwohnern starke Bindung – zumal der Anteil der Landwirtschaft stetig zurückging. Man kann von einem Industriedorf sprechen – Arbeiterbauern, Nebenerwerbswirtschaft, Kleinhöfe, die ab den 60er-Jahren durch Wohnhäuser ähnlicher Größe ergänzt wurden, vorwiegend in Stein errichtet, noch lange im Stil der 30er-Jahre. Das prägt das Dorfbild noch heute.

Und dann die letzten Jahrzehnte: Das Eigentum am Zementwerk wandert von einem internationalen Baukonzern zum andern. 1994 wird das Mahlwerk stillgelegt, 2011 der gesamte Betrieb. Einige Arbeitplätze werden in neuen, mittelständischen Betrieben bereitgestellt, die meiste Arbeit wandert jedoch ins nahe gelegene Bludenz. Der Ort muss sich neu besinnen und entdeckt eine neue Ressource: die Gemeinde. Mit dem Programm: Neue Mitte für ein naturnahes Wohnen.

Wichtige Baumaßnahmen fielen mit dem Rückzug des Zementwerks zusammen – so die Erweiterung der Schule um Turnhalle und Klassentrakt durch Architekt Oskar Ganahl 1995. Zwei Baukörper mit Pultdächern, dazwischen die Pausenhalle, Pflichtprogramm als Massivbau, in den Fassaden der frühen Vorarlberger Moderne verpflichtet mit ihrer Vorliebe für Holz.

Entschiedener 2007 die Erweiterung des Friedhofs aus den 60er-Jahren und dem Bau einer Aussegnungskapelle. Das Bekenntnis zum Beton tragen die Architekten Lang-Vonier in ungeschminktem Material, betontem Volumen und ausgewogenen Proportionen überzeugend vor – gesteigert durch den Kontrast zum Holz der umliegenden Wälder. Die harte Schale aus hellem Beton ist raumhaltig mit sägerauer Weißtanne ausgeschlagen. Die anschließende neue Friedhofsmauer und der neu gestaltete Kirchplatz runden dieses Ortszentrum ab.

Die Erneuerung des zweiten Ortsteils erhält mit dem Neubau einer Wohnanlage nach Wettbewerbserfolg des Architekturbüros Achammer ab 2008 einen wichtigen Impuls – mit dem Bestand bildet sich ein kleiner Platz. Knappe Geometrie, flaches Satteldach und Fensterbänder bezeugen die neue Architektursprache, Faserzementplatten den besonderen Ortsbezug. Zu erwähnen ist aber auch die anspruchsvolle Sanierung eines der letzten Bauernhäuser in direkter Nachbarschaft.

Mit dem 2009 gefassten Entschluss, an Stelle des nicht mehr zu sanierenden Gemeindeamtes einen Neubau zu errichten und die beengten Verhältnisse der Feuerwehr mit zu ordnen, erfolgt die wichtigste Weichenstellung. Die Feuerwehr ist vor allem wegen des Hochwasserschutzes allseits präsent, das 1801 errichtete Gemeindeamt diente auch als Armen-, Handwerker- und Lehrerhaus. Ein Wettbewerb 2010 sollte die beste Lösung für ein neues Gemeindehaus bringen. Doch es kam anders.

Die Jury gab dem Entwurf, der Feuerwehr und Gemeinde in getrennten Bauten unterbrachte, den Vorzug – funktionale Aspekte und solche des baulichen Maßstabs waren ausschlaggebend. Dennoch: Es ist ein Ganzes – zusammengebunden durch die Gestalt und den gemeinsamen Platz. „Die Jury“, so erinnert sich Architekt Michael Achammer, „hat sich ungewöhnlich engagiert und diesen Wechsel der Auffassung kommuniziert, sodass seither die Leute immer gut mitgespielt und das Projekt bewundernswert getragen haben.“

Im Oktober 2012 erfolgte die Einweihung. Wo die Hauptstraße des Orts eine Querstraße kreuzt, öffnet sich ein Platz, gerahmt von einer Komposition aus drei Baukörpern: dem weitgehend geschlossenen des Feuerwehrhauses, dem sich mit großen Fenstern und eingezogenem Eingang zu Platz und Tal öffnenden Gemeindehaus, im Hintergrund der Schlauchturm. Ein Spiel mit Volumen, deren Dimension die umliegenden Bestandsbauten in der Platzbildung einbezieht.

Vorherrschend ist das Grau – der Bauten, des Pflasters, des Brunnens, des großen Findlings. Die Bauten betonen den geschlossenen Körper, als wären sie selbst große Steine, zueinander verschoben und verdreht, mit kräftigen Öffnungen. Was wie monolithischer Stein ausschaut, ist grau lasiertes Holz, die Wetterschale einer annähernd 60 cm starken Holzständerfassade im Passivhausstandard. Nur in dieser Konstruktion sei das zu erschwinglichen Preisen möglich gewesen.

Der tief ins Gebäude gezogene Eingang lässt weitere Bezüge erahnen und tatsächlich öffnet dieses großzügige Foyer mit einfacher, doch fast repräsentativer Treppe das Gebäude nach hinten und oben. Rechts liegen Gemeindebüros, daneben das Bürgermeisterzimmer, weiter hinten ein Besprechungsraum, links Nebenräume. Die Treppe führt zum Sitzungssaal mit Blick auf Platz und Ortschaft und zum Archiv. Saal, Foyer, Büros und Besprechungsraum lassen sich zu einem einzigen Gemeinderaum verknüpfen.

Scheinbar geschlossen gibt sich das Feuerwehrhaus nebenan. Die Orientierung ist gedreht. Der Platz soll nicht durch Technik – und sei es nur optisch – beeinträchtigt werden. Fahrzeugboxen mit verglasten Toren, Umkleiden, Lager, Werkstätten und Übungsräume entfalten sich ungehindert nach hinten. So entfaltet der neue Platz die „inneren Werte“ der Ortschaft – „eigentlich ist es wirklich ein ganz schöner Ort“, betont Architekten- Partner Frank Hinterleithner, „gerade nach hinten hinaus.“ Die Lösung der Verkehrsfrage ist für den Bürgermeister die wichtigste Zukunftsaufgabe: in einen Tunnel damit. Da ist er wieder, der Stein: „Die Gemeinde ist mit dem Stein groß geworden, das ist ihr Thema.“, so Michael Achammer. Eine Probe davon bekam die Gemeinde 2010 mit einer Betonkonstruktion, der Alfenzbrücke des Büros Marte+Marte. „Laute Proteste kamen hauptsächlich von außen“, so der Bürgermeister, „uns hier hat sie von Anfang an gefallen.“

Daten & Fakten

Objekt: Abbruch und Neubau Gemeindeamt und Feuerwehrhaus Lorüns

Bauherr: Gemeinde Lorüns Immobilienverwaltungs GmbH

Planung: Achammer Architektur, Nenzing

Statik: Amiko Bauconsult, Bludenz

Bauphysik: Spektrum, Dornbirn

Wohnnutzfläche:

  • Gemeindeamt: 250 m²
  • Feuerwehrhaus: 290 m²

Keller: Feuerwehruntergeschoß 82 m²

Grundstücksgröße: 1834 m²

Planung: 2011

Ausführung 2011–2012

Baukosten: ca. 2.400.000 Euro

Bauweise: 

  • Gemeindeamt: Keine Unterkellerung, Bodenplatte, Holzelementbauweise gesamt
  • Feuerwehr: Mischbauweise; Fahrzeughalle und Untergeschoß massiv, ansonsten Holzelementbauweise; Turm und Schlauchteil aus Stahlbetonfertigteilen; Fußböden: Teppich, Flüssigzementböden; Heizung: Wärmepumpe mit Brunnenbohrung; Innenwände: Gipskarton; Innendecken: Tanne grau lasiert; Fenster: Holz-Alu grau lasiert

Ausführung:

  • Baumeisterarbeiten: Tomaselli, Nenzing;
  • Zimmerer: Kieber, Schruns;
  • Fenster: Hartmann, Nenzing;
  • Innenausbau: Burtscher, Ludesch

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

Weitere Porträts ausgezeichneter Gemeinden aus Vorarlberg und ganz Österreich zeigt die Ausstellung LandLuft Baukulturgemeinde-Preis 2012:
Wann: 28. 11. 2012–26. 1. 2013
Wo: vai, Marktstraße 33, Dornbirn
Eröffnung: Dienstag, 27. 11. 2012, 19 Uhr

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