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Erwachsenenschutzgesetz von Regierung doch für 1. Juli geplant

Hartinger Klein zeigt sich über den Stopp des Erwachsenenschutzgesetzes erstaunt.
Hartinger Klein zeigt sich über den Stopp des Erwachsenenschutzgesetzes erstaunt. ©APA/ROLAND SCHLAGER
Laut Justizministerium ist als Start für das Erwachensenschutzgesetz nun doch – wie ursprünglich vorgesehen – der 1. Juli geplant. Die Finanzierung ist nach wie vor offen.
Regierung plant Verschiebung
Finanzierung als Streitfrage
Verschiebung aus Kostengründen
Lebenshilfe enttäuscht

“Die Finanzierung muss nach wie vor geklärt werden”, sagte eine Sprecherin von Justizminister Josef Moser (ÖVP). Darüber hinaus wollte man weder im Justiz- noch im Finanzministerium von Ressortchef Hartwig Löger (ÖVP) nähere Auskünfte erteilen und verwies auf die bereits getroffenen Aussagen in der vergangenen Woche. Letzten Donnerstag hatte es seitens des Finanzministeriums geheißen, dass es keine zusätzlichen Mittel geben könne und das Justizministerium durch Umschichtungen in seinem Budget seine Aufgaben zu gewährleisten habe. Aus dem Justizministerium hieß es wiederum, dass die Finanzierung des Erwachsenenschutzgesetzes Teil der Budgetverhandlungen sei. Gleichzeitig betone damals Justizminister Josef Moser, die gesamte Regierung sei dafür, “dass das Gesetz rechtzeitig in Kraft tritt.”Auch Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) hatte am vergangenen Dienstag bekannt gegeben, dass das Gesetz wie geplant kommen werde.

Moser, dessen Ressort für die Ersatzregelung für das Sachwalterrecht zuständig ist, hatte nach dem letzten Ministerrat am Dienstag erklärt, er stehe hundertprozentig zu dem Gesetz, es koste aber 17 Mio. Euro pro Jahr, und wenn es tatsächlich mit 1. Juli 2018 in Kraft treten solle, brauche er die entsprechende Bedeckung durch den Finanzminister. Bereits zuvor hatten betroffene Organisationen berichtet, sie seien von der Regierung über die Verschiebung des Gesetzes informiert worden. Vergangenen Montag war durchgesickert, dass der Start des Projekts aus Geldmangel um zwei Jahre verschoben werden soll, was nun offenbar revidiert wurde.

Finanzierung des Erwachsenenschutzgesetzes noch unklar

Laut APA-Informationen war zwischen dem früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), unter dem das Gesetz entstand ist, und dem damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) vereinbart, dass die Maßnahmen, die im Gesetz vorgesehen sind, über die Rücklagen des Justizressorts finanziert werden. Der APA liegt die entsprechende Vereinbarung vom Juni 2017 schriftlich vor. Diese Vereinbarung ist eigentlich noch immer gültig. Demnach könnte Moser jederzeit auf diese Mittel zurückgreifen.

ÖVP-Seniorenbundchefin Ingrid Korosec erklärte unterdessen am Montag gegenübwer der APA, dass das Gesetz per 1. Juli in Kraft treten wird. Zur Finanzierung traf die ÖVP-Politikerin keine Aussage.

Das Gesetz, das im Vorjahr von allen Parteien im Parlament einstimmig beschlossen wurde, sollte das 30 Jahre alte Sachwalterrecht ablösen. Damit sollte die Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung nicht mehr pauschal eingeschränkt werden. Es sind abgestuft Formen der Vertretung vorgesehen, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Mensch Unterstützung benötigt.

NEOS empört über Vorgehen der Regierung

Verwundert über die Diskussion zeigte sich am Montag FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan. Er habe bis jetzt keine Information diesbezüglich. Es sei ihm klar, dass das Vorhaben einen hohen finanziellen Aufwand bedeute, hoffe aber, dass das Gesetz wie geplant kommt: “Ich wäre sehr enttäuscht, wenn das nicht käme”, sagte er.

Empört auf die Diskussion reagierte NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. “Es ist nicht einzusehen, dass hier am Rücken der Schwächsten Einsparungen gemacht werden, die nicht einmal annähernd budgetrelevant sind”, erklärte er per OTS-Aussendung. “Wenn das Justizministerium das Budget nicht hat, dann erwarte ich vom Finanzminister, dass hier eine andere Möglichkeit gefunden wird.” Dies sei “eine Frage der Prioritätensetzung und letztendlich auch des Anstandes”.

Erwachsenenschutzgesetz aus Geldmangel verschoben

Die Umsetzung des Gesetzes kostet 17 Mio. Euro im Jahr und soll aus Geldmangel um mindestens zwei Jahre verschoben werden. Dabei hat sich herausgestellt, dass der finanzielle Aufwand für die Umsetzung der Maßnahmen im Zuge der Gesetzwerdung absichtlich schöngerechnet wurde. Im Begutachtungsentwurf aus dem Jahr 2016, der vom damaligen Justizminister und künftigen Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter (ÖVP) erstellt wurde, ist man von einem Finanzierungsaufwand von rund 17 Mio. Euro im Jahr ausgegangen. Im späteren Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2017 wurden die Kosten nur mehr mit rund 10 Mio. Euro im Jahr angegeben und sollten in den Folgejahren kontinuierlich sinken und bis 2022 auf Null zurückgehen. Das dürfte allerdings nicht der Realität entsprechen. Laut Begutachtungsentwurf werden die Kosten in den kommenden Jahren nicht sinken, sondern steigen. Auch Justizminister Moser bestätigte, dass er für die Umsetzung 17 Mio. Euro im Jahr braucht und forderte von Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) zusätzliches Geld. Dieser erteilte diesem Ansinn bisher eine Absage.

Betroffenenvereine von Verschiebung überrascht

Für die gemeinnützigen Erwachsenenschutzvereine, die sich um Sachwalterschaften kümmern, kam die Ankündigung, dass das Gesetz nicht wie geplant in Kraft tritt, vergangenen Montag völlig überraschend. Sie waren mitten in den Vorbereitungen zur Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen und mussten dutzenden Menschen, die bereits eine Jobzusage hatte, wieder absagen.

Betroffene fühlen sich von Regierung “verarscht”

“Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes verarscht.” Mit diesen deftigen Worten haben Behindertenvertreter bei einer Pressekonferenz am Montag auf die Pläne der Regierung zum Erwachsenenschutzgesetz reagiert. Der neuestes Stand der Dinge ist nämlich, dass das Gesetz nicht verschoben wird, sondern wie geplant in Kraft tritt, allerdings ohne die für die Umsetzung benötigte Finanzierung. Nach Einschätzung der Betroffene ist das die schlimmste Variante von allen. “Es nützt uns das beste Gesetz nichts, wenn es nicht umsetzbar ist”, sagte Behindertenrats-Präsident Herbert Pichler. “Ohne Geld ka Musi. Ohne finanzielle Mittel könne das Gesetz nicht umgesetzt werden”, betonte er. Es nütze nichts, wenn das Gesetz in Kraft tritt, es müsse auch “mit Leben erfüllt” werden.

“Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes verarscht”, zeigte sich Martin Ladstätter vom Verein “Selbstbestimmt Leben” empört. Wenn das Gesetz wie von der Regierung geplant ohne Finanzierung in Kraft trete, mache sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) “zum Totengräber des Erwachsenenschutzgesetzes”. Für die Betroffenen sei es völlig unverständlich, dass Kurz für hilfsbedürftige Menschen keine 17 Mio. Euro zur Verfügung stelle, aber für Großindustrielle über die Körperschaftssteuer ein Steuergeschenk von 1.500 Mio. Euro plane. Die 17 Mio. Euro, die für das Erwachsenenschutzgesetz benötigt werden, “werden die Republik nicht arm machen”, so Ladstätter.

Verschiebung des Gesetzes als “worst-case-Szenario”

“Nicht nur das Wetter, die Politik wird vielleicht auch kälter”, zeigte sich auch Behindertenanwalt Hansjörg Hofer von der Regierung enttäuscht. Ein Inkrafttreten ohne finanzielle Absicherung “ist das schlimmste, was passieren kann”, so Hofer.

Ähnlich sah das auch Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter. Die Regierung könnte stolz sein, wenn dieses gute Gesetz in ihrer Legislaturperiode in Kraft tritt. “Es ist widersinnig ein Gesetz in Kraft treten zu lassen, dafür aber das Geld nicht bereitzustellen. Damit ist das Gesetz nur teilwirksam und damit gar nicht wirksam. 17 Mio. Euro sind zwei Promille des gesamten Budgets.” Wenn es sein müsse, sollten sie durch Verschuldung bereitgestellt werden. “Das würde keinen Staatsnotstand auslösen, aber Verbesserung für 60.000 Menschen bringen”, so Brandstätter.

Der Geschäftsführer des Vereins “Vertretungsnetz”, Peter Schlaffer, sprach von einem “worst-case -Szenario” für die Vereine, die sich um Sachwalterschaften kümmern. Wenn das Gesetz ohne Finanzierung in Kraft trete, stelle das die Vereine vor einer unlösbaren Aufgabe. Denn sie hätte mit den neuen Bestimmungen eine Fülle von Aufgaben, die sie ohne zusätzliches Personal schlicht nicht bewältigen können. “Es gibt keine Lösung ohne die entsprechende Mittel”, stellte er unmissverständlich klar.

Betroffene musste Jobabsage hinnehmen

Mit dem neuen Erwachsenschutzgesetz hätten viele neue Arbeitsstellen geschaffen werden sollen. Vergangenen Montag haben die Vertretervereine plötzlich ihre Jobzusagen wieder zurücknehmen müssen, da die Finanzierung der neuen Bestimmungen nicht mehr gesichert war. Eine Betroffene, die anonym bleiben will, zeigte sich im Gespräch mit der APA enttäuscht. Die 23-Jährige hätte nach dem Studium beim Verein “Vertretungsnetz” als Erwachsenenvertreterin beginnen sollen.

“Ich bin am 20. Februar telefonisch informiert worden, dass das Erwachsenenschutzgesetz verschoben wird. Als Konsequenz daraus wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht wie geplant beim Sachwalterverein angestellt werde. Das betrifft neben mir auch 50 weitere Arbeitsstellen, die abgesagt wurden. Ich habe Soziale Arbeit studiert und mein Studium heuer abgeschlossen. In den Lehrveranstaltungen war die geplante Gesetzesänderung Thema, welche hinsichtlich der Selbstbestimmung von betroffenen Menschen eine enorme Verbesserung verspricht. Diese vermehrte Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen ist auch ein geforderter Punkt in der UN-Behindertenrechtskonvention, die von Österreich unterzeichnet wurde. Deshalb erachte ich es als äußerst rückschrittlich, wenn man das Erwachsenenschutzgesetz aufgrund fehlender Finanzierung verschiebt. Hier wird Politik auf dem Rücken von Menschen mit Behinderung und jenen, die sie unterstützen, gemacht”, so die junge Frau, die nun wieder auf Jobsuche ist.

SPÖ sieht “Verhöhnung”

Scharfe Kritik am Vorgehen der Regierung beim Erwachsenenschutzgesetz haben am Montag SPÖ und Liste Pilz geübt. Die Betroffenen und NGOs werden von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinen Regierungskollegen “verhöhnt” und “zum Narren gehalten”, sagte Ulrike Königsberger-Ludwig, SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung. Dies sei einer Bundesregierung unwürdig. “Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten werden hin- und hergeschoben.” Als “besonders perfid” bezeichnet die Abgeordnete, dass das Gesetz nun wohl in Kraft treten soll, allerdings ohne Bereitstellung der benötigten finanziellen Mittel. Das Herzstück dieses Gesetzes sei das sogenannte “Clearing”. Das ist der Prozess, der entscheiden soll, welche Form von Unterstützung der betroffene Mensch erhalten soll. “Wenn dafür nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, ist das ganze Gesetz nicht umsetzbar”, so Königsberger-Ludwig.

“Ohne verbindliche Finanzierungszusage wird dieses Gesetz nicht mit Leben erfüllt werden können. Die Forderungen der Interessensverbände und Selbsthilfegruppen müssen gehört werden. Nur dann kann der angestrebte Paradigmenwechsel von der Bevormundung zur Unterstützung der Betroffenen gelingen”, hielt der Klubobmann und Gesundheitssprecher der Liste Pilz, Peter Kolba, fest. Er forderte von den zuständigen Ministerien, einen Runden Tisch mit den Verbänden einzuberufen.

Hartinger-Klein für “Ende der Verunsicherung”

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat am Montagnachmittag ein “Ende der Verunsicherung” beim geplanten Erwachsenenschutzgesetz gefordert. “Das Erwachsenenschutzgesetz wird ohne weitere Verzögerungen umgesetzt. Das hat mir Justizminister Josef Moser in einem Telefonat zugesichert”, erklärte sie in einer Aussendung.

Sie freue sich, “dass die unsägliche Verunsicherung der Schwächsten in unserer Gesellschaft sofort ein Ende finden kann”, so die Ressortchefin, die auf die “anhaltenden Diskussion” rund um das geplante Gesetz verwies. Zur finanziellen Bedeckung der Pläne machte sie in ihrer Presseaussendung – wie auch die anderen Regierungsmitglieder zuvor – keine Angabe.

Das Erwachsenenschutzgesetz betreffe “all jene Menschen, die aus welchen Gründen auch immer ihren eigenen Willen nicht mehr selbst artikulieren können”, so die FP-Ministerin. “Im Kern geht es bei dem Gesetz darum, wie der Betroffene selbst, seine Familienangehörigen, Vertrauenspersonen oder Fachleute heranzuziehen sind, um den Willen der Betroffenen bestmöglich zu wahren.” Gerade in einer Zeit, in der die Grenzen des medizinisch Machbaren “mitunter weit darüber hinausgehen, was Patienten sich selbst antun möchten”, bedürfe es transparenter Regelungen und einer klaren Hierarchie, wie Einwilligung, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Erwachsenenvertretung zusammenspielen und ineinandergreifen, so die Ministerin zu den Plänen.

APA/Red.

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