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"Sollten gewappnet sein, dass das jederzeit wieder passieren kann!"

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VGT-Vorarlberg-Aktivistin Ann-Kathrin Freude (30) im W&W-Talk über Tierschutzarbeit im Lockdown, Corona als Resultat des Fleischkonsums und eine unüberschaubare Informationsflut.

von Harald Küng/Wann & Wo

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WANN & WO: Inwiefern hat das Coronavirus eure Arbeit in den vergangenen Wochen beeinträchtigt? Kann effektiver Tierschutz aus dem Home Office betrieben werden?

Ann-Kathrin Freude: Viele stellen sich unsere Arbeit sehr spektakulär vor. Tatsächlich verbringen wir aber viel Zeit vor dem Computer. In unserem Alltag hat sich also durch Corona recht wenig geändert. Weggefallen ist allerdings eines der wichtigsten Standbeine unserer Arbeit: die regelmäßigen Infostände und Aktionen auf den Wochenmärkten. Das hat unsere direkte Verbindung zur Bevölkerung kurzzeitig gekappt. Schlimm war auch, als wir erfahren haben, dass viele Tiere in den Grenzstaus feststecken und wir nicht hinfahren und ihnen helfen können. Leider ist es in unserem Beruf recht oft der Fall, dass wir von Leid erfahren, das wir nicht verhindern können.

WANN & WO: Das Virus bestimmt  seit Monaten die Berichterstattung. Hast du Sorge, dass Themen wie die Kälbertransporte dadurch gesellschaftlich und politisch wieder in Vergessenheit geraten?

Ann-Kathrin Freude: Zu Beginn der Corona-Situation dachten wir tatsächlich, die Kälbertransporte würden aus den Medien verschwinden. Durch den großen Aufschrei in der Bevölkerung aufgrund der an den Grenzen feststeckenden Tiere hatten die Medien österreichweit aber weiterhin großes Interesse an Tiertransporten. Da das Thema somit direkt mit Corona verknüpft war, konnten wir die ersten Wochen umfangreich berichten. Auch auf politischer Ebene wurde das Thema weiterhin behandelt – wenngleich Corona dabei natürlich deutlichen Vorrang erhielt. Tierschutzminister Rudolf Anschober hatte ja sogar durch den öffentlichen Druck ein Gipfeltreffen zu unserer letzten Veröffentlichung in Sachen Tiertransporte anberaumt – das dann aber wegen der aktuellen Situation leider verschoben wurde.

WANN & WO: Anschober unterzeichnete zudem einen neuen Erlass zu Tiertransporten, der die Auflagen dafür verschärft hat (WANN & WO berichtete). Zeigen sich hier schon Ergebnisse?

Ann-Kathrin Freude: Dass sich Herr Anschober persönlich gegen Tiertransporte stark macht und sich als Tierschützer bezeichnet, ist für die Tiere ein großer Gewinn. Der Erlass ist definitiv als ein großer Schritt in die richtige Richtung zu werten – konnte aber bisher nicht verhindern, dass weiterhin Transporte in weit entfernte Drittländer stattfinden. Und das, obwohl selbst Russland (ein wichtiges Transitland für Destinationen in Zentralasien) vor Kurzem offiziell bestätigt hat, was wir seit Langem anprangern: Es gibt keine einzige zugelassene Versorgungsstation in Russland. Damit sind sämtliche Transporte über Russl­and seit jeher illegal!

WANN & WO: Im März hieß es seitens des VGT, der Fleischkonsum wäre schuld am Ausbruch von Sars-CoV-2. Was wäre die Lösung? Dass die gesamte Menschheit nun vegan wird, ist ein utopischer Gedanke.

Ann-Kathrin Freude: Forscher sind sich ziemlich einig, dass das Coronavirus von einem Wildtiermarkt kommt. Wenn man sich die Zustände auf diesen Märkten anschaut, ist das auch nicht wirklich verwunderlich. Nun aber zu fordern, diese Märkte zu schließen, ist für mich nicht alleine heilsbringend. Die Tierhaltung in allen anderen Teilen der Welt sieht in den meisten Fällen auch nicht viel „sauberer“ aus. Auch hierzulande leben Tiere ihr kurzes Leben lang zum Großteil in ihren eigenen Ausscheidungen. Dass das ein idealer Lebensort für Erreger aller Art ist, kann man sich denken. Fast alle Pandemien der letzten Jahrzehnte wurden durch den Verzehr von Tierprodukten oder die Haltung von Tieren ausgelöst. Corona führt lediglich die lange Reihe weiter: Sars, Mers, HIV, Ebola und nun eben das neue Coronavirus. Hier hilft nur weniger Konsum tierischer Produkte. Und das sagen nicht wir als Tierschützer – das sagt die Wissenschaft.

WANN & WO: Glaubst du, dass die Gesellschaft von Corona lernt?

Ann-Kathrin Freude: Ich sehe Corona als Warnschuss – wir sollten gewappnet sein, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann! Die Menschheit wächst rasant weiter und geht dabei immer verschwenderischer und zerstörerischer mit der Umwelt um – und das mit einer Selbstverständlichkeit, die für mich ein bisschen an Wahnsinn grenzt. Wir drängen Wildtiere in immer engere Lebensräume zurück und halten unsere Nutztiere im Allgemeinen unter miserablen Bedingungen, in denen Infektionen vorprogrammiert sind. Schon jetzt sind die Haltungsbedingungen Herde für multiresistente Keime, da standardmäßig große Mengen Antibiotika zur Anwendung kommen und Bakterien dagegen Resistenzen bilden. Das bereitet mir  große Sorgen. Aber auch unser Umgang mit schwer recyclebarem Abfall oder mit dem Klimawandel ist extrem verantwortungslos und wird uns mit Sicherheit vor noch weit schwerwiegendere Probleme stellen, als Corona. Wenn wir jetzt nicht lernen, bedachter mit unserer Lebensgrundlage umzugehen, dann sehe selbst ich als Optimistin schwarz für unsere Zukunft.

WANN & WO: Wie nimmst du den aktuellen Umgang der Ländle-Politik mit den Themen Tier- und Umweltschutz wahr?

Ann-Kathrin Freude: Corona hat gezeigt, wie wenig krisensicher unsere Landwirtschaft ist. Durch die hohe Spezialisierung unserer Betriebe und die große Abhängigkeit von Import und Export gibt es wenig Handlungsspielraum. Geht etwas schief, stehen alle anderen Bereiche ebenso auf der Kippe. Wir exportieren Milch, Käse und unsere Kälber und importieren Futtermittel. Was uns bleibt, ist die Gülle. Besonders absurd ist die Tatsache, dass wir ebenso viele Tiere importieren, wie wir exportieren. Das sind keine guten Voraussetzung für die Zukunft. Uns alarmiert auch, dass Landeshauptmann Wallner das Regierungsprogramm neu verhandeln möchte, um ökologische Themen zurückzureihen. Das wäre fatal! Die Grünen haben zuletzt auf eine aktuelle Studie der Universität Oxford hingewiesen, die besagt, dass es sich für einen Staat wirtschaftlich absolut lohnt, in Ökologie zu investieren. Wenn wir als kleines Ländle weiterbestehen wollen, sollten wir das dringend tun.

WANN & WO: Seit den Lockerungen gehen immer mehr Menschen aus Protest auf die Straße. Neben Demonstranten, die ihre Grundrechte gefährdet sehen, mischen sich auch Verschwörungstheoretiker, die 5G oder Bill Gates für das Virus verantwortlich machen. Wie siehst du das Ganze?

Ann-Kathrin Freude: Es ist für alle eine neue, beängstigende Situation. Leere Straßen und Menschen mit Schutzmasken kennen die meisten nur aus Horrorfilmen. Der Mensch reagiert in Krisen auch immer gleich: Ein Schuldiger muss her, dann ist alles wieder gut. Leider ist das nicht so einfach. Wir leben in einer komplexen Zeit mit einer solchen Informationsflut, dass wir oft gar nicht mehr alles verstehen, was um uns herum passiert. Wir haben gelernt, misstrauisch zu sein und dass der Begriff „Experte“ nicht immer etwas bedeuten muss. Fakten scheinen austauschbar, zu jeder Studie gibt es scheinbar eine Gegenstudie. Dabei ist sich die Wissenschaft in vielem erstaunlich einig. Das bekommen wir nur nicht mehr mit, weil es bereits um das nächste Thema geht. Das ist für mich auch eine der größten Herausforderungen der Zukunft: Wenn wir den Fakten nicht mehr glauben, werden wir auch den Klimawandel oder die nächste Pandemie nicht aufhalten können.

Kurz gefragt

Wann hast du deinen letzten ­Hamburger gegessen? Letzte Woche – natürlich einen vegangen von Vegan Burger in Dornbirn (schmunzelt).

Blickst du positiv in die Zukunft? Absolut! Ich bin ein positiver Mensch.

Warum machst du dich für Tiere stark? Ich kann nicht anders. Wir haben eine Verantwortung für unsere ­Mitgeschöpfe.

Was ist dein größter Wunsch in Sachen Tierschutz? Die Menschen sollten endlich ­verstehen, dass Tiere uns verdammt ähnlich sind.

Als Tierschützer steht man oftmals im Visier der Behörden. Was gibt dir die Kraft, immerweiterzumachenn – unabhängig von möglichen ­Konsequenzen? Ich weiß, dass es das Richtige ist und dass es nicht einfach so jemanden geben wird, der meinen Job übernehmen würde. Und die Versuche, uns einzuschüchtern, sind ein Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Zur Person: Ann-Kathrin Freude

Wohnort, Alter: Bregenz, 30
Ausbildung/Funktion: Geschwister-Scholl-Gymnasium in Stuttgart, Architekturstudium Kunstuniversität Linz sowie Universitätslehrgang Überholz, Campaignerin bei Verein gegen Tierfabriken (VGT) Vorarlberg
Hobbys: Trailrunning, Ernährung, Tanzen

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