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"Sind zur Zuversicht verdammt!"

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Kriemhild Büchel-Kapeller vom Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung über Auswirkungen der Corona-Zeit auf die Zukunft Vorarlbergs.

WANN & WO:  Corona hat die ganze Welt lahmgelegt. In welchen Bereichen wird die Krise die weit-reichendsten Folgen haben?

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Kriemhild Büchel-Kapeller: Ob Gesundheit, Arbeit, Bildung oder das Miteinander – es gibt keinen Bereich, der nicht vor einem Wandel steht. „Never waste a crisis“: Entscheidend wird sein, ob wir die richtigen Weichenstellungen rechtzeitig schaffen – Stichworte dazu sind etwa der New Green Deal oder die Umsetzung der 17 Sustainable Development Goals der UNO für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung.

WANN & WO: Besonders hart getroffen hat Corona die heimische Wirtschaft und den Tourismussektor. Wie können diese Bereiche wieder in Fahrt gebracht werden?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Es geht nicht nur um Reisefreiheit, sondern auch um die Veränderung der Verbraucher- und Reisegewohnheiten. Auch weitere wirtschaftlichen Folgen müssen bedacht werden: Einkommensausfälle, Einsparungen bei Transferzahlungen sowie Einbußen bei Urlaubsbudgets durch Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit. Es braucht einen langen Atem! Wobei der Tourismus auf dem Land gegenüber Großstädten besser abschneidet, was wiederum für den Tourismus in Vorarlberg spricht. Hoffentlich wird die Krise nachhaltigen Tourismus stärken, damit Verantwortliche einschreiten, anstatt aus Profitgier die Natur und Gesundheit der Gäste aufs Spiel zu setzen. Denn das rächt sich bei der Nachfrage, wenn die Region ihr Aushängeschild, eine intakte Natur und ihre Reputation für Sicherheit (Causa Ischgl), verliert. Die Qualitätsfrage gewinnt an Bedeutung, Reiseziele werden bewusster ausgesucht.

WANN & WO: Besonderen Ideenreichtum beweist schon jetzt die Veranstaltungsbranche. Wie wird sich die Art und Durchführung von Events noch weiterentwickeln?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Das Bedürfnis nach Entertainment wird nach der Krise größer sein als jemals zuvor. Die Zukunft liegt in hybriden Eventformaten mit realer und virtueller Begegnung. So gab es schon jetzt eine Verschiebung von Live-Konzerten zu Streaming-Veranstaltungen. Dabei konnte eine gewisse Anzahl glückliche Gewinner vor Ort unter entsprechenden Hygienebedingungen feiern, während die anderen online teilnahmen. Die Digitalisierung ermöglicht hinsichtlich interaktiver und kollektivem Ablauf neue Dimensionen. Die Hemmschwelle an digitalen Events teilzunehmen, ist quasi über Nacht verschwunden. Gleichzeitig sind progressive Formen von analogen Events, deren Konzeption nicht auf Massenansammlungen beruht, stärker gefragt. Ich war zum Beispiel mit meiner Familie bei einem Picknick-Konzert – es war genial.

WANN & WO: Keiner hätte wohl mit den verheerenden Auswirkungen der Pandemie rechnen können. So musste sich auch das Gesundheitswesen schnellstens auf den Ernstfall vorbereiten. Wie muss sich der Gesundheitsbereich verändern, um künftig für ähnliche Notfälle besser vorbereitet zu sein?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Hier überschreite ich meinen Kompetenzbereich. Sicher ist jedoch, dass Prävention noch mehr an Bedeutung gewinnen wird: Gesundheit fördern, statt Krankheit vermeiden. Auch die Frage nach der Systemrelevanz hat durch die Pandemie eine neue Dimension erreicht. Die Abhängigkeit vom globalen Weltmarkt, was Medikamente betrifft, ist genauso zu hinterfragen, wie den Gesundheitsbereich nach strikten ökonomischen Kriterien führen zu wollen.

WANN & WO: Durch Corona wurde Arbeit und Bildung weitestgehend auf die eigenen vier Wände beschränkt. Etabliert sich mit Homeschooling/Homeoffice ein neues, wirkungsvollles Zukunftsmodell?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Homeoffice und Präsenzphasen im Büro werden abwechselnd zum Einsatz kommen, dasselbe gilt für Schulen. Nicht alles lässt sich aber digital vermitteln. Der Digitalisierungsschub, den die Pandemie ausgelöst hat, wird sich dennoch verstärken. Das bekommt auch der Immobilienmarkt zu spüren: Viele Bürotürme werden nicht mehr gebraucht werden. Ein Beispiel für bereichsübergreifende Vernetzung und Rückkopplung.

WANN & WO: Eine der wenigen positiven Folgen der Covid-19-Pandemie: Die kurzzeitge Entlastung der Umwelt. Wie wird sich diese Situation weiterentwickeln?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Der Umgang mit der Pandemie kann uns viel über die Bewältigung der Klimakrise lehren. Wie wichtig entschlossenes Handeln der Politik ist und dass Verhaltensänderungen oft nicht von alleine kommen. In kritischen Situationen braucht es klare Ansagen. Wir lernen gerade, dass jeder Einzelne in seinem Wirkungsbereich zur Lösung beitragen muss und wie entscheidend es ist, zusammenzuhalten und auf die Schwächsten Acht zu geben. So können wir auch die Klimakrise bewältigen. Entscheidend wird sein, Ökonomie nicht von Ökologie zu trennen. Hilfspakete und Konjunkturprogramme könnten an Klimaschutz-Maßnahmen gebunden sein. Schluss mit Subventionen für die Wirtschaft des 20. Jahrhunderts – wir leben im 21. Jahrhundert!

WANN & WO: Welche weitreichenden Folgen wird die Corona-Zeit auf unsere Gesellschaft haben?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Das Virus verändert alle Lebensbereiche – regional und global. Diese Ausnahmesituation birgt nicht nur Gefahren, sondern bietet unserer Gesellschaft auch die Möglichkeit für grundlegende Veränderungen. Die Globalisierung muss neu ausgerichtet werden. Politische und ökonomische Prozesse müssen international durchdacht werden, damit eine weitreichende Solidarität möglich wird. Egoismen fallen auf uns selbst zurück, denn wir sind nur so sicher wie die Schwächsten. Wenn ein Land das Virus nicht eindämmen kann, steigt das Risiko auch in anderen Ländern. Das Virus kennt keine Grenzen! Daher ist die Gesellschaft gefordert, größer und weiter zu denken als über den eigenen Tellerrand. Der Schlüssel für eine positive Zukunftsentwicklung liegt auch auf sozialen Innovationen – Technik allein wird es nicht richten. Sozialkapital, tragfähige Beziehungen, das ist der entscheidende Faktor für Resilienz (Krisenfestigkeit).

WANN & WO: Wird unser Leben jemals wieder die vor Corona gewohnte Normalität annehmen?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Wir erleben derzeit eine große Zäsur. Es wird eine neue Normalität geben, in der sich einige Dinge grundlegend verändert haben. Wir müssen uns jetzt schon fragen: Wie viel Einfluss muss der Staat haben? Wie viel Eigenverantwortung wollen wir? In welchen Bereichen braucht es mehr Unabhängigkeit von den Risiken der Globalisierung? Und wo noch bessere Kooperation und weniger Nationalismus? Welche Ethik braucht die rasante technologische Entwicklung? Wir sind keine Cyborgs, das Grundbedürfnis nach Verbundenheit bleibt.

WANN & WO: Wie empfanden Sie die Maßnahmen in Österreich?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Angesichts der großen Herausforderung gerade in der Akutphase, empfand ich die Maßnahmen sehr gut. Das zeigt sich auch im Vergleich zu anderen Ländern. Mit Fortdauer der Krise scheint es, dass die Kommunikation und Koordination zwischen den verschiedenen Ebenen nicht optimal verlaufen ist. Frage ist auch: Gab es eine interdisziplinäre Reflexion was etwa die demokratiepolitischen und psychischen Auswirkungen der Maßnahmen sind? Eigenkritisch muss ich aber anmerken: Es ist einfach hier zu sitzen, ohne die Verantwortung tragen zu müssen und zu urteilen. Im Nachhinein und aus der Ferne ist es leicht, „gscheiter“ zu sein.

WANN & WO: Mit welchem Gefühl blicken Sie in die Zukunft, auch als Mutter zweier Kinder?

Kriemhild Büchel-Kapeller: Mit realem Optimismus, ohne rosarote Brille. Evolution passiert nicht linear, ich hoffe auf die Kraft der Emergenz. Angesichts der immer noch präsenten Herausforderungen, bleibt gar keine Zeit für Pessimismus: Wir sind zur Zuversicht verdammt!

Wordrap

  • Die Zukunft Vorarlbergs ... liegt in der Eigenverantwortung eines jeden Menschen für das große Ganze.
  • Die Corona-Pandemie wird ... uns noch einiges kosten.
  • Das Wichtigste ist jetzt ... nicht in Panik zu geraten und Resilienz aufzubauen.
  • Wohnen in Vorarlberg ist  ... wie Urlaub, wenn man es sich leisten kann.
  • Meine schlimmste Befürchtung ist ... dass die gesellschaftliche Spaltung zunimmt und wir die Klimakrise unterschätzen.

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