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Simon Sagmeister: „Erfolg ist oft hinderlich für Mut zur Veränderung“

Simon Sagmeister im Sonntags-Talk.
Simon Sagmeister im Sonntags-Talk. ©Sams
Globetrotter Simon Sagmeister berät internationale Top-Organisationen in Sachen Unternehmenskultur. WANN & WO sprach mit dem Kreativkopf und Jungvater.

Von Joachim Mangard/Wann&Wo

WANN & WO: Wir treffen uns hier am Milchpilz. Welche Erinnerungen hast du an deine Jugend?

Simon Sagmeister: Der Grund, wieso wir uns hier treffen, ist weniger meine Erinnerungen an die Kindheit. Viel mehr verbinde ich den Platz mit Lebensqualität. Wenn man die ganze Woche auf Flughäfen und in Hotels verbringt, schätzt man es, mit dem Fahrrad zum Milchpilz zu fahren und eine Bananenmilch samt Käsesemmel zu genießen. Man findet weltweit die gleichen Starbucks- oder Costa Coffee-Filialen. Der Bregenzer Milchpilz ist einmalig.

WANN & WO: Wie würdest du einem Außenstehenden deine aktuelle Tätigkeit erklären?

Simon Sagmeister: Wir unterstützen Organisationen dabei, Unternehmenskultur zu gestalten. Gemeinsam mit unseren Kunden hinterfragen wir etablierte Denkmuster und Haltungen, um eine zukunftsfähige Kultur zu entwickeln.

WANN & WO: Nach deinem Abschluss in Innsbruck warst du ja weltweit tätig. Wie hat sich dein Blick auf Österreich gewandelt?

Simon Sagmeister: Je weiter ich weg war, desto mehr habe ich gemerkt, dass ich ein Europäer bin. Ich glaube, dass die größten Herausforderungen auf europäischer Ebene gelöst werden müssen. Während meiner Zeit in den USA oder in Asien hat sich meine europäische Identität interessanterweise am meisten geformt. Gleichzeitig habe ich aber auch realisiert, dass die Digitalisierung, wie damals der Buchdruck, jedes Unternehmen weltweit betrifft – ausnahmslos. Nicht nur technologisch, sondern auch menschliches Potenzial wird benötigt. Etablierte Unternehmen ticken oft noch wie im Industrie-Zeitalter und folgen den Prinzipien des Taylorismus. Digitale Champions werfen gerade in Sachen Führung alte Muster völlig über den Haufen. Netzwerk statt Hierarchie, schnellstmögliche Umsetzung und ein anderer Umgang mit Fehlern sind „State of the Art“.

WANN & WO: Hand in Hand mit der Digitalisierung geht die Angst, der Mensch wird immer mehr von der Maschine ersetzt. Wie stehst du dazu?

Simon Sagmeister: Trotz der fortschreitenden Maschinisierung wird es für den Menschen immer etwas zu tun geben. Schon allein wegen seiner Fähigkeiten wie Empathie, Kreativität oder Teamgeist. Darauf muss man aufbauen. Denn die reine Hirnkraft wird immer mehr von Maschinen übernommen, wie in der Industrialisierung die Muskelkraft durch mechanische Apparate ersetzt wurde.

WANN & WO: Du hast ja „summa cum laude“ abgeschlossen. Blieb da trotzdem ein wenig Zeit für „wilde Studentenjahre“?

Simon Sagmeister: Ja, definitiv. Ich habe lange mit vielen „wilden Studentenjahren“ auf Sparflamme studiert. Gegen Schluss des Doktorats habe ich dann den Turbo gezündet.

WANN & WO: Deine Culture Map der Unternehmenskultur findet weltweit großen Anklang in unterschiedlichsten Betrieben. Kannst du uns dein Modell kurz skizzieren?

Simon Sagmeister: Wir haben ein System entwickelt, mit dem man Unternehmenskultur griffig in einem speziell ausgearbeiteten Farbmuster darstellen kann. Damit schaffen wir Bilder und eine Sprache, die es Unternehmen erlaubt, ihre Kultur bewusst zu gestalten.

WANN & WO: Welche Anforderungen stellen junge Menschen an die Arbeitswelt, und wie müssen Unternehmen auf die neuen Herausforderungen reagieren?

Simon Sagmeister: Es reicht nicht mehr, guten Arbeitskräften fairen Lohn zu bieten. Menschen suchen nach Sinn in ihrem Tun. Die Generation Y heißt nicht umsonst so. Sie fragt nach dem „Why?“. Während früher der dicke Gehaltsscheck gelockt hat, sind es heute sinnstiftende Elemente und ein gesunder Mix aus Freizeit und Beruf. Die Leute erkundigen sich schon im Bewerbungsgespräch nach dem ersten „Sabbatical“. Das hätten wir uns nie getraut. Wir haben eher versucht, unser Gegenüber zu überzeugen, dass wir von Wasser und Luft leben (schmunzelt). Die klare Trennung von Leben und Arbeit verschwindet. Umso wichtiger ist eine positive Identifikation mit dem, was man tut.

WANN & WO: Wie beurteilst du die Unternehmenskultur im Wandel zum digitalen Zeitalter?

Simon Sagmeister: Digitalisierung ist eine Kulturfrage. Gibt es den Raum, Neues auszuprobieren? Können Querdenker überleben? Gibt es eine Vision oder einen gemeinsamen Spirit? In Europa haben viele Unternehmen lange zugewartet – gerade weil sie bis heute so erfolgreich sind. Erfolg ist oft hinderlich für Mut zur Veränderung. Nun nehmen aber immer mehr Unternehnmen die Herausforderungen der Digitalisierung entschlossen an. Sie hinterfragen etablierte Denkmuster und lassen sich auf Neues ein.

WANN & WO: Wie sieht deine Work-Life-Balance aus?

Simon Sagmeister: Ich glaube nicht an den Begriff „Work-Life-Balance“, bei mir ist es eher eine „Work-Life-Integration“. Ich liebe meinen Beruf und sehe ihn als elementaren Teil meines Lebens an. Gleichzeitig habe ich eine junge Familie, damit ist mein Dasein eigentlich ausgefüllt. Ich glaube, dass bei mir die Grenzen im positiven Sinn fließen. Wenn ich im Urlaub etwas lese, hat es höchstwahrscheinlich irgendwie mit meinem Job zu tun. Für mich ist dies aber gleichzeitig Entspannung, da ich mir so Inspiration hole, ohne Druck. Gleichzeitig versuche ich die Zeit mit meiner Familie konsequent und sinnvoll auszunützen. Mit viel Natur, Wandern in den Bergen oder Zeit am See. Skifahren war für mich ebenfalls immer eine Möglichkeit, alles hinter mir zu lassen. Der ganze „Scheiß“ bleibt im Tal zurück (schmunzelt).

WANN & WO: Mit deinem Unternehmen The Culture Institute in Zürich bist du als Berater von weltweit tätigen oder globalen Unternehmen sehr erfolgreich. Wieso hast du dich damals entschieden, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen?

Simon Sagmeister: Vielleicht aufgrund meiner familiären Prägung. Wie meine Eltern und Verwandten hat es mich immer gereizt, auf eigenen Beinen zu stehen. In Zürich wartet sicher keiner auf weitere Beratungsunternehmen, davon gibt es genug. Also mussten wir eine Nische finden, die es bis dahin noch nicht gab. Mit viel Herzblut, Leidenschaft und dem Thema Unternehmenskultur haben wir dann Expertise aufbauen können und sind auf fruchtbaren Boden gestoßen. Mit dem Fokus auf Unternehmenskutlur waren wir eine Art „First Mover“.

WANN & WO: Wie oft bist du noch in Vorarlberg und welche Beziehung pflegst du zum Ländle? Wo siehst du bei uns Verbesserungspotenzial, egal in welchem Bereich?

Simon Sagmeister: Im Prinzip bin ich „Wochenendaufenthalter“. Ich schätze die hohe Lebensqualität und die Natur. Mein Wunsch wäre in vielen Bereichen eine Öffnung und mehr Zukunftsfreude. Wir können viel und brauchen uns nicht zu verstecken.

WANN & WO: Der Name Sagmeister ist in Vorarlberg kein unbeschriebenes Blatt. Hast du viel Kontakt zu deiner Familie?

Simon Sagmeister: Wir Sagmeisters sind Familienmenschen. Wir sind gerne zusammen, es gibt immer wieder Familientreffen, bei denen wir uns austauschen. Unsere Familie hat sich in den unterschiedlichsten Feldern entwickelt, was auch unseren Eltern zu verdanken ist. Sie haben uns nicht wirklich etwas vorgegeben, sondern eher viel mitgegeben und uns unseren Freiraum zur persönlichen Entfaltung gelassen.

WANN & WO: Glaubst du als Familienvater, dass es einen Wandel im Schulsystem braucht?

Simon Sagmeister: Dringend. Alibaba-Gründer Jack Ma meinte unlängst in Davos, dass, wenn wir unsere Kinder in der Schule in Konkurrenz zu Maschinen setzen – wenn es um Rechenleistung, Speicher, usw. geht – sie diesen Kampf im Vorhinein verlieren werden. Viel wichtiger sei es, ihnen Fähigkeiten zu vermitteln und auszubauen, in denen wir Maschinen überlegen sind. Diese Meinung teile ich und sehe gerade in unserem System akuten Handlungsbedarf. Die Veränderungen in unserer Welt sind gravierend. Ein gutes Bildungssystem ist unser Zukunftsgarant.

WANN & WO: Welche Schwächen oder negativen Eigenschaften hat Simon Sagmeister?

Simon Sagmeister: Unordentlichkeit. Ich war schon als Kind schlampig und konnte das leider nie ablegen.

WANN & WO: Du veranstaltest mit der Digital-Agentur TOWA in Bregenz am 20. September den Digital Leadership Day. Worum geht es?

Simon Sagmeister: Wir bringen in Bregenz Unternehmen unterschiedlicher Branchen zusammen, die über ihre Erfahrungen in der Digitalisierung berichten. Dieses Jahr sind beispielsweise Vertreter von BMW, AXA, Spryker oder Vontobel am Start. Sie tauschen ihre Best Practices aus und lernen voneinander.

Wordrap

Digitales Zeitalter: Jetzt.
Leadership: Neu Denken.
12-Stunden-Tag: Häufig.
Bregenz: Wunderschön.
Vorarlberg: Lebensqualität.
Zürich: The Culture Institute.
Mensch vs. Maschine in der Arbeitswelt: Offen

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