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Sexsucht ist nicht lustvoll

Zwang, ständig pornografische Darstellungen zu betrachten
Zwang, ständig pornografische Darstellungen zu betrachten ©Bilderbox
Wenn Sex in die Sucht umschlägt, ist er nicht mehr lustvoll, sondern belastend und schädigend. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung leiden in Österreich daran. Das erklärte die Wiener Psychologin Christina Raviola beim Interdisziplinären Symposium zur Suchterkrankung in Grundlsee (Steiermark).

Die Tagung mit rund 180 Teilnehmern widmet sich medizinischen, psychologischen, psychosozialen und juristischen Aspekten der Suchterkrankungen. Sie bilden eine ausgesprochen breite Palette an Störungen, von der sogenannten substanzgebundenen Abhängigkeit (Alkohol, illegale Drogen) bis hin zur Spiel-, Internet-, Kauf- und schließlich zur Sexsucht.

Neu ist dieses exzessive Sexualverhalten nicht. Don Juan mit seinen allein in Spanien 1.003 Affären und die Schilderungen Casanovas sind vor Jahrhunderten in die (Opern-)Literatur eingegangen. 1886 definierte der Psychiater Richard Kraft-Ebing die Störung als “Geschlechtstrieb, der das ganze Denken und Fühlen in Beschlag nimmt”.

Männer deutlich häufiger betroffen

Was in der Phase der Verliebtheit “normal” ist, wird jedenfalls im Rahmen der Störung zur leidvoll erlebten Obsession. “In Ländern wie Deutschland und Österreich leiden an ‘Sexsucht’ (laut verschiedenen Studien; Anm.) etwa drei bis sechs Prozent der Gesamtbevölkerung, also um die fünf Prozent. Das Verhältnis von Männern zu Frauen beträgt fünf zu eins”, sagte die klinische Psychologin aus Wien, die sich speziell der Behandlung Betroffener widmet.

Der legendäre US-Sexforscher Alfred Kinsey hat Hypersexualität 1948 als eine Störung definiert, bei der zwanghaft mindestens sieben Orgasmen pro Woche über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erreicht werden. Das wird zumeist als wenig befriedigend empfunden, nach den Höhepunkten kommt es zu depressiven Stimmungen. Es existiert Leidensdruck.

Mehrmals täglich masturbieren

“Wer mehrmals pro Tag masturbiert und ständig auf der Suche nach sexuellen Reizen ist, ist schon mitten drin im Suchtverhalten. Hypersexuelle Menschen haben Schwierigkeiten, Kontakte anzubahnen und Beziehungen zu halten”, sagte die Expertin. Auch der Zwang, ständig pornografische Darstellungen zu betrachten, kommt hinzu. Das Internet bietet dazu eine 24-Stunden-Gelegenheit, was bei den Betroffenen auch zur Vereinsamung, der Vernachlässigung jedweder Sozialkontakte, von Schule und Beruf führen kann.

“Inzwischen kommen schon Jugendliche ab der siebenten Schulstufe zur Therapie”, sagte Christina Raviola. Möglicherweise hänge das auch mit der wachsenden Häufigkeit von Hyperaktivitätsstörungen in dieser Altersklasse zusammen. Cybersex ist immer verfügbar. “60 bis 70 Prozent der 13-Jährigen sind regelmäßig via Internet mit pornografischen Inhalten konfrontiert”, sagte die Psychologin.

Totalabstinenz als Heilung

Trotz der relativ großen Häufigkeit, fand die “Sexsucht” bisher nicht Eingang in die internationalen Krankheitsregister. Es ist auch nicht ganz klar, ob es sich um Sucht, eine Zwangsstörung oder um eine nicht ausreichende Impulskontrolle von Trieben handelt. Biologisch sind Verbindungen mit dem Dopamin- und/oder dem Serotoninsystem und eventuell auch mit ADHS gegeben.

Der Weg aus der Sexsucht ist oft lang und komplex. “Totalabstinenz über drei bis sechs Monate ist auf jeden Fall notwendig. Es geht um das Erlernen von Kontrollmechanismen”, sagte die Expertin. Die Behandlung dauert sechs Monate bis zwei Jahre. Wichtig sei auch die medikamentöse Therapie. Dabei kommen häufig selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) zum Einsatz, die auch in der Behandlung von Depressionen verwendet werden.

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