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Serras "Liberte" bei der Viennale: 2 Stunden Sex im Wald

Ausnahmsweise angezogen ist dieser Herr im Wald.
Ausnahmsweise angezogen ist dieser Herr im Wald. ©Viennale
Zwei Stunden zwölf Minuten Sex im Wald: So könnte die Plotline von Albert Serras "Liberte" lauten. Doch der geübte Provokateur erzählt so viel mehr in seinem ausufernden Film, der am Freitag bei der Viennale seine Österreich-Premiere hatte.

Eine Handvoll exilierter französischer Libertins im späten 18. Jahrhundert zieht sich in den Wald zurück, um eine Nacht exzessiver sexueller Freiheiten auszuleben. Klingt nach Swingerparty in Perücke und Korsett, wäre da nicht Serras Entschlossenheit, seine Darsteller "im Stich zu lassen", wie er nach der Vorführung im Publikumsgespräch sagte.

In der kontrolliert-ekstatischen Nacht werden diverse Sexualpraktiken im Geiste de Sades durchexerziert. Kühl erörtern die Protagonisten in den wenigen Dialogen Strategien des Lustgewinns kraft Erniedrigung. In ihren Handlungen, beleuchtet von artifiziellem Mondlicht, sind sie gleich Technokraten der Lust weniger der hemmungslosen Leidenschaft als einer libertären Pflichtausübung hingegeben. Der nicht sonderlich reizvolle Wald irgendwo in Preußen wird zu einer Art Sado-Maso-Geisterbahn, wer gerade nicht selbst beschäftigt ist, streift von Station zu Station und schaut. Den Gastgeber und Co-Voyeur gibt enigmatisch Helmut Berger als Herzog de Walden.

Liberte ist ein erschöpfender Film

Das alles hat auch Längen, was dem katalanischen Regisseur bewusst ist. "Egal bei welcher Vorführung - nach zwei Stunden und zwei Minuten verlässt immer jemand den Kino-Saal", erzählte am Freitag im Wiener Metro-Kino. Die drastischsten Szenen sind da schon längst vorbei. "Ich weiß, der Film ist eine erschöpfende Erfahrung." Pornografisch wird der Bildkünstler Serra dabei nie. Orgiastisch auch nicht. Manchmal zeigt er gar nichts außer Bäumen - die Geräusche aus dem Off zu deuten, überlässt er dem Zuschauer.

Als Theaterstück war "Liberte" an der Berliner Volksbühne zu sehen. Es danach fürs Kino zu adaptieren, sei ihm logisch erschienen, berichtete der Regisseur. 250 Stunden Filmmaterial waren das Ergebnis der Dreharbeiten. Was nun im Kino zu sehen ist - und heuer in Cannes mit dem Spezialpreis der Jury prämiert wurde - ist nach Ansicht Serras "ästhetisch perfekt" und deshalb "ein Synonym für die Wahrheit". Mehr aber wolle er mit diesem Film gar nicht sagen: "Ich weiß nicht, was ich tue. In einem tieferen Sinn ist meine Arbeit völlig unkontrolliert." Eine "Utopie" nennt Serra sein Werk aber auch: Die Geschichte einer Welt, komprimiert in einer Nacht, in der Klassengrenzen keine Rolle spielen.

Die Utopie hat indes ein Ablaufdatum, die Nacht der Freiheiten atmet Endzeitstimmung, die Morgenröte wird blutig. "Ich fühle mich wie Beute", sagt eine reifberockte Dame im ersten Drittel (um später einen nackten, verzweifelten Sexpartner für sein mangelndes Stehvermögen zu schmähen). "Liberte" ist so auch ein Abgesang auf eine todgeweihte Gesellschaft und ihre Ideale.

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(APA/red)

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