AA

Selbsthilfe und Gestaltung

Für eine vitale Dorfgemeinschaft gebaut, Architekt Helmut Dietrich vor dem Mehrzweckgebäude.
Für eine vitale Dorfgemeinschaft gebaut, Architekt Helmut Dietrich vor dem Mehrzweckgebäude. ©VN
Hier triff man sich - ob im Gasthaus, Wirtsgarten, Laden, Vereinsheim, Dorfsaal oder in der Bank. Der „Krone“-Bau ist (fast) ein Alleskönner.
Selbsthilfe und Gestaltung

Keinem im Ländle kann verborgen bleiben, wie sich das Land verändert: Bauern verschwinden, Treckertum wächst, Monokultur breitet sich aus, soziales Leben verödet. Strukturwandel heißt das und man sagt, dass dies der unaufhaltsame Lauf der Zeit sei. Und entsprechend wird’s geschluckt. Und dann kommen Leute daher, die sagen: Stimmt nicht! Und zeigen einem, worüber man nur staunt: die kleine Gemeinde mit Wirtshaus und Saal, Vereinsheimen, Laden und Bank, Kindergarten und Volkschule, Kirche und Feuerwehrhaus. Und das auch noch an einem Ort, der scheinbar nichts zu bieten hat – kein Alleinstellungsmerkmal, keine Gunstlage oder wie all die schönen Worte so heißen. Und man kapiert: den gibt’s nicht, den unaufhaltsamen Lauf der Zeit – wenn wir anfangen, nicht alles hinzunehmen. Freilich: Courage braucht’s und Geduld. Und die Schmerzgrenze. Meist ist das etwas scheinbar Nebensächliches – ein Wirtshaus etwa. Damit fi ng’s an, 1989, in der Gemeinde Thal am Rand des Bregenzerwaldes. Droben, in Sulzberg, steigen sich die Touristen auf die Füße wegen der Aussicht, derweil unten, auf der Nordseite, die letzte Wirtschaft und der einzige Laden schlossen. Einige Beherzte gründeten nun den „Selbsthilfeverein Thal“, erwarben das Gasthaus, sanierten den desolaten Bau und feierten zum Jahreswechsel die Eröff nung von Laden und Wirtschaft.

Viel Eigenleistung (nach zwei Jahren bereits 20.000 Stunden), Spenden, Gemeindemittel und Landeszuschüsse, von Anfang an: hohe Ansprüche an die Gestaltung, mit Rat und Tat dabei die Architekten Roland Gnaiger, Hermann Kaufmann, Gerhard Gruber, Alois Geser. D er Schwung hält: Fast im Vierjahres-Rhythmus folgen eine kleine Wohnanlage, Schule und Kindergarten, Musikräume, Bühne und eine Bankfi liale im renovierten Ökonomieteil des Gasthauses, die Fertigstellung des Wirtsgartens, die Eröff nung des renovierten Thalsaals, zuletzt der Neubau für Feuerwehr, Wassergenossenschaft und Ortsarchiv. Ist es ein besonderer Geist, der hier weht? Jedenfalls hatte ein gutes Jahrhundert vor dem Selbsthilfeverein ein Sohn dieser Gemeinde das Kunststück vollbracht, aus dem „Auszehrerdorf“ eine blühende Gemeinde zu machen. Pfarrer Sinz setzte sich eine Kirche für sein Dorf in den Kopf und ruhte nicht eher, bis diese 1878 geweiht wurde – was heißt ruhte: es folgten Pfarr- und Mesnerhaus, Brücke, Ansiedlung der Textil-Heimindustrie, Verwertung des Gemeindewaldes, … Alltag und Sonntag gehörten zusammen und was man sich vornahm, geschah mit Sinn fürs Schöne: Das Ensemble aus Kirche und Häusern wurde von einem Architekten geplant. Feingliedrig, bürgerlicher Klassizismus, byzantinisch befeuert in der Kirche. Rührt da der Schwung hundert Jahre später her? Was man sich vornimmt, mit Anspruch zu tun?

So sieht’s jedenfalls Ernst Wirthensohn, „Historiker“ des Vereins, für den Architektur ein ganz entscheidender Faktor der erneuten Blüte des Orts ist. „Wir sind so klein, da muss unser Saal schön sein, damit die Leute kommen.“ Das hat man bei jedem Projekt seit 22 Jahren beherzigt. Etwa der Schulerweiterung. Da sollte die Erweiterung von Amts wegen so im Vorbeigehen erledigt werden, doch man hatte die Rechnung ohne die Thaler gemacht. Die ermittelten den Bedarf, erweiterten das Programm, engagierten die Architekten Gnaiger und Gruber, die den Altbau mit Erweiterung um den Neubau eines Turnsaals ergänzten und das Ganze zu einer lebendigen, räumlich höchst vielgestalten Einheit verschmolzen. Klassenzimmer, Werkraum, Kindergartenraum, Saal, Aula – kein Raum gleicht dem andern, und wird doch mit gleicher Sorgfalt für den jeweiligen Zweck und dem Maßstab der dezent gezeigten Struktur verbunden. Struktur und Maßstab – man spürt, dass dies Haus anderen als den „Großen“ gewidmet ist: „Wie eine Wohnung für die, die hier groß werden“, so Gerhard Gruber. Eine der schönsten Dorfschulen, durchaus im Geiste der Erneuerung hundert Jahre zuvor. Jeder Schritt des Weiterbauens des Orts erfolgte mit derselben Haltung und doch veränderte sich die Form.

Deutlich wird das mit dem Feuerwehrhaus, Ergebnis eines Wettbewerbs im Jahr 2009, den das Büro Dietrich| Untertrifaller für sich entschied. Eine Komposition rechtwinkliger Volumen „gliedert die Baumasse in zurückhaltende Dimensionen mit ausgewogenen Proportionen und bildet das neue Gesicht für den Besucher am Eingang des Ortskerns“, so Helmut Dietrich. Auf einem Sockelgeschoss für Nebenräume lagert, abgesetzt durch ein hochliegendes Fensterband, der Trakt der Versammlungsräume. Er ist durch raumhohe Verglasung zusammengefasst, kragt zur Straße aus und schaff t so einen gedeckten Eingang. Auf der andern Seite bildet der Schlauchturm einen markanten Abschluss. Rückwärtig schließt die Fahrzeughalle an, über einen Hof parallel zur Straße. Das neue Gebäude greift den Wechsel von Bauten und off enen Räumen zum Tal hin auf. Die ortstypische feine Gliederung wird körperhaft aufgefasst, dem Maßstab des Orts Referenz erwiesen und mit dem Turm ein markanter Auftakt gesetzt, ohne dem Kirchturm die Show zu stehlen. Der Bau ist (bis auf das Biomassekraftwerk im betonierten Keller) – wie alle angesprochenen Bauten – durchgehend in Holz konstruiert, in seiner glatten, volumenbetonten Oberfl äche jedoch von hier draußen ungewohnter Perfektion. „Wir wollten“, so Helmut Dietrich, „den Ort mit einem Bau wie vom Schreiner, mit einem Dorfmöbel, grüßen.“

Daten und Fakten

Objekt: Ortsteil Thal Vorderer Bregenzerwald

Bauherr: Gemeinde Sulzberg

Volksschule/Kindergarten Sanierung/Erweiterung 1998 Architekt Gerhard Gruber, Kaiserstraße 27, Bregenz gruber@gruberlocher.com, www.gruberlocher.com

Gasthaus Krone Zubau Musikprobelokal Sanierung/ Erweiterung 1999, Neugestaltung Thalsaal 2007 Architekt Gerhard Gruber, Kaiserstraße 27, Bregenz gruber@gruberlocher.com, www.gruberlocher.com

Martin Sinz Haus Neubau Fertigstellung, Feuerwehr, Wassergenossenschaft, Biomassewerk, Dorfarchiv Dietrich | Untertrifaller Architekten, Arlbergstr. 117 Bregenz, arch@dietrich.untertrifaller.com www.dietrich.untertrifaller.com

Auszeichnungen Volksschule/Kindergarten: Holzbaupreis Öff entlicher Bau 1999 Martin Sinz Haus: Binding-Preis “Nachhaltig bauen in der Gemeinde” 2011 Selbsthilfeverein: Mehrere Auszeichnungen für vorbildliche dörfl iche Entwicklung

  • VIENNA.AT
  • Schöner Wohnen
  • Selbsthilfe und Gestaltung
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen