AA

"Schwere Zeiten für Weltwirtschaft": Börsen im Abwärtssog aus China

Asiens Börsen brechen ein - Crash reißt Europas Leitbörsen in tiefroten Bereich.
Asiens Börsen brechen ein - Crash reißt Europas Leitbörsen in tiefroten Bereich. ©EPA
In China platzt die Börsenblase. Die Probleme im Reich der Mitte infizieren den Rest der Welt. Der dramatische Einbruch der chinesischen Aktienmärkte sendet Schockwellen an die Börsenplätze von Tokio bis Frankfurt.

Die Flut schlechter Nachrichten aus der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt lässt die Angst vor einbrechenden Wachstumsraten umgehen. “Viele Länder haben sich in eine immense Abhängigkeit von China begeben, die sie nun extrem verletzlich macht”, sagt Sandra Hepp vom China-Institut Merics in Berlin der Deutschen Presse-Agentur.

Börsen-Beben in China reißt Dax und Wall Street abwärts

Zu Wochenbeginn hat diese Furcht vor einem heftigen Konjunktureinbruch im Reich der Mitte nun massive Schockwellen durch die Finanzmärkte gejagt. Anleger warfen weltweit Aktien im hohen Bogen aus ihren Depots. Auch an den Rohstoffmärkten brachen die Preise für Öl und Kupfer ein. Der Dax rutschte auf rund 9.400 Zähler und damit weit unter die psychologisch wichtige Marke von 10.000 Punkten.

Damit sind die seit Jahresanfang angehäuften Gewinne aufgezehrt. Auch an der Wall Street gingen die Kurse dramatisch in die Knie: Dow-Jones – und S&P500 verloren allein in den ersten Handelsminuten rund 6 Prozent, der Dow ging um mehr als 1.000 Punkte in die Knie. An der Computerbörse Nasdaq ging es mehr als 8 Prozent abwärts.

“Wir sind mitten in einer Panikattacke und China ist das Epizentrum”, erklärten die Analysten von JP Morgan Cazenove. Die Furcht vor den Folgen einer Wachstumsdelle in China für die gesamte Weltwirtschaft mache die Investoren höchst nervös, sagte Tobias Basse von der NordLB.

Dax rutscht unter 10.000-Punkte-Marke

Der Dax rutschte bei sehr hohen Umsätzen in der Spitze um 6,8 Prozent auf 9.445 Punkte ab – das war der niedrigste Stand seit Anfang Jänner. Noch im April hatte der Leitindex dank der milliardenschweren Geldspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB) ein Rekordhoch von 12.390,75 Zählern aufgestellt. Der EuroStoxx50 verlor 7 Prozent. Begonnen hatte das Beben in der Nacht in China, wo der Shanghai-Composite um 8,5 Prozent absackte. Die Entscheidung der Pekinger Regierung, Pensionsfonds erstmals Investitionen am Aktienmarkt zu gestatten, enttäuschte die Anleger. Börsianer hatten offenbar damit gerechnet, dass die chinesische Notenbank die Märkte mit neuen Geldspritzen stützen würde.

Bšrsen im Minus
Bšrsen im Minus

>>>Asien-Crash reißt Europas Börsen in tiefroten Bereich<<<

China galt bisher als einer der zukunftsträchtigsten Absatzmärkte weltweit. Ob deutsche Autobauer oder französische Luxusgüterhersteller – sie alle haben zuletzt vor allem auf die Chinesen als Konsumenten gesetzt. Entsprechend sind die Aktienkurse dieser Branchen seit Wochen auf Talfahrt. Denn schon seit Jahresbeginn häufen sich die Anzeichen für eine stärkere Abkühlung der chinesischen Wirtschaft. Von den früher zweistelligen Wachstumsraten ist schon lange nichts mehr zu sehen. Für 2015 strebt die Regierung ein Plus von 7 Prozent an – es wäre der kleinste Zuwachs seit einem Vierteljahrhundert.

Die chinesische Zentralbank versucht sich mit aller Macht gegen den Abwärtstrend zu stemmen: So ließ sie die Landeswährung Yuan kräftig abwerten, was chinesische Waren im Ausland billiger macht – und ausländische Waren in China teurer. Viele Anleger sahen darin einen weiteren Beleg, dass es um die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft alles andere als gut bestellt ist.

Reißaus an Rohstoffmärkten

An den Rohstoffmärkten nahmen die Anleger ebenfalls Reißaus. China ist einer der größten Konsumenten von Industrierohstoffen. Der Preis für Nordseeöl der Sorte Brent fiel um 4,8 Prozent auf 43,28 Dollar (38,4 Euro) je Fass (159 Liter) und damit auf den tiefsten Stand seit März 2009. Kupfer verbilligte sich um 3,4 Prozent auf 4.882 Dollar je Tonne und war damit so billig wie seit mehr als sechs Jahren nicht mehr.

Starker Euro belastet Aktienbörsen zusätzlich

Belastet wurden die Aktienbörsen in Europa neben den China-Sorgen auch durch einen wieder steigenden Euro -Kurs, der europäische Waren im Ausland verteuert. Grund dafür sind die Spekulationen auf eine Verschiebung der ersten Zinserhöhung in den USA seit der Finanzkrise 2007/08. “Die Risiken in China und die dadurch ausgelösten Turbulenzen an den Finanzmärkten sollten die Fed dazu bringen, einen Zinsschritt im September zu verschieben”, erklärte Commerzbank-Analystin Esther Reichelt. Daher lösten viele Anleger ihre Wetten auf einen steigenden Dollar auf, was im Gegenzug den Euro in der Spitze auf 1,1711 Dollar trieb. Damit notierte die Gemeinschaftswährung Euro wieder auf dem Niveau von Mitte Jänner.

Anleger suchen Zuflucht in Bundesanleihen und Gold

Zuflucht suchten die Anleger in den gern als sichere Häfen angesteuerten zehnjährigen Bundesanleihen. Auch der Goldpreis setzte seine Aufholjagd fort und zog leicht um 0,2 Prozent auf 1.162,91 Dollar je Feinunze an.

Asien-Crash: “Der Weltwirtschaft stehen schwere Zeiten bevor”

Chinas Wachstumsraten werden unweigerlich weiter sinken – mit globalen Konsequenzen. “Der Weltwirtschaft stehen schwere Zeiten bevor”, warnt Sandra Hepp vom China-Institut Merics in Berlin. Auch deutsche Exporteure seien stark abhängig vom Reich der Mitte. “Nicht zuletzt deutsche Autobauer könnten von einem Abschwung in China empfindlich getroffen werden.”

“Nerven in Peking liegen zunehmend blank”

Schon spätestens seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 stehe China vor großen Herausforderungen, die erst jetzt auch global Aufmerksamkeit fänden. “Die Turbulenzen an denBörsen, der zunehmende Kapitalabfluss und der Einbruch der Exporte stellen Chinas Führung auf eine harte Probe”, sagt Hepp. “Nach den verzweifelten Eingriffen an den Börsen hat auch die Abwertung des Renminbi (Yuan) gezeigt, dass die Nerven in Peking zunehmend blank liegen.”

Pekinger Experte: Es ist ein Teufelskreis

Viele Milliarden hat die Regierung in den Markt gepumpt, konnte ihn aber nicht stabilisieren. Wirtschaftsprofessor Hu Xingdou vom Pekinger Technologie-Institut kritisiert wie viele andere die “Verschwendung”. “Über kurz oder lang kann der Aktienmarkt nur besser werden, wenn die Probleme in der Wirtschaft gelöst werden”, sagt der Experte. “Je mehr Intervention, umso schlimmer entwickelt sich der Markt”, meint Hu Xingdou. “Es ist ein Teufelskreis.”

Wirtschaftsmacht China
Wirtschaftsmacht China

Kursrutsch vernichtet über vier Billionen-Werte

So sind inzwischen alle Gewinne dieses Jahres wieder zunichtegemacht worden. Durch den Kursrutsch seit Mitte Juni sind nach Schätzungen mehr als vier Billionen US-Dollar (knapp 3,5 Bio Euro) an Werten vernichtet worden. Die Kurse sind trotz aller Eingriffe um rund 40 Prozent gefallen. Es war nur eine Börsenblase. Denn seit vergangenem Jahr hatte die Propaganda die Märkte hochgejubelt, sodass sich viele Anleger auf der sicheren Seite wähnten. Putzfrauen, Taxifahrer und Studenten suchten alle ihr Glück im “chao gu”, übersetzt “Aktien in der Pfanne braten”.

Chinas Dilemma, Panik an den Börsen

“Es ist ein Fehler, anzunehmen, dass eine Börse, die 150 Prozent hoch geht, ohne dass es gute Wirtschaftszahlen gibt, auch noch stabil ist”, sagt der Präsident der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, der dpa. “Die Märkte sind zu lange zu hoch getrieben worden.” Leider habe die Regierung auch noch viel Geld in die Hand genommen, um die Kurse oben zu halten. “Aber die Marktkräfte sind doch stärker.” Auch gebe es psychologische Gründe: “Die Leute kriegen jetzt Panik.”

Die Frage sei jetzt, wie der Kursrutsch die Realwirtschaft schwächen werde. “Das Grundproblem sind auch nicht die Aktienkurse, sondern die schwache Nachfrage, die Überkapazitäten und die Überschuldung im Unternehmensbereich”, sagt Wuttke. Auch sei es schwierig, den Dienstleistungssektor zu beleben, um neue Jobs zu schaffen. China stecke in einem Dilemma, weil das Wirtschaftswachstum allein über Exporte und Anlageinvestitionen erzeugt werde.

Nötige Reformen verschleppt

“Die Ausfuhren dümpeln bei der schwachen globalen Nachfrage vor sich hin”, sagt Wuttke. “Und heute ist jedem klar, dass nicht noch mehr Flughäfen, Bahnhöfe und Straßen gebaut werden können.” Der EU-Kammerpräsident mahnt: “So kann es nicht weitergehen.” Zwar wurden Reformen angekündigt, die dem Markt eine größere Rolle einräumen sollen. Doch die Umsetzung wird verschleppt.

“In einigen Bereichen gibt es zwar Fortschritte, aber zum großen Teil müssen die Wirtschaftsreformen noch angegangen werden”, sagt Wuttke. Es seien teilweise sogar Rückschritte zu sehen. “Bei vielen ausländischen Unternehmen ist auch das Gefühl erkennbar, dass keine Öffnung der Märkte stattfindet, sondern die Reformen nur heimischen Unternehmen zugutekommen und ausländische aus dem Markt gedrängt werden”, sagte Wuttke. Das schrecke Investoren ab.

Ende der Turbulenzen nicht in Sicht

Ein Ende der Kurstalfahrt ist nicht in Sicht. Aufgrund der massiven Interventionen sind Chinas Aktienmärkte nun in höchstem Maße von staatlicher Unterstützung abhängig. “Zeichen für einen möglichen Rückzug des Staates von den Märkten können daher jederzeit zu Panik führen”, warnt Merics-Expertin Hepp. Daran werde sich so schnell auch nichts ändern. “Die Turbulenzen sind noch lange nicht vorbei.” (dpa/red)

  • VIENNA.AT
  • Wirtschaft
  • "Schwere Zeiten für Weltwirtschaft": Börsen im Abwärtssog aus China
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen