Schriftstellerin Agota Kristof gestorben

Knapp 25 Jahre später zählt das schmale Werk der gebürtigen Ungarin zu den Klassikern des 20. Jahrhunderts und wurde in 38 Sprachen übersetzt. Sie erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter den Gottfried-Keller-Preis, den Schillerpreis für ihr Gesamtwerk sowie den prestigeträchtigen Österreichischen Staatspreis. Seit längerem war die Autorin gesundheitlich angeschlagen, in der Nacht auf Mittwoch ist die Wahl-Schweizerin im Alter von 75 Jahren in ihrem Wohnort Neuenburg (Neuchatel) gestorben.
Kristof´s erster Roman
Ihr erster Roman “Das große Heft” erzählte 1986 von neunjährigen Zwillingsbrüdern, die sich mitten im Krieg autodidaktisch zu Überlebensmonstren bilden. Sie üben Gefühlskälte, hungern, betteln, stehlen und töten – weil man das in ihrer Situation “können muss”. Bombardierungen und Judenverfolgung, aber auch homosexueller Sadomasochismus und Sodomie werden mit eiskalter Klarheit und kompromissloser Knappheit beschrieben. Bemühungen, das Werk deshalb an Schulen zu verbieten, sind aber bis heute gescheitert.
Kristof´s Trilogie
Mit der Trilogie “Das große Heft”, “Der Beweis” und “Die dritte Lüge” (1986-92) habe Kristof ursprünglich eigene Kindheitserinnerungen für ihre Nachkommen festhalten wollen, sagte die Autorin. Die Verwandlung des Faktischen ins Literarische lässt sie einen ihrer Protagonisten so schildern: “…ich versuche, wahre Geschichten zu schreiben, aber ab einem bestimmten Moment wird die Geschichte unerträglich, eben weil sie wahr ist, und dann muss ich sie ändern.” Das Unerträgliche ist durchaus autobiografisch: Am 30. Oktober 1935 im ungarischen Dorf Csikvand geboren, wurde Agota Kristof mit neun Jahren von ihren Eltern zur Großmutter in eine Kleinstadt an der österreichischen Grenze gebracht. Noch stärker entwurzelt fühlte sie sich, als sie mit 15 in ein Internat kam. Damals entstanden erste Gedichte. Nach der Matura heiratete sie ihren Geschichtslehrer und flüchtete mit ihm und dem gemeinsamen Baby 1956 in die Schweiz. Dass ihnen eine Wohnung in der Romandie zugewiesen wurde, sei Zufall gewesen.
Kristof arbeitete in Uhrenfabrik
Kristof musste neben Haushalt und Kind in einer Uhrenfabrik arbeiten. Der Job war streng und monoton, doch die rhythmischen Maschinengeräusche reaktivierten, wie sie es nannte, ihre lyrische Kreativität. Die ungarischen Gedichte, die ihr beim Arbeiten einfielen, notierte sie in den Pausen. Daneben lernte Agota Kristof Französisch, unter anderem an der Uni. Ab 1978 wagte sie, auf Französisch Hörspiele und Theaterstücke zu schreiben. Das Schweizerische Literaturarchiv, das ihren Vorlass erhalten hatte, verzeichnet 23 Dramen.
Kristof “Ich schreibe nicht mehr”
Ihr vierter Prosaband “Gestern” endete 1995 mit “Ich schreibe nicht mehr”. Diesen Vorsatz brach Kristof 2004 für ihre kurze Autobiografie “Die Analphabetin”. Darin erzählt sie, wie einsam und gedemütigt sie sich nach der Immigration in der Schweiz fühlte. Grund für die Demütigungen war unter anderem, dass sie als Erwachsene zur Analphabetin wurde, obwohl sie mit 4 Jahren lesen konnte. Zuletzt erschienen von Agota Kristof nur noch der Erzählband “Irgendwo” (2005) mit frühen Prosatexten und ein Band mit älteren Stücken (2007). Sie habe jetzt keine Lust mehr zu schreiben, sagt sie. Den Preis des Neuenburger Instituts konnte sie vorletztes Jahr schon nicht mehr abholen. Gesundheitlich angeschlagen, verließ sie ihre Wohnung in der Neuenburger Altstadt zuletzt kaum mehr. APA/sda