Schöne Altherrenphantasien
Am Anfang von “The Passion of Io” stand eine Skizze, gezeichnet auf einer Serviette in einem Pub, unweit des Uraufführungstheaters in London.
Am Ende stand die Aufführung beim Koproduktionspartner des Almeida Theatre, den Bregenzer Festspielen, wo das Werk von Sir Harrison Birtwistle am Sonntagabend Premiere hatte. Eine, die mit viel Applaus, aber ohne große Ovationen endete. Sehr kopflastig ist die Story, zu der der englische Komponist, der im deutschsprachigen Raum etwa mit “Punch and Judy” bekannt wurde, eine durchaus eingehende Musik schrieb. Interpretiert vom Diotima String Quartet, unterstützt von der Klarinette, breitet sich ein süffiges Klangtuch über die Szene, filigran, lyrisch, technisch perfekt und ausdrucksstark gemustert mit Ton- und Rhythmuseffekten.
Spiegelungen
Sir Harrison ist ein Meister des schönen Klangs, seine Ausstatterin Alison Chitty eine Meisterin des schönen Bildes. Es war ja nicht nur das angeregte Gespräch in einem Pub, das zur Oper führte, inspiriert von Gemälden von Magritte und Hopper im Arbeitsumfeld des Ensembles wurden diese im Bild auch gleich zitiert.Und weil die beiden Epigonen der Malerei uns die Welt schon so deutungsschwanger machen, arbeitet Regisseur Stephen Langridge zusätzlich mit Spiegelungen bzw. Verdoppelungen. Was innen, in der Wohnung einer Frau, geschieht, wird auf der einen Seite sichtbar, der Mann, der laufend Briefe in ihren Türschlitz wirft (nur der Hut fehlt ihm zur Magritte-Figur) und dabei die Frau am Fenster beobachtet, auf der anderen. Will man erfahren, was davor passierte, kann man sich an den poetischen Text von Stephen Plaice halten, wird angesichts der bildhaften Sprache aber nur schwer fündig werden.
Mythologie
Die bewegte Beziehung des nun seltsam erstarrten Paares erhellt uns vielmehr der Verweis auf die griechische Mythologie. Io wird von Zeus begehrt, von der eifersüchtigen Hera aber verachtet. In Gestalt einer Kuh gelingt die Flucht, später kann (bzw. darf) sie Zeus wieder zu Willen sein. Die Frau träumt die Story und es dauert lang bis sie aktiv wird . . . Wer die griechische Mythologie heute auf Beziehungsgeschichten anwendet, begibt sich in Gefahr, an längst überholten Rollenmustern zu scheitern. Sie ist, auch bei einer noch so schönen Altherrenphantasie, hier nicht ausgeschlossen.
Dennoch war es ein beeindruckender, qualitätsvoller (und vom Sängerensemble im Übrigen glänzend und kontrastreich gesungener) Beginn der Koproduktionsvorhaben des neuen britschen Intendanten der Bregenzer Festspiele. Einer, der (siehe Spiegelungen und Täuschungen) auch thematisch an das Hauptprogramm mit den Weill-Opern anknüpft.