Sie heißt in Wahrheit anders. Sie hätte das auch gar nicht nötig. Den Decknamen nicht und auch die Nachtdienste. Ihr schmuckes Eigenheim atmet Wohlstand. Die Kinder sind aus dem Haus. Sie hätte ein Studium beginnen können, eine Fertigkeit perfektionieren: In der Küche, vielleicht im Modebereich. Stattdessen spricht die 55-jährige dreifache Mutter und Ehefrau von der sozialen Verantwortung, die ein jeder hat. Sie erzählt vom frühen kirchlichen Engagement in der Jungschar und vom späten Gedanken, sich in der Telefonseelsorge oder der Hospizbewegung zu engagieren.
Blauäugig eingestiegen
Aber dann starb eine gute Freundin. Lara hatte sie begleitet in ihrem langwierigen Abschied. Und entschied sich für die Hilfe am Telefon. Ich hatte genug vom Tod. Sie sei sehr blauäugig in den Sozialbereich eingestiegen, sagt Lara. Das war vor 15 Jahren. Seit damals hört sie anderen zu. Wenigstens zwölf Stunden im Monat ehrenamtlich, besagt die Vereinbarung. Sie wechseln sich ab. Gegenwärtig hat die Telefonseelsorge in Vorarlberg rund 80 Mitarbeiter. Alle wurden sie fünf Wochenenden lang ausgebildet. Spezialisten haben sie zehn Abende lang gesondert in Themen wie Depression oder Suizid unterrichtet.
Jede und jeder haben 50 Stunden an der Seite eines erfahrenen Kollegen hospitiert, ehe sie das erste Mal alleine Dienst schoben. Und alle tragen sie Decknamen im Dienst. Die Anonymität schützt die Anrufer und uns. Deshalb endet die Ausbildung in einer Art Taufe. Die heute 55-Jährige hat zwei Namen ausgewählt. In der E-Mail-Beratung unterschreibt sie mit Sarah. Am Telefon meldet sich Lara. Mädchenhaft lächelnd gesteht sie, die Namen hätten ihr gefallen, einfach so. Gleich ihr erster Anrufer hat der frischgebackenen Mitarbeiterin der Telefonseelsorge eröffnet, dass er sich das Leben nehmen werde. Es war der Stimme nach ein Mann zwischen 40 und 50. Er klang sehr einsam. Das Telefonat dauerte 15 Minuten. Dann legte er auf. Ob er die Tat vollzogen hat, blieb offen
Anderntags suchte Lara die Todesanzeigen nach Hinweisen ab. Vergebens. Niemals treten die Ehrenamtlichen mit Anrufern in engeren Kontakt. Selbst die Dauerkunden, die sich seit Jahren täglich melden, kennen ihre echten Namen nicht. Aber manchmal, wie zu Weihnachten, sagen sie Sätze wie: Wenn ihr damals nicht gewesen wärt, wäre ich heute nicht mehr. Aber es gibt auch Sexanrufer, Alkoholiker, alles. Die Blauäugigkeit der ersten Wochen ist längst passé. Geblieben ist eine große Liebe zur Berufung.
Mittwochnachmittag hatte Lara wieder Dienst von 15 und 18 Uhr. Genoss es, wie die Hauptamtlichen die Ehrenamtlichen umsorgen. Es ist immer was Süßes da. Der Kühlschrank ist gefüllt. Die Kaffeemaschine wartet schon. Und nahm Anrufe entgegen. Über die Freisprechanlage, wie sie das meistens tut. Zuhörend. Und in 90 Prozent der Fälle so die Einsamkeit mildernd, die am anderen Ende der Leitung ein Menschenleben quält.