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Riskanter Run auf die Berge

Marija zieht es in die Berge.
Marija zieht es in die Berge. ©Handout
Selfies am Strand waren mal, der neue Trend im Social Media heißt auch im Ländle Gipfel-Foto. WANN & WO fragte nach, was die neue Lust auf Berge ausmacht – und warum die immer öfter gefährlich wird.

Von Anja Förtsch/Wann&Wo

Erst kürzlich musste Heli-Pilot Jürgen Albrecht wieder ausrücken: Eine fünfköpfige Familie im Alter zwischen zwölf und 72 Jahren hatte sich den Klettersteig am Kleinen Silvretta-Horn vorgenommen. Der Wetterbericht sagte Unwetter voraus, aber die Familie war sich sicher, den Steig noch vor dem Wolkenbruch zu schaffen. Und überhaupt: Man war ja extra dafür gekommen, dann musste man den Klettersteig auch machen. „Am Ende mussten wir insgesamt dreimal fliegen, bis wir alle Personen unten hatten. Die waren unterkühlt, teilweise panisch und in Schockstarre“, berichtet der Libelle-Pilot und Luftretter im Gespräch mit WANN & WO. „Noch während sie in der Wand waren, war das Unwetter aufgezogen, es hagelte sogar.“ Es sind Einsätze wie dieser, welche die Luft- und Bergretter den Kopf schütteln lassen. „Denn das war nur einer der vielen Notfälle, die mit etwas mehr Vorsicht vermeidbar gewesen wären“, so Albrecht. Fakt ist: Der neue Ansturm auf die Berge ist groß. Und damit auch das Risiko.

Canyoning und E-Bikes

Klaus Drexel von der Vorarlberger Sparte des Österreichischen Bergrettungsdienstes macht dabei besonders eine Sportart aus: „Speziell in der Ortsstelle Dornbirn gab es die letzten Wochenenden vermehrt Einsätze im Canyoningbereich.“ Einer der Hotspots sei demnach die Kobelache. „Und natürlich die Touristenregionen wie das Kleine Walsertal“, so Drexel weiter. Artur Köb von der Flugrettung sieht einen weiteren Schwerpunkt: E-Bikes. „Die werden meist ausgeliehen von Leuten, die keine Fahrpraxis haben, sich nicht mit Bremsen, Geschwindigkeit und Gewicht des Bikes beim Abwärtsfahren auskennen“, so Köb. „Die Leute machen mit E-Bikes Touren, die sie normal zu Fuß auf Grund der körperlichen Fitness nicht bewältigen könnten.“ Man habe dementsprechend einen „beachtlichen Anstieg an Einsätzen“. Dabei würden übrigens nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische gerettet, bestätigen alle.

Fehlende Vorbereitung

Einig sind sich die Experten auch hinsichtlich der Gründe, aus denen sie um Hilfe gerufen werden: „Schlechtes Schuhwerk, fehlende Trittsicherheit, fehlende körperliche Fitness und schlechte Tourenplanung“, führt etwa Köb an. Und laut Drexel nehmen diese Punkte gegenüber normalen Unfällen sogar immer weiter zu. „Primär rücken wir zu Verunfallten aus, aber es häufen sich auch Einsätze wegen Erschöpfung und Selbstüberschätzung“, so der Experte. „Es kommt auch vor, dass Personen nicht weiterkommen, weil sie sich verstiegen haben oder vom Weg abgekommen sind. Von der Ausrüstung her fehlt es meistens an nichts – eher an der Tourenvorbereitung.“ Und Albrecht bestätigt: „Unvorbereitetheit zusammen mit unterer bis mittlerer Kondition und Blauäugigkeit hinsichtlich des Wetters sind die Faktoren, welche die Leute in Not bringen.“

Alles fürs Insta-Foto?

Oft wird in dem Zusammenhang auf Influencer geschimpft, die sich für spektakuläre Fotos in Gefahr brächten. Ein solcher Social-Media-Notfall ist den Rettern im Ländle aber noch nicht passiert. „Vielleicht auch, weil wir hier keine Hotspots wie das Matterhorn haben“, rätselt Albrecht. Vielleicht aber auch, weil die „Berg-Influencer“ im Land verantwortungsbewusster sind – so wie etwa Marija aus Altach: „Sicherheit am Berg ist ein großes Thema für mich“, sagt die 36-Jährige. „Wer viel geht und viel macht, bekommt eine gute Selbsteinschätzung. Wer aber noch nicht erfahren ist, sollte lieber klein und sicher anfangen und sich langsam herantasten. Schließlich stehen die hohen Berge ja noch länger.“

Sicherheit geht vor: PEAK-Check vor der Tour

Um sicher am Berg unterwegs zu sein, empfiehlt die Bergrettung den „PEAK Check“: P wie Planung, E wie Einschätzung, A wie Ausrüstung und K wie Kontrolle. Wichtig ist dabei, immer ehrlich zu sich selbst zu sein und sich nicht zu überschätzen oder die Tour zu unterschätzen. Mehr Infos: bergrettung-vorarlberg.at/teaser-menue/tipps/peak-bergcheck.

„Niemals wegen Likes zu etwas verleiten lassen“

„‚In den Bergen ist Freiheit‘ – das ist eines meiner Lieblingszitate. Der Alltag hat für mich am Berg keine Bedeutung, ich bin nur auf eine Sache konzentriert und spüre mein Herz tanzen. Es gibt aber auch immer ein Restrisiko. Manchmal ist es nur ein falscher Schritt durch Müdigkeit oder Unkonzentriertheit, der fatal ausgehen kann. Zwei Dinge minimieren dieses Risiko: Überschätze dich nicht selbst und unterschätze nicht das Wetter. Man sollte sich nicht zu etwas verleiten lassen, nur weil man es auf Instagram gesehen hat und das viele Likes geben könnte.“ Marija Matosevic, 36, Altach, @marijamat

„Hatte oft Glück“

„Als Montafonerin habe ich das Glück, die Berge direkt vor der Haustür zu haben. Früher habe ich sie nicht geschätzt, heute könnte ich gar nicht mehr ohne sie. ‚Gnüßa – zFreda si – abschalta‘, genau das sind die Berge für mich. Je öfter ich in der Höhe unterwegs war, desto mehr Erfahrungen konnte ich sammeln: gute und nicht so gute. Damit kam auch der Respekt vor den Alpen. Man sollte sie keinesfalls unterschätzten, ich hatte oft Situationen, wo ich Glück hatte. Das würde mir heute nicht mehr passieren.“ Siri Fleisch, 23, Montafon, @siriso_

KOMMENTAR

Das Schlimmste am Berg ist nicht schlechtes Wetter, sondern fotografierende Instagrammer: Diese Meinung hört man immer öfter – je öfter eben Menschen (vielleicht zum ersten Mal) in die Berge gehen und ihre Erlebnisse natürlich auch festhalten. Die Berge seien für alle da, die „Neulinge“ sollen gefälligst Rücksicht nehmen, sich unauffällig verhalten und am besten noch verstecken. Ja, die Berge sind für alle da. Und damit auch für die, die zum ersten Mal in ihnen unterwegs sind. Das Schlimmste am Berg sind nämlich nicht Instagrammer. Sondern Nörgler.
Anja Förtsch, Redakteurin

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