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Psychologische Versorgung in Österreich: Expertin sieht dringenden Handlungsbedarf 

Das Angebot an psychologischer Beratung ist sehr dicht, aber auch hier spielt Personalmangel eine Rolle.
Das Angebot an psychologischer Beratung ist sehr dicht, aber auch hier spielt Personalmangel eine Rolle. ©APA/ERWIN SCHERIAU
Nach dem Amoklauf am BORG Dreierschützengasse in Graz ruft Sigrid Krisper, Leiterin der steirischen Suizidprävention, zu gesellschaftlichem Zusammenhalt auf und betont die Bedeutung offener Gespräche. Gerade für Kinder und Jugendliche kann es nie genug psychologische Angebote geben.
Kriseninterventionsteam
Trauerminute nach Amoklauf
Veranstaltungen abgesagt

Nach dem Amoklauf am BORG Dreierschützengasse in Graz hat die Leiterin der Suizidprävention Steiermark, Sigrid Krisper, zu Zusammenhalt und Kommunikation aufgerufen. "Niemand muss sich schämen, Krisen dürfen kein Tabu sein." Es sei "jetzt wichtig zusammenzustehen, sich Hilfe zu holen und über das zu reden, was passiert ist", sagte Krisper. "Alle Gefühle sind erlaubt", betonte die klinische Psychologin. Seit 2019 leitet sie die Suizidprävention Steiermark "Go-on".

Leiterin der steirischen Suizidprävention: Schule nun als Ort der Unsicherheit

Die Tat habe bei vielen Betroffenen eine "große Verunsicherung" ausgelöst, ordnete Krisper ein. "Ein Ort, der bis jetzt als sicher gegolten hat, ist wie mit einem schwarzen Tuch hinterlegt. Die Schule ist zu einem Ort der Unsicherheit geworden. Und Unsicherheit macht Angst." Umso mehr sollte man von den Hilfsangeboten Gebrauch machen. Die ganze Gesellschaft sei gefordert: "Damit wir für unsere Kinder und Jugendlichen eine Art von Sicherheit schaffen."

Dichtes Netz an psychosozialen Angeboten in der Steiermark, aber Mängel "an allen Ecken"

Auch wenn Krisper bei dem Amoklauf von Graz nicht den Suizid, sondern die Tötung primär im Vordergrund sieht, betonte sie die Bedeutung von Suizidprävention. Bei Betroffenen würden sich oft "Warnhinweise" im Vorfeld zeigen, Krisper spricht von "deutlichen Verhaltensveränderungen": Etwa, wenn die betroffene Person ihr Haustier weggibt, das sie eigentlich immer geliebt hat. Oder wenn sich die Person zurückzieht. Oder wenn sie plötzlich aggressiv wird und Gewaltausbrüche vorkommen. "Dann kann man davon ausgehen, dass man ein Auge auf die Person haben muss und auf sie schauen muss."

Grundsätzlich sei das Netz an psychosozialen Angeboten in der Steiermark "dicht gewebt", sagte Krisper. Doch es mangele "an allen Ecken" an Fachpersonal, wie zum Beispiel Psychiatern. Und es gebe immer wieder Kinder und Jugendliche, die nicht wissen, an wen oder wohin sie sich wenden können.

Stigmatisierung psychischer Krise immer noch ein Thema in Österreich

Auch bekomme die Psychologin immer wieder mit, dass noch Angst vor Stigmatisierung herrsche. "Niemand muss sich schämen, Krisen dürfen kein Tabu sein. Da sind wir alle weiterhin gefragt, diese Tabus zu brechen. Egal in welcher Krise man sich befindet - jedem geht es einmal schlecht, jeder kann sich Hilfe holen."

Kritik an sozialen Medien und Waffengesetz von Psychologin Krisper

Die Suizidprävention ist seit 2024 mit einem ihrer Projekte direkt an Schulen tätig, "um zu lernen, wie man über Konflikte und Sorgen spricht und wie man Resilienz aufbauen kann", erklärt Krisper. Es sei wichtig, mit Kindern genauso wie mit Pädagogen und Eltern zusammenzuarbeiten. Im Bereich soziale Medien sieht Krisper Nachholbedarf: "Sie sind für junge Menschen Dreh- und Angelpunkt, es kursiert da so viel Unsinn." Mit Aufklärungsvideos könne man dagegenarbeiten. Krisper hält fest: "Wir können für die Kinder und Jugendlichen nie genug tun, es kann nie genug Angebote geben."

Auch über das Waffengesetz müsse man jetzt diskutieren, findet die Psychiaterin. "Waffen sind ein Suizidmittel und man kann mit einer Waffe in kurzer Zeit sehr viel Schaden anrichten. Wir sollten uns jetzt zumindest die Frage stellen: Warum braucht eine Privatperson eine Waffe?"

Das sind die wichtigsten Telefonnummern für psychische Hilfe

  • Die Telefonseelsorge Österreich ist unter der Nummer 142 rund um die Uhr erreichbar. Ob in Momenten der Krise, der Einsamkeit oder wenn Menschen jemanden zum Reden brauchen. Auch Chats, Mails und Whatsapp-Kontakt sind möglich. Informationen gibt es hier.
  • Das psychologische Beratungsservice des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen ist Montag bis Donnerstag von 9.00 bis 13.00 Uhr erreichbar. Neben der Helpline unter 01/504 8000 können auch Mails über helpline@psychologiehilft.at geschrieben werden. Informationen sind hier abrufbar.
  • Die Beratung für Kinder und Jugendliche "Rat auf Draht" ist unter 147 erreichbar. Auch hier sind Chats möglich. Link zur Homepage. Für den Amoklauf hat die Seite einen eigenen Beratungsbereich eingerichtet.
  • Die Ö3-Kummernummer ist eine Erstanlaufstelle für Menschen in persönlichen Notlagen. Wer die Kurzrufnummer 116 123 wählt, erreicht eine bzw. einen der rund 100 ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater, die vom Roten Kreuz psychologisch geschult und organisiert werden. Die Kummernummer ist täglich von 16.00 bis 24.00 Uhr erreichbar. Weitere Informationen.
  • Die Hotline für Kinder, Jugendliche, Familien bei psychosozialen Krisen, Gewalt und Missbrauch von der Möwe ist unter 01 532 15 15 von Montag bis Donnerstag von 09.00 bis 17.00 Uhr bzw. am Freitag von 9.00 bis 14.00 Uhr erreichbar. Infos gibt es auch hier.
  • In Wien ist auch der Psychosoziale Dienst der Stadt für Akutsituation erreichbar. Die Sorgenhotline kann unter der Telefonnummer 01/4000/53000 angerufen werden. Die Expertinnen und Experten sind von Montag bis Sonntag von 8.00 und 20.00 Uhr für Hilfesuchende da. Weitere Informationen

(APA/Red)

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