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Prozess um Arsen-Morde: Opfer wiesen stark erhöhte Werte des Gifts auf

Beim Prozess um die Arsen-Morde: Angeklagte verdeckt ihr Gesicht
Beim Prozess um die Arsen-Morde: Angeklagte verdeckt ihr Gesicht ©APA
Im Prozess um den Tod zweier Männer durch Arsen-Vergiftung am Landesgericht Krems steht am Donnerstag ein Urteil bevor. Den gerichtsmedizinischen und chemischen Gutachten zufolge starben beide an den Folgen, auch wenn die Todesursachen natürlich erklärbar waren. Die Angeklagte Bogumila W. wurde weiter belastet.
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Laut Christian Reiter wurde bei Herbert A. (68) – er starb im Oktober 2010 – eine wiederkehrende Gabe nachgewiesen, bei Alois F. (61), der im Februar 2011 starb, eine einmalige oder kontinuierliche. Wie Reiter am Donnerstag ausführte, litten die Pensionisten aus Wien und Niederösterreich an altersbedingten verschiedenen “Wehwetscherln”, waren ansonsten aber gesund. Ihr Zustand verschlechterte sich dann jedoch rapide.

Analyse der Männer-Leichen zeigte Arsen-Spuren

In aufwendigen hochtechnischen Analysen wurden Organe sowie Haare und Nägel der Opfer untersucht, wodurch nicht nur der Nachweis des Giftes gelang, sondern sich – rückgerechnet auf das Wachstumstempo der Nägel – auch der Zeitpunkt der Arsengaben eingrenzen ließ. In beiden Fällen hatte die Beschuldigte zu dieser Zeit bereits bei den Männern gewohnt und sie “gepflegt”.

Ausgangspunkt für die – komplexen – gerichtsmedizinischen Untersuchungen war die Tatsache, dass beide Verstorbene dieselbe Haushälterin hatten, sagte Gutachter Christian Reiter. Die chemischen Analysen führten Stephan Hann von der Boku und Günter Paul Gmeiner (Seibersdorf) durch. Zwei unabhängige Labors und zwei unterschiedliche Proben hätten zu einem Ergebnis – Arsenvergiftung – geführt, so Reiter.

Massiv erhöhte Werte bei Herbert A.

Bei Herbert A. waren die Arsenwerte in der Niere um das Hundertfache, in der Leber um das Tausendfache erhöht. Bei F. betrug die Konzentration “nur” das Zwei- bis Vierfache, was der Sachverständige mit der Auswaschung des Giftes durch die Dialyse begründete. Einer solchen war der Niederösterreicher in seinen letzten Wochen im Spital unterzogen worden. In den Haaren fanden sich laut Gmeiner am Ansatz 115 bzw. 65 Nanogramm (pro Kilogramm) – in der Literatur sind Todesfälle bei 45 Nanogramm dokumentiert.

Die von den Gutachtern festgestellten Zeiträume der Arsengaben decken sich mit den Krankengeschichten der Männer. Herbert A. hatte am 9. Februar 2010 seine Hausärztin wegen Übelkeit, Erbrechen und Verdauungsstörungen aufgesucht und seine Unpässlichkeit auf verdorbene Wurst zurückgeführt. Nachdem sich sein Zustand nicht gebessert hatte, wurde er am 14. Februar stationär in Spital aufgenommen, wobei u.a. Brusthöhlenergüsse, Leberverfettung, Nasenbluten, eine Entzündung des Magens und beginnend der Nerven sowie eine Knochenmarksveränderung festgestellt wurde. Das wiederkehrende Erbrechen habe man damals im Krankenhaus auf Alkoholkonsum zurückgeführt, erläuterte Reiter. Viele “normale” Symptome seien mit jenen durch Arsenvergiftung in Einklang zu bringen.

Am 7. März musste der 68-Jährige erneut ins Spital, die Sensibilität der Extremitäten war gestört, im Mai kam eine Herzbeutelentzündung dazu, eine schlaffe Lähmung der Arme und Beine trat auf, die Haut erkrankte, das EKG war auffällig verändert und die Nieren versagten. Seit Jänner hatte der Patient 20 Kilo abgenommen. Am 26. August erklärte der Mann seiner Hausärztin, daheim in Würde sterben zu wollen, und wurde mit Morphin gegen seine Schmerzen – vor allem die Hände waren überempfindlich – behandelt. Als er ausgezehrt, ausgetrocknet und mit nur mehr 33 Grad Körpertemperatur am 14. Oktober eingeliefert wurde, konnte er kaum noch sprechen – am nächsten Morgen war er tot. Laut Obduktion war ein Magengeschwür durchgebrochen und der Tod durch Bauchfellentzündung eingetreten.

Krankengeschichte von Alois F.

Bei Alois F. hatte eine Blutbilduntersuchung noch im Sommer 2010 keine Auffälligkeiten ergeben. Ab 29. November litt er an Angina, Schluckbeschwerden und Durchfall, in den folgenden Tagen und Wochen kamen Bauch- und Gelenksschmerzen sowie Atemnot dazu, seine Beine waren geschwollen, er zeigte – ebenfalls – Sensibilitätsstörungen in Armen und Beinen. Am 29. Dezember stellte der Hausarzt eine abheilende Gürtelrose fest, am 11. Jänner 2011 wurde der Niederösterreicher mit Lungenentzündung in lebensbedrohlichem Zustand ins Krankenhaus Krems gebracht. Dialyse war ab 17. Jänner notwendig, auch das Blutbild stimmte auffällig nicht, F. blutete aus Nase und Mund. Der 61-Jährige starb am 14. Februar 2011 – laut Obduktion an Pilz- und bakterieller Blutvergiftung.

Die Plädoyers in dem Verfahren begannen um 13.30 Uhr. Übelkeit und Erbrechen sind, wie Gutachter Christian Reiter ausführte, typische Symptome einer Arsenvergiftung, ebenso Lähmungserscheinungen und Hautausschläge. Etwa ein Drittel der Opfer bekommt Angina, bei 50 Prozent verändert sich das Blutbild, besonders empfindlich auf das Gift sind Leber und Nieren.

Exkurs über Arsen und Arsenik

In seinem Exkurs über Arsen ging Reiter besonders auf das Vorkommen ein: Beim Bergbau müsse das Eisenerz vor dem Schmelzen von Arsen und dem “Geschwisterelement” Schwefel befreit – “geröstet” – werden, weil es sonst brüchig würde. In diesen Röstanlagen kondensiert Arsen zu Arsenik – die kleinen Kügelchen gab man in früheren Jahrhunderten zum Beispiel in der Steiermark, wo der Erzberg liegt, Pferden, weil sie dadurch kräftiger wurden und ein glänzendes Fell bekamen. Auch die Rossknechte “warfen” Arsenik ein – als “Doping” für mehr Muskelkraft, so Reiter. Die Faustregel der “Arsenikesser” lautete: “Ein Gerstenkorn macht Wangen rot, ein Erbsenkorn macht sicher tot.”

Um 1900 befasste sich die Wissenschaft eingehend mit dem Element, die Folgen waren gut und schlecht, meinte Reiter: Einerseits wurde das erste Chemotherapeutikum entwickelt, andererseits kam es als militärisches Kampfgas im Ersten Weltkrieg zum Einsatz. Der Süden Polens und das Riesengebirge waren damals die ertragreichste Region Europas, Bergwerke gab es bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Mineraliensammler gehen laut Reiter heute noch in die unzähligen offenen Stollen. Über eBay könne man um 107 Euro 200 Gramm Arsenik erwerben: “Damit könnte man den gesamten Gerichtssaal in einer Woche töten.”

Ein Mensch nehme täglich 20 bis 60 Mikrogramm Arsen auf, 0,7 Milligramm seien als Einzeldosis unbedenklich. 180 bis 700 Milligramm stellen eine tödliche Dosis dar.

Arsenik sei – da geschmacks- und geruchsneutral – leicht ins Essen zu mischen oder löst sich in Alkohol “hervorragend” auf. Arsenik in Honigwasser aufgelöst verwendete man einst zur Fliegenvernichtung. Auf die Frage, ob man etwa eine Wurst “präparieren” könnte, verwies Gutachter Günter Paul Gmeiner auf viele Möglichkeiten. Man könne es auch eindampfen und dann kristallisiert etwa über eine Pizza streuen.

(apa/red)

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