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Praevenire Gesundheitstage: Coronakrise als Digitalisierungs-Turbo

Die Coronakrise hat die Digitalisierung im medinizischen Bereich vorangebracht.
Die Coronakrise hat die Digitalisierung im medinizischen Bereich vorangebracht. ©Pixabay.com (Sujet)
Die Coronakrise hat auch in Österreich telemedizinische Anwendungen nötig und populär gemacht. Jetzt gelte es, diesen Schwung in die Post-Pandemie-Ära mitzunehmen und sinnvoll zu verwenden, hieß es am Montag bei einem Workshop im Vorlauf zu den Praevenire Gesundheitstagen.

Die Praevenire Gesundheitstagen finden von 19. bis 21. Mai (teilweise online) im Stift Seitenstetten in Niederösterreich statt.

Die Praevenire Gesundheitstage sind seit 2016 jedes Jahr Treffpunkt von Gesundheitsexperten aus dem In- und Ausland. Bei dem Workshop "Digital Health" ging es am Montag um Entwicklung und breite Anwendung digitaler Technologien im Gesundheitswesen.

Digitalisierung: Höhere Behandlungseffektivität bei geringeren Kosten

Ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung in der Zukunft soll "Blended Care" sein: Die Digitalisierung dafür geeigneter Versorgungsschritte, die Verwendung von für einzelne Patientengruppen geeignete Apps und zum Beispiel telemedizinische Konsultationen. "Diese Idee ist sehr verwandt mit den Veränderungen während der Corona-Krise, in der telemedizinische Services Einzug gehalten haben", sagte Reinhard Riedl (Zentrum Digital Society, Berner Fachhochschule). Das gewünschte Ergebnis: höhere Behandlungseffektivität zu geringeren Kosten. Bessere Information der Patienten, eine - vor allem bei chronischen Erkrankungen - kontinuierliche Erhebung wichtiger Monitoringdaten und einfacherer Zugang zu Arztkonsultationen ohne "Anreisezeiten" etc. im Normalfall seien hier wichtige Bestandteile.

Im Rahmen des "Weißbuch Gesundheit 2030" (Version 2020) hat die Praevenire Initiative mit dem ehemaligen Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) bereits Rahmenbedingungen für mehr "Digital Health" in Österreich formuliert. So sollte die Entscheidungskompetenz der betroffenen Menschen gestärkt werden, Zugang zu Daten sollte ermöglicht, im Gesundheitswesen durchgängig auf Zusammenarbeit aller Beteiligten gesetzt werden.

Die Bandbreite von "Digital Health" könnte in der Anwendung riesig sein. Riedl nannte "Apps wie digitale Gesundheitstagebücher", die Ärzten entscheidende Hinweise auf die Situation der Patienten geben, Monitoring-Systeme, welche rund um die Uhr Gesundheitsdaten für die Überwachung chronisch Kranker liefern oder Online-Besuche beim Hausarzt bzw. Online-Kontrollen beim Spezialisten im Routinefall. "Über 'Remote Intelligence' können Spezialisten für besonders Fragestellungen zugeschaltet werden. Hinzu kommen Organisationshilfen für Patienten und Möglichkeiten der persönlichen Begleitung des Kranken im Alltag.

Digital Health: Offene Frage nach Umgang mit Informationen

Für alle diese Anwendungen von "Digital Health" wird allerdings eine Neuverhandlung des Umgangs mit Informationen notwendig sein, betonte Joachim Buhmann, Leiter des Instituts für maschinelles Lernen der ETH-Zürich: "Wir müssen den Zugriff, den wir auf unsere Daten geben, neu denken. Einen Teil unserer Privatsphäre wollen wir besonders geschützt haben. Er ist zumeist mit Sexualität, Fortpflanzung und der Kommunikation zwischen den Geschlechtern verbunden. Aber wir kennen die Zusammensetzung unseres Genoms seit Jahrzehnten. Hier wollen wir uns vor den Nachteilen unberechtigten Zugangs schützen." Bisher seien analoge "Papierkarteien" und "Zettelwirtschaft" datenmäßig eben sicher gewesen, weil die Möglichkeit zur schnellen Verknüpfung persönlicher Informationen fehlte.

Doch das ändere sich mit "Digital Health" dramatisch. Der Schweizer Experte: "Wir haben die Kontrolle über den Datenaustausch massiv verloren." Hier müsse es dringend zu einer Neuorganisation des Umgangs mit personenrelevanten Daten kommen. Nicht das Vorhandensein von Daten, sondern deren Manipulation macht ein Risiko aus.

Ein digitales Gesundheitswesen wird wohl auch längst nicht überall positive Effekte haben, betonte Tine Melzer, Sprachphilosophin in Zürich: "Ausgezeichnet bewährt sich 'Digital Health' zum Beispiel in der Unterstützung bestimmter Patientengruppen, in der Suchtberatung oder für Therapiegespräche. Da erzeugt der sonst notwendige Gang in eine Einrichtung mehr Hindernisse als der unterschwellige Zugang zum Psychologen auf der Couch zu Hause."

Digitalisierung nicht in jedem medizinischen Bereich sinnvoll

Bei anderen Anwendungen muss man laut der Expertin extrem vorsichtig sein. Tine Melzer: "Alles was mit Gynäkologie und Geburtshilfe zu tun hat, darf nicht zu stark ins Digitale ausgelagert werden. Auch in der Kinderheilkunde stellt man fest, dass es ganz wichtig ist, dass der Kinderarzt eben die ganze Person sieht." Im 2D-Format des Bildschirms werde der Arzt eben nicht Verhalten und Entwicklung eines Kindes vollends beurteilen können.

Wozu "Digital Health" jedenfalls gut in der Lage wäre, wie von mehreren Experten betont wurde: Die sprichwörtlichen "Patienten-Reisen" mit langen Wartezeiten und komplizierten Abläufen könnten besser geplant, wichtige Daten für Diagnose und Therapie zusammengeführt und die Langzeitbetreuung vieler Betroffenen effizienter und komfortabler gemacht werden. "Digital Health muss aber auch Teil des Leistungskatalogs der Finanzierer (Krankenkassen; Anm.) sein. Die Arzt-Patienten-Beziehung darf nicht gestört werden", sagte Reinhold Sojer, von der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte.

Wenn die Telemedizin allerdings überbordend der Kontrolle des Gesundheitspersonals durch die Zahler hinauslaufe, werde "Digital Health" schnell scheitern, weil die im Gesundheitswesen Beschäftigten nicht mitmachen, betonte Riedl. In Österreich könnte die elektronische Gesundheitsakte ELGA jedenfalls in Zukunft von einer Befunddatei in Richtung einer umfassenden Plattform für Patientenversorgung und Forschung ausgebaut werden, hieß es bei der Veranstaltung.

(APA/Red.)

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