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Polen: Rau redet vor Sejm

Als Johannes Rau als erstes deutsches Staatsoberhaupt vor beiden Häusern des polnischen Parlamentes spricht, muss er das Offensichtliche eigentlich nicht noch einmal hervorheben.

Dennoch erinnert der 73-Jährige daran, dass er kein anderes Land in seiner Amtszeit so oft besucht habe wie Polen. Applaus brandet auf, als der Bundespräsident sagt: „Das war mir eine Herzenssache.” Es ist Raus letzter großer politischer Auftritt im Ausland – am Vortag des polnischen EU-Beitritts.

Schon lange habe er die polnischen Abgeordneten nicht mehr so aufmerksam zuhören sehen wie am Freitag, sagt der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski. Und er ist voll des Lobes für seinen Kollegen: Rau sei nicht nur ein „guter Deutscher, sondern auch ein wunderbarer, herrlicher Freund Polens”, schwärmt der Staatschef.

Doch Raus Plädoyer für die historische Chance der EU-Erweiterung stößt nicht überall auf Zustimmung. Die Abgeordneten der nationalistischen „Liga polnischer Familien” verlassen kurz nach Beginn der Sondersitzung von Sejm und Senat demonstrativ den Saal – sie sind gegen den EU-Beitritt Polens. Doch Rau versäumt es auch nicht, die Ängste der Menschen in den Grenzregionen angesichts der Erweiterung anzusprechen.

„Da ist auf der einen Seite die Sorge vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und vor der Verlagerung von Firmen, auf der anderen die Furcht vor Rückforderungen oder Ausverkauf.” Gleichzeitig zeigt sich der Bundespräsident zuversichtlich, die Zweifler „durch die Wirklichkeit Europas” überzeugen zu können.

Er halte die Sorgen für beherrschbar, betont Rau später noch einmal. Die EU-Erweiterung werde eine „Erfolgsgeschichte” für Deutsche und Polen, zeigte er sich überzeugt. Skepsis habe es immer gegeben, und sie sei stets widerlegt worden. „Also anpacken und weitermachen!”, gibt er als Motto aus.

Es ist Raus sechster Besuch in Polen. Zum ersten Mal in seiner Amtszeit war er am 1. September 1999 zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen in dem Nachbarland. Es war eine der ersten Reisen des ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten in seinem neuen Amt.

Auch an diesem Freitag sparen weder Rau noch Kwasniewski das schwierige deutsch-polnische Verhältnis aus. Deutsche und Polen hätten eine tausendjährige Geschichte mit „tragischen und wundervollen Momenten”, sagt Kwasniewski. Sie beide wüssten, dass „Polen und Deutsche sich umeinander bemühen” müssten, betont Rau. Es müsse ein Dialog „im Geiste der Versöhnung und der guten Nachbarschaft” geführt werden, „im Bewusstsein der Geschichte und der Zukunft zugewandt”.

Wie dünn der Boden im deutsch-polnischen Verhältnis noch immer ist, zeigte sich erst vor kurzem. Als bekannt wurde, dass der polnische Regierungschef Leszek Miller zusammen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach den Feierlichkeiten in Zittau in einer deutschen Maschine zur EU-Erweiterungsfeier nach Dublin weiter fliegt, führte dies zu einem Aufschrei in Polen.

Zeitungen titelten, Miller fliege mit der „Luftwaffe” nach Irland, und der sozialistische Parlaments-Vizepräsident Tomasz Nalecz sagte, Miller solle sich „lieber gar nicht erst nach Dublin begeben”, wenn es mit einer deutschen Maschine sein müsse.

Rau hält solche und ähnliche Äußerungen nicht für repräsentativ. „Störversuchen Weniger sollten wir nicht ein Echo verschaffen, das sie nicht verdienen, und wir sollten uns auch nicht die Äußerungen unserer jeweiligen Extremisten entgegenhalten”, empfiehlt der 73-Jährige in seiner halbstündigen Rede.

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