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Pessimistischer Weltdeuter: Saramago tot

Als José Saramago einmal nach dem Grund für sein ewig düsteres Weltbild gefragt wurde, antwortete er mit derselben Ironie, die sich in vielen seiner Bücher findet: "Ich bin kein Pessimist, sondern bloß ein gut informierter Optimist." Doch eigentlich meinte der portugiesische Literaturnobelpreisträger das durchaus ernst. "Wir stecken alle in der Scheiße.

Optimist kann eigentlich nur sein, wer gefühllos, dumm oder Millionär ist.” Die Welt sei eine Hölle: “Millionen Menschen werden geboren, um zu leiden. Kümmern tut dies kaum jemand.” Die Hölle hat Saramago nun verlassen – der Portugiese starb am Freitag im Alter von 87 Jahren auf Lanzarote.

Der überzeugte Kommunist Saramago meldete sich immer wieder zur aktuellen Politik zu Wort und eckte dabei nicht selten an. Bei einem Besuch in Ramallah etwa verglich er die israelische Besetzung in den palästinensischen Autonomiegebieten mit den Gräueln der Nazis in Auschwitz und Buchenwald. In seiner Heimat sorgte der Schriftsteller mit dem Vorschlag für Aufregung, Portugal solle territorialer Bestandteil des großen Nachbarn Spanien werden. In Portugal brachte Saramago dies den Vorwurf des Vaterlandsverrats ein – zumal er selbst seit fast zwei Jahrzehnte als Wahlspanier lebt – mit seiner spanischen Frau, der Übersetzerin Pilar del Rio (57), auf der Kanaren-Insel Lanzarote.

Dorthin war er aus Protest gegen die damalige konservative Regierung seines Landes ausgewandert. Diese hatte seinen siebenten Roman, “Das Evangelium nach Jesus Christus”, 1992 wegen angeblicher Verletzung religiöser Gefühle von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis streichen lassen – der bekennende Atheist Saramago hatte den Gottessohn als Jüngling dargestellt, der auch an seinem eigenen Glauben zweifeln kann.

“Wenn so etwas zu Zeiten der Salazar-Diktatur geschehen wäre, hätte ich es ja noch verstehen können. In einer Demokratie aber empfand ich diese Zensur beschämend”, sagte der aus armen Verhältnissen stammende Autor, der 1998 den Literatur-Nobelpreis erhielt. Heute ist er einer der weltweit meistgelesenen Autoren portugiesischer Sprache – und bringt seine Landsleute immer wieder zur Weißglut. Bei der Vorstellung seines letzten Buches “Caim” (Kain) startete der bald 87-Jährige vor einigen Monaten noch einmal einen ungewöhnlich furiosen Rundumschlag gegen Gott, die Bibel und die Kirche.

Die Bibel sei “ein Katalog von Grausamkeiten”, Gott rachedurstig, eifersüchtig und nicht über den Weg zu trauen, so der Autor. Im erzkatholischen Portugal ließ die Antwort nicht auf sich warten. Der sozialdemokratische Euroabgeordnete Mario David rief Saramago auf, “schnellstens” die Staatsbürgerschaft von Portugal aufzugeben. Der frühere Kultur-Staatssekretär Sousa Lara verglich den Schriftsteller gar mit Silvio Berlusconi. Dabei hatte Saramago den umstrittenen italienischen Regierungschef, auf den Sex-und Korruptionsaffären lasten, jüngst als “Mafia-Boss” bezeichnet.

Saramago wurde 1922 in der Ortschaft Azinhaga nahe Lissabon als Sohn eines Landarbeiters und späteren Polizisten geboren. Nach dem vorzeitigen Schulabgang wurde er Maschinenschlosser, arbeitete später als technischer Zeichner, Angestellter in der Sozialbehörde, in einem Verlag und als Journalist. Erst mit etwa 40 Jahren fand er zur Schriftstellerei. 1966 erschien unter dem Titel “Os poemas possiveis” (Die möglichen Gedichte) sein erstes Buch. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit Romanen wie “Hoffnung im Alentejo” (1980), “Das Memorial” (1982) oder “Das Todesjahr des Ricardo Reis” (1984), die durch die bilderhafte und barock anmutende Sprache bestechen.

Wenn er über Unterdrückte und Besitzlose schrieb, tat er das nicht mit erhobenem Zeigefinger; Herrschende prangerte er mit Ironie und zuweilen bitterem Sarkasmus an. “Meine Figuren sind einfache Leute, nicht zu schön und nicht zu hässlich, die in Grenzsituationen dank Freundschaft oder Liebe zueinanderfinden”, erklärte Saramago, der sich einen Verehrer von Günter Grass nennt.

In Portugal hatte er unter dem Titel “Die kleinen Memoiren” eine Art Autobiografie herausgebracht, die mit dem 15. Lebensjahr endet. “Diese Zeit hat mich am meisten geprägt, im Grunde bin ich ein Bauernjunge geblieben”, sagte er. In dem Buch erfährt der Leser auch, dass Saramago eigentlich Jose de Sousa hieß. Sein richtiger Familienname ging beim Eintrag ins Geburtenregister “verloren”, weil der zuständige Beamte betrunken war. Er trug den Kosenamen ein, mit dem die Familie in ihrem Dorf bekannt war. Der Fehler kam erst Jahre später bei der Einschulung heraus und war nicht mehr rückgängig zu machen. Auf Deutsch war von Saramago “Eine Zeit ohne Tod” (Rowohlt-Verlag) erschienen, ein skurril-philosophischer Roman über eine Gesellschaft, in der niemand stirbt.

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