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Opfer ohne Chance

Insgesamt 360 Stelen erinnern beim LKH Hall an die Euthanasie-Opfer der NS-Zeit, eine davon an die Nenzingerin Anna Kessler.
Insgesamt 360 Stelen erinnern beim LKH Hall an die Euthanasie-Opfer der NS-Zeit, eine davon an die Nenzingerin Anna Kessler. ©Elke Kager Meyer/LKH Hall
Eine sogenannte Stele beim LKH Hall erinnert an das Schicksal der Nenzingerin Anna Kessler
Anna Kessler

Es ist ein unrühmlicher Teil unserer Geschichte und das Schicksal von Anna Kessler ein ganz besonders tragisches: Geboren wurde das Mädchen im Jahr 1884 in der Nähe von Zürich – ihr Vater Markus war gebürtiger Nenzinger, die Mutter Schweizerin. Und genau dieser Bezug zum Walgau ist auch der Grund dafür, warum der Nenzinger Gemeindearchivar Thomas Gamon das Leben und insbesondere den tragischen Tod von Anna Kessler genauer unter die Lupe nahm.

Das Mädchen war nämlich von Geburt an taubstumm. Nach dem Tod ihrer Eltern leitet die Vormundschaftsbehörde Zürich ein Entmündigungsverfahren ein. Da Anna Kessler – auf Grund der Wurzeln ihres Vaters – einen österreichischen Pass hatte, suchte die Zürcher Kantonspolizei bei der BH Bludenz im Jahr 1938 um „Heimschaffung“ an. Inzwischen ist Anna 54 Jahre alt und hat über lange Jahre auch gearbeitet. „Nur wenige Monate später wäre der österreichische Pass abgelaufen und Anna Kessler wäre dann Schweizer Staatsbürgerin gewesen. Die Schweiz wollte aber nicht für Pflegekosten von Ausländern aufkommen“, fasst Thomas Gamon zusammen. Was eine „Abschiebung“ von Menschen mit Behinderung in NS-Zeiten bedeutete, wurde wohl in Kauf genommen.

Erinnerung als Mahnmal

Vorübergehend wurde Anna Kessler im damals so genannten „Armenhaus“ untergebracht, 1941 wurde sie mit vier weiteren Frauen in die „Valduna“ überstellt. „Vier Frauen kamen bald zurück, Anna nicht. Sie hatte keine Verwandten in Vorarlberg, die sich für ihre Heimkehr eingesetzt hätten“, so der Archivar. Eine Todesnachricht an die Gemeinde ist nie eingelangt, fix ist, dass Anna Kessler in Niedernhart (Hartheim) mit einer Giftspritze umgebracht wurde. „Keiner lebte dort länger als 14 Tage“, berichtet der Nenzinger Gemeindearchivar aus dieser traurigen Vergangenheit.

Opfer wieder sichtbar machen

Vorbildlich aufgearbeitet hat diesen dunklen Teil der Geschichte das Landeskrankenhaus Hall in Tirol. Noch bis vor wenigen Jahren waren die betroffenen Opfer in Archiven dokumentiert, verstaubt und zum Teil vergessen. Wichtig war für Historiker Oliver Seifert und die Stadt Hall nicht nur die NS-Zeit aufzuarbeiten sondern auch für die Angehörigen der vergessenen Opfer einen geeigneten Ort zu finden. Als sichtbares Zeichen wurden kürzlich 360 Stelen errichtet, die an die Opfer erinnern sollen – eine davon an Anna Kessler.

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