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NR-Wahl: Die Meinungen der Spitzenkandidaten zur Außen- und Europapolitik

Die fünf Spitzenkandidaten beantworten Fragen zur Europa- und Außenpolitik.
Die fünf Spitzenkandidaten beantworten Fragen zur Europa- und Außenpolitik. ©APA/Herbert Pfarrhofer
Christian Kern (SPÖ), Sebastian Kurz (ÖVP), Heinz-Christian Strache (FPÖ), Ulrike Lunacek (Grüne) und Matthias Strolz (NEOS) beantworten Fragen zu den Themen Außen- und Europapolitik. Ihre Antworten kompakt zusammengefasst.

Wie positionieren sich die Spitzenkandidaten der fünf Nationalratsklubs in der Außen- und Europapolitik? Die APA hat ihnen dazu 21 Fragen gestellt. Es folgt eine Dokumentation des zweiten Teils der Antworten zu elf europapolitischen Fragen. Die Kandidaten waren gebeten worden, sie in “Twitter-Länge” (140 Zeichen) zu beantworten.

Wegen deutlicher Überlänge (über 200 Zeichen) gekürzte Antworten sind mit einem Stern gekennzeichnet.

Europa- und Außenpolitik: Die Antworten der Spitzenkandidaten

1. Thema 2018: Vor 100 Jahren ist mit der Donaumonarchie ein transnationales Gemeinschaftsprojekt gescheitert – auch wenn der Vergleich etwas hinkt: Ist die EU von einem ähnlichen Zerfallsprozess bedroht?

KERN: EU ist Union demokratischer Staaten, kein Kaiserreich. Wir lernen aus Brexit und gestalten Europa für Bürger, nicht für Bürokraten und Lobbyisten. KURZ: Das sehe ich nicht so. Wir brauchen aber einen Kurswechsel in der EU und müssen die Subsidiarität stärken. STRACHE: Die EU befindet sich in einer nachhaltigen Krise. Wenn hier nicht ein Reformprozess eintritt, dann wird dieses Projekt scheitern. LUNACEK: Wachsende Nationalismen immer und überall gefährlich für Zusammenhalt, nach Brexit-Debakel für GB wächst wieder Zustimmung EU. STROLZ: Was der EU bestimmt nicht hilft, ist das Herbeireden und Herbeischreiben ihres Unterganges. Die EU ist kein Wunschbrunnen. Sie ist Arbeit, die wir leisten müssen.*

2. Glauben Sie, dass Großbritannien nach dem Brexit besser oder schlechter dastehen wird als vorher?

KERN: Schlechter. KURZ: Ich war immer gegen den Brexit, weil ich ein starkes Großbritannien weiterhin gerne in der EU gesehen hätte. STRACHE: Nach derzeitiger Sicht gehe ich davon aus, dass GB nach Abschluss des Brexit wahrscheinlich besser dastehen wird. LUNACEK: Brexit schadet GB: wirtschaftlich durch Abschottung von EU, Status EU-BürgerInnen in GB, politische Probleme: Schottland, Nordirland-Irland Friede. STROLZ: Es ist Großbritannien und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern zu wünschen, dass Mittel und Wege gefunden werden, um die definitiv negativen Effekte des Austritts abzufedern.*

3. Ist aus Ihrer Sicht ein EU-Beitritt der Türkei für immer ausgeschlossen, oder könnte sich daran nach einem Ende des Erdogan-Regimes etwas ändern?

KERN: Präsident Erdogan sperrt Gegner ein. Das ist das aktuelle Problem. Es gibt aber noch andere Hindernisse. KURZ: Diese Türkei entfernt sich in Riesenschritten von der EU und ihren Werten. Die Beitrittsverhandlungen müssen daher sofort abgebrochen werden und die Vorbeitrittshilfen eingestellt werden.* STRACHE: Ein EU-Beitritt der Türkei ist aus mehreren Gründen für uns ausgeschlossen. LUNACEK: EU-Beitrittsverhandlungen wegen Erdogans anti-demokratischer, -rechtsstaatlicher Politik eingefroren; nach Erdogan Situation neu zu bewerten; STROLZ: Natürlich wissen wir nicht, was das Ende des Erdogan-Regimes bringen wird und wer danach kommen wird. Europas Hand muss immer ausgestreckt bleiben in Richtung der türkischen Bevölkerung.*

4. Was ist für Sie das wichtigste Element einer künftigen gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik?

KERN: Stopp der illegalen Einwanderung an den Außengrenzen und neue Wege für ein solidarisches europäisches Asylsystem. KURZ: Der ordentliche Schutz der EU-Außengrenzen und der Stopp illegaler Migranten bereits an der Außengrenze. Dies war und ist die Voraussetzung für offenen Grenzen innerhalb der EU. STRACHE: Die Außengrenzen sind zu schützen, die Mittelmeerroute ist zu schließen und Abschiebungen sind zu forcieren. LUNACEK: Ursachenbekämpfung, legaler Zugang über Botschaftsasyl, Resettlement; solidarische Verteilung, EU-Standards bei Asylverfahren, Integration. STROLZ: Ein europäisches Asylsystem. Europa braucht ein gemeinsames Asylsystem mit klaren Regeln und einem gemeinsamen Auftreten in der Verhandlung von Rückführungsabkommen.*

5. Soll die EU Ungarn Geld für seinen Grenzzaun überweisen?

KERN: Nein. KURZ: Man muss anerkennen, dass Ungarn einen wichtigen Beitrag beim Schutz der EU-Außengrenze leistet. Alles weitere ist im Dialog zwischen Brüssel und Budapest zu klären. STRACHE: Ja, warum nicht? Der Grenzzaun ist ein wirksamer Schutz vor illegaler Migration auf der sog. Balkanroute. LUNACEK: Nein, denn auch Orban-Regierung sollte konstruktiv, solidarisch an EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik mitwirken. STROLZ: Nein.

6. Sind Sie für einen direkt gewählten EU-Präsidenten? Und europaweite Listen bei der EU-Parlamentswahl?

KERN: Wenn wir das Wohlstands- und Sicherheitsversprechen eingelöst haben, sollten wir uns mit diesen Fragen beschäftigen. KURZ: Ich bin für einen direkt gewählten Präsidenten der EU-Kommission, um die demokratische Legitimation zu stärken. STRACHE: Nein, weder noch. Wir wollen starke Nationalstaaten und keinen EU-Einheitsstaat. LUNACEK: Ja zur Wahl KommissionspräsidentIn im Europaparlament und Ja zu europaweiten Listen bei EU-Wahlen; STROLZ: Ja, das sind beides Kernforderungen im Europaprogramm der NEOS.*

7. Finden Sie es sinnvoll, dass die EU künftig selbst Steuern einhebt statt Mitgliedsbeiträge von den Staaten zu kassieren? Wenn ja, welche Steuern könnten dies sein?

KERN: Die Finanztransaktionssteuer wäre ein gutes Beispiel. KURZ: Es darf keine neue Steuern geben, die zu einer Mehrbelastung des österreichischen Steuerzahlers führen. Das Geld muss zudem für Projekte ausgegeben werden, wo es einen eindeutigen europäischen Mehrwert gibt.* STRACHE: Nein, wir sind gegen EU-Steuern. Die Steuerhoheit liegt bei den Nationalstaaten und so soll es auch bleiben. LUNACEK: Ja, wir treten für mehr EU-Eigenmittel ein: mit Finanztransaktionssteuer gegen Spekulation und für eine CO2-Abgabe gegen Klimawandel. STROLZ: Es ist sinnvoll, wenn der, der die Gelder ausgibt, sie auch selbst einheben muss. Bis dahin ist noch ein langer Weg mit vielen anderen Maßnahmen, zuallererst eine demokratisierende Institutionsreform für EU.*

8. Nennen Sie drei Themen, zu denen es Ihrer Ansicht nach europaweite Volksabstimmungen geben soll.

KERN: Finanztransaktionssteuer, Glyphosatverbot, Schutz vor Privatisierung von Wasser. KURZ: (keine Antwort) STRACHE: Aktuell CETA und TTIP und z.B. Gentechnikfreiheit in der EU. LUNACEK: Eine neue demokratische Verfassung der Europäischen Union sollte von doppelter Mehrheit (Staaten und BürgerInnen) legitimiert werden. STROLZ: Wir NEOS sind für einen EU-Konvent zur Weiterentwicklung der EU. Das Ergebnis eines solchen Konvents sollte zur Volksabstimmung vorgelegt werden.*

9. Soll sich die EU die Möglichkeit geben, gegen beharrlich Grundwerte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat verletzende Mitgliedsstaaten vorzugehen? Wie stehen Sie dazu, solche Staaten als Ultima Ratio aus der Union zu werfen statt ihnen nur das Stimmrecht zu entziehen?

KERN: EU hat alle notwendigen Instrumente, um Regelverstöße zu ahnden. Politischer Druck und Diskussion wichtiger, als die leere Drohung mit Ausschluss. KURZ: Rechtsstaatlichkeit ist ein wichtiger Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Es gibt daher rechtlich verbindlich bereits in den EU-Verträgen die Möglichkeit eines Rechtsstaatlichkeitsverfahrens. STRACHE: Nein, denn die EU sollte ein Staatenverbund starker Nationalstaaten sein. LUNACEK: a) Ja, ich war Grüne Verhandlerin für den EU-Pakt für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte; b) derzeit vertraglich nicht möglich. STROLZ: Artikel-7-Verfahren bedarf einer Reform, das Einstimmigkeitserfordernis blockiert. Staaten aus der Union zu werfen hilft niemandem und vor allem nicht den Bürgerinnen und Bürgern des betreffenden Staates.*

10. Nennen Sie einige Länder, mit denen Österreich innerhalb der Europäischen Union besonders eng zusammenarbeiten sollte (etwa nach dem Vorbild der Visegrad-Gruppe oder des Benelux).

KERN: Wir arbeiten in Sachfragen mit verschiedenen Ländern, die ähnliche Interessen haben. Mit unseren Nachbarn, mit den Skandinaviern, nun auch vermehrt mit Frankreich. Damit fahren wir sehr gut. KURZ: Österreich ist eine Brücke zwischen Ost und West, wir sollten daher sowohl mit Staaten Westeuropas als auch mit jenen Mitteleuropas so eng wie möglich zusammenarbeiten, je nachdem wo wir Verbündete für unsere Interessen finden. STRACHE: Österreich sollte – gerade wegen der derzeitigen Migrationskrise – mit den Staaten der Visegrad-Gruppe eng zusammenarbeiten. LUNACEK: Österreich soll mit EU-Ländern eng zusammenarbeiten, die für mehr Europa bei Sozialem, bei Klimaschutz, bei Flüchtlingspolitik usw. sind STROLZ: Wir müssen in den nächsten Jahren besonders darauf achten, dass es nicht zu einem Ausspielen der verschiedenen Regionen kommt. Insofern sollte Österreich eine Blockbildung innerhalb der EU nicht weiter vorantreiben.*

11. Welches Jahr ist Ihrer Ansicht nach realistisch für die nächsten EU-Beitritte? Welches Land kommt am ehesten für den nächsten Beitritt infrage?

KERN: Das Datum hängt nicht von mir ab, sondern von den Kandidaten. Wenn sie alle Voraussetzungen erfüllt haben, sollen unsere Freunde am Westbalkan beitreten. KURZ: Das hängt von den Fortschritten der Kandidatenländer am Westbalkan ab. Insbesondere Serbien, das bereits einige wichtige Reformen durchgeführt hat, verdient unsere Unterstützung. STRACHE: Serbien bis zum Jahr 2020. LUNACEK: Nach Erfüllung der Beitrittskriterien und EU-Reform sollen Westbalkan-Staaten im Laufe der nächsten zehn Jahren der Union beitreten. STROLZ: Man wird sehen, bis wann die Kriterien erfüllt sind. Montenegro ist schon einen guten Weg gegangen, aber auch dort muss noch viel passieren.*

(APA, Red.)

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