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Niemand will Kurz stürzen

©APA/AFP/ALEX HALADA
Gastkommentar von Johannes Huber. ÖVP-Darstellungen sind bewusst irreführend und zeugen von einer autoritären, demokratiefeindlichen Einstellung.

Schon der erste Halbsatz ist falsch: „Sebastian Kurz wurde zweimal von den Österreicherinnen und Österreichern zum Bundeskanzler gewählt“, heißt es in einer Aussendung von ÖVP-Organisationen, die ihrem angeschlagenen Chef den Rücken stärken wollen (oder vielleicht auch nur von dessen „Message Control“-Abteilung dazu eingesetzt wurden).

Richtig ist: Sebastian Kurz ist 2017 und 2019 als Spitzenkandidat der türkisen Volkspartei bei einer Nationalratswahl angetreten. Zuletzt haben ihn 6,3 Millionen Österreicherinnen und Österreicher ab 16 nicht zum Kanzler gewählt. Genauer: Wie schon beim ersten Mal tat es kein einziger Staatsangehöriger. Zur Wahl stand schließlich die Partei. Sie wurde von viereinhalb Millionen Österreicherinnen und Österreichern ab 16 nicht gewählt, sehr wohl aber von immerhin 1,8 Millionen. Gemessen an der Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen entsprach dies etwas mehr als einem Drittel bzw. 37,5 Prozent, um präzise zu sein.

Einer österreichischen Gepflogenheit entsprechend wurde Sebastian Kurz nach der Nationalratswahl als Chef der stimmenstärksten Partei vom Bundespräsidenten beauftragt, eine Regierung zu bilden. Das Ergebnis ist bekannt: Kurz schaffte eine Zusammenarbeit mit den Grünen und so eine Mehrheit im Hohen Haus.

Diese Mehrheit war Voraussetzung dafür, dass sich Kurz nach seiner Angelobung zum Kanzler als solcher halten konnte; bzw. dass er nicht damit rechnen musste, per Misstrauensvotum von den Abgeordneten umgehend wieder aus dem Amt gewählt zu werden.

Doch was soll diese Staatsbürgerschaftskunde? Vertreter der ÖVP-Organisationen, die nach den Hausdurchsuchungen versuchen, Sebastian Kurz den Rücken zu stärken, wissen selbstverständlich, wie es wirklich läuft. Ihre Irreführung dient etwas ganz anderem, nämlich der Vorbereitung des nächsten Wahlkampfes. In diesem Sinne unterstellen sie auch, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wolle Kurz stürzen.

Das ist ungeheuerlich: Gestürzt werden Präsidenten in Bananenrepubliken, in der Regel durch das Militär. Sie werden mit Gewalt aus dem Amt gejagt. In Österreich läuft das noch immer anders. Und genau darüber wollen die Türkisen hinwegtäuschen: Eine Staatsanwaltschaft ermittelt, führt Hausdurchsuchungen mit richterlichen Genehmigungen durch. Kurz hat einen guten Anwalt, es läuft alles in geordneten Bahnen. Und wenn eine Mehrheit des Nationalrats, hinter der fast zwei Drittel der Nicht-ÖVP-Wähler stehen, Kurz demnächst das Vertrauen als Bundeskanzler entziehen sollte, er also das Amt verlieren würde, wäre das demokratisch legitimiert.

Man sollte sich aber genauer mit den Motiven der türkisen „Message Control“-Abteilung beschäftigen, irreführende Botschaften unter die Leute zu bringen. Sie senken das Ganze auf eine persönliche Ebene und vermitteln den Eindruck, Kurz solle mit unlauteren Mitteln entfernt werden. Das ist ein Aufruf an die eigene Anhängerschaft, sich „jetzt erst recht“ hinter ihn zu stellen.

Beiläufig ist es entlarvend, zeugt es von einer autoritären, demokratiefeindlichen Einstellung: Eine Mehrheit hat nicht die ÖVP, geschweige denn Kurz gewählt. Das hätte man gerne, es würde dem Persönlichkeitskult entsprechen, der in türkisen Kreisen gepflegt wird. Es ist aber eine Missachtung eines größeren Teils der Wählerinnen und Wähler, die ausdrücklich einen anderen Willen bekundet haben, indem sie etwa rot, blau, grün oder pink gewählt haben.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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