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Muzicant sieht "glatten Vertragsbruch" bei jüdischen Friedhöfen

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Den Ministerratsbeschluss hält er für inakzeptabel. Das Wiesenthal-Institut soll nicht zur "jüdischen Angelegenheit" gemacht werden.

Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), sieht im Ministerratsbeschluss zur Sanierung jüdischer Friedhöfe einen “glatten Vertragsbruch” hinsichtlich der Washingtoner Vereinbarung. Im Interview mit der APA kündigte er “breit angelegte Aktivitäten” der IKG in Österreich und im Ausland an, sollte es zu keiner Lösung in dieser Frage kommen. Muzicant verlangt einen Vertrag, der die Pflege durch Bund, Länder und Gemeinden klar regelt.

“Das, was bei den Friedhöfen hier gemacht wurde, ist aus der Tatsache heraus, dass diese Friedhöfe 70 Jahre zum Teil verfallen sind und zerstört wurden, ein Skandal”, so Muzicant. Die österreichische Bundesregierung sei vor sechseinhalb Jahren eine Verpflichtung eingegangen, bis heute seien keine echten Schritte unternommen worden. Hauptkritik: “Nach dem Krieg beschloss man ein Kriegsgräberpflegegesetz. Das heißt, die Gräber der gefallenen SS- und Wehrmachtssoldaten werden gepflegt. Die Gräber der Juden, deren Angehörigen man vertrieben und ermordet hat, lässt man verfallen.”

Vor allem ein Passus in der Ministerratsvorlage stößt dem IKG-Präsidenten auf: Der Bund werde zum geeigneten Zeitpunkt mit Ländern und Gemeinden Verhandlungen über die Finanzierung aufnehmen. “Wann ist der geeignete Zeitpunkt? Wenn es die Gräber nicht mehr gibt? 70 Jahre sind nicht genug und sechseinhalb Jahre nach dem Vertrag sind auch nicht genug?” Weiters im Regierungsvorhaben enthalten ist der Passus, wonach der “jeweilige Rechtsträger des Friedhofs” – also die IKG – für einen angemessenen Anteil aufkommen soll. “Jetzt sollen die 7.000 Juden, die es in Österreich noch gibt, die 350.000 Gräber ihrer Vorväter auch noch pflegen? Nachdem man die, die sie bis 1938 gepflegt haben, beraubt, getötet und vertrieben hat?”, so Muzicant.

“Ich halte diesen Beschluss für eine Provokation erster Ordnung”, so Muzicant und weiter: “Die, die mich kennen, wissen, dass ich auf Provokationen in der Regel mit äußerster Heftigkeit reagiere”. Wie die Reaktion aussehen soll, will er allerdings nicht über die Medien mitteilen. Fest steht: “Ich mache die Dinge so, dass das, was wir verlangen, also ein Vertrag zur Instandhaltung der jüdischen Friedhöfe, herauskommt. Nicht weniger und nicht mehr.” Über die Gründe meint der IKG-Präsident: “So weit ich verstehe, weigert sich das Finanzministerium, die Kosten zu übernehmen. Das heißt, es spielt mit den Ländern und Gemeinden Pingpong – und wir sind der Ball.”

Trotz aller Kritik gibt es auch Lob für die Koalition. “Meine persönliche Beziehung zu den verschiedenen Mitgliedern dieser Bundesregierung ist exzellent”, so Muzicant, der noch in den kommenden Wochen und Monaten – bis zur Konstituierung des neuen Kultusvorstandes am 8. Jänner – dieses “zynische Spiel” mitspielen will. “Und wenn ich wieder die großen Kanonen herauskramen muss und in den Krieg ziehen muss, dann werde ich das tun.”

Auch in Bezug auf das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI), für das im Ministerrat ein Bekenntnis zur Finanzierung erfolgt ist, übt Muzicant Kritik. “Man sollte endlich aufhören, daraus ein jüdisches Thema zu machen.” Vielmehr sei es eine wichtige Institution für Österreich. Nach der Zusage durch den Bund sei nun der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (S) aufgefordert, die Initiative zu ergreifen. “Der Herr Bürgermeister hat seinerzeit Simon Wiesenthal kurz vor seinem Tod ein Versprechen abgegeben”, so Muzicant.

“Ich habe das Projekt erfunden, ich habe ein Haus zur Verfügung gestellt, das ist auch richtig”, so Muzicant zum Wiesenthal-Institut. “Aber das tun wir, weil wir als Österreicher der Meinung sind – und nicht, weil es ein jüdisches Problem ist – dass die Republik so etwas braucht, die Stadt Wien so etwas braucht. Und wenn wie vor ein paar Tagen die Nazis und Neonazis wieder aus ihren Schlupflöchern kriechen und darüber zu faseln beginnen, ob es jetzt einen Sachbeweis gibt, ob die Gaskammern existiert haben oder nicht, dann sollte die Errichtung des Wiesenthal-Institutes die gebührende Antwort sein.”

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