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Muslime unter Generalverdacht

Die Islam-Landkarte stellt Muslime unter Generalverdacht, so unser Kommentator.
Die Islam-Landkarte stellt Muslime unter Generalverdacht, so unser Kommentator. ©APA/GEORG HOCHMUTH
GASTKOMMENTAR VON JOHANNES HUBER. Bei der "Islamlandkarte" geht es allein um Stimmungsmache. Mit einer wirkungsvollen Bekämpfung gefährlicher Gruppen hat sie nichts zu tun.
Islam-Landkarte präsentiert

Die neue ÖVP ist mit einer restriktiven Flüchtlings- und Islampolitik groß geworden. Jetzt, da ihr Korruptionsaffären ebenso zu schaffen machen wie eine verbreitete Unzufriedenheit über das Corona-Krisenmanagement, sieht sie sich gezwungen, nachzulegen: Eine Mehrheit der Bevölkerung fordert laut einer aktuellen Umfrage des „Gallup“-Institutes den Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Falle einer Anklage, gar 81 Prozent meinen, dass ein solcher bei einer Verurteilung notwendig wäre. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die Stimmung dreht. Das Vertrauen in die Regierung geht schon länger zurück. Und zwar so stark wie in sonst keinem anderen EU-Land außer Tschechien. Das zeigt die jüngste Eurobarometer-Befragung.

Was tun? Für Türkise ist die Antwort klar: Jetzt müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um insbesondere die hunderttausenden Ex-FPÖ-Wähler bei Laune zu halten, die sie bei der Nationalratswahl 2019 gewonnen haben. Sonst ist alles verloren. Also wird verschärft, was geht.

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) präsentierte diese Woche eine sogenannte „Islamlandkarte“. Das ist nichts anderes als eine Offenlegung von 623 muslimischen Einrichtungen vom Boden- bis zum Neusiedlersee, inkl. Beschreibung und Adresse. Hier gehe es nicht um einen „Generalverdacht“, so Raab. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass genau das, was so explizit ausgeschlossen wird, der Fall ist.

Man muss sich wirklich fragen, was das soll: Gibt es eine vergleichbare Vorführung in Bezug auf andere Vereine? Nein. Dass es unter den 623 muslimischen (z.B.) staatsgefährdende geben könnte, ist kein Argument. Es soll christliche Gruppierungen geben, die westliche Lebensweisen verteufeln, für die aber keine „Landkarte“ angelegt worden ist. Es bestehen überhaupt sehr unterschiedliche radikale Szenen, die allenfalls nur anonymisiert in irgendwelchen Lageberichten offengelegt werden – und das ist gut so.

Der Punkt ist: Österreich ist ein demokratischer Rechtsstaat. Das bedeutet, dass sich im Rahmen der Gesetze alle Menschen frei betätigen und vereinigen dürfen. Dazu gehört, dass sie geschützt werden, ja, dass ihnen auch eine gewisse Vertraulichkeit zugstanden wird. Auf der anderen Seite müssen Sicherheitsorgane gerade auch im Sinne dieser freien Gesellschaft alle jene im Auge haben, die sie bekämpfen wollen, durch Zwangsehen, Terroranschläge oder was auch immer.

Differenzieren wäre angesagt. Beispiel: Die Israelitische Kultusgemeinde verzeichnete im vergangenen Jahr 585 antisemitische Vorfälle. Viele hatten einen muslimischen Hintergrund, bei weitem aber nicht alle; es handelte sich um 74, um genau zu sein. Bei ähnlich vielen gab es einen linken Hintergrund (87), bei drei Mal so vielen einen rechten (229). In diesem Sinne wäre es politisch durchschaubar, aber sachlich dumm, hier den Eindruck zu vermitteln, als würden Bedrohungen allein von Muslimen ausgehen, als müssten daher ausschließlich sie gemeinsam an den Pranger gestellt werden.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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