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möwe: Nicht genug über Kinderschicksal gesprochen

Laut möwe braucht es mehr Mittel für Gewaltprävention in Familien.
Laut möwe braucht es mehr Mittel für Gewaltprävention in Familien. ©APA/HANS KLAUS TECHT (Symbolbild/Archivbild/gestellte Szene)
Die Kinderschutzorganisation möwe hat angesichts von 30 Femiziden seit Jahresbeginn darauf hingewiesen, dass nicht ausreichend über das Schicksal der von Gewalt mitbetroffenen Kinder gesprochen wird.

Sie seien Überlebende und Zurückgelassene nach Tötungsdelikten und viel öfter noch Zeuginnen und Zeugen häuslicher Gewalt, nämlich in mindestens 50 Prozent der Fälle. Coronakrise und Lockdowns verschärfen das Problem. Nötig seien u.a. mehr Mittel für Gewaltprävention in Familien.

Netz von aufmerksamen Erwachsenen gebraucht

Kinder und Jugendliche bräuchten ein Netz von aufmerksamen Erwachsenen, die sie vor Gewalt in jeder Form - physisch, psychisch, sexuell - schützen, appellierte möwe-Geschäftsführerin Hedwig Wölfl bei einer Pressekonferenz. Im Sinne eines Frühwarnsystems sollten "alle Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten", verpflichtend in ihren Ausbildungen entsprechend geschult werden.

Spuren nach Gewalt

Körperliche Spuren nach Gewalt seien nicht immer nachweisbar. "Seelische Spuren sind immer da, aber nicht immer gleich sichtbar", berichtete die St. Pöltner Gynäkologin und möwe-Vorstandsmitglied Sigrid Schmidl-Amman aus ihrer Praxis. Seelische Schmerzen würden bei Kindern oft in körperliche umgewandelt, etwa Bauch- oder Kopfweh. "Das können sie leichter mitteilen, damit berühren sie keine Familiengeheimnisse." Ärztinnen und Ärzte müssten daher bei unerklärlichen Beschwerden "genau hinschauen". "Man kann Kinder engmaschig wiederbestellen, Kontakt halten und Vertrauen aufbauen", um Betroffene dann an professionelle Hilfe weiterzuleiten. Mediziner im niedergelassenen Bereich, Gynäkologinnen und Gynäkologen oder Kinderärztinnen und -ärzte könnten "Schlüsselfiguren sein". Man lerne in der medizinischen Ausbildung aber zu wenig darüber.

"Nur fünf Prozent der Gefährdungsmeldungen kommen aus dem Gesundheitsbereich", berichtete Schmidl-Amman. Sie forderte, psychosoziale Risiken und Gewaltbetroffenheit in den Eltern-Kind-Pass aufzunehmen.

Veränderung von Schutznetz um Kinder

In der Pandemie sei das Schutznetz um Kinder und Jugendliche "spürbar brüchiger geworden", warnte Johanna Zimmerl, Leiterin des möwe Kinderschutzzentrums Wien und Prozessbegleiterin für Kinder. Heuer meldeten sich in ihrer Einrichtung rund 1.200 neue Klientinnen und Klienten, ein Viertel mehr als 2020. Man müsse sich angesichts steigender Nachfrage zunehmend "auf die Kernzielgruppen" mit Gewalterfahrungen konzentrieren, die Expertinnen müssten "priorisieren".

Forderung bezüglich Kinderschutz

Durch die Patchwork-Struktur von Förderungen und Abrechnungen mit vielen zuständigen Behörden würden zu viele Ressourcen der Kinderschutzzentren in die administrative Arbeit gehen. "Kinderschutz braucht genauso wie der Opferschutz für Erwachsene ausreichende und nachhaltige Finanzierung", forderte Wölfl. Auch für Gewaltprävention in pädagogischen Einrichtungen sowie für aufsuchende Familienbegleitung durch die Frühen Hilfen brauche es dringend mehr Geld. Projekte zu Community oder School Nurses seien sehr unterstützenswert. Kindergärten, Schulen und Sportvereine sollten über Kinderschutzbeauftragte mit klaren Handlungsanleitungen verfügen.

Seit heuer können viele Kinderschutzzentren Prozessbegleitung auch für Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt anbieten. Sie machen derzeit rund zehn Prozent der Prozessbegleitungsfälle der möwe in Wien aus, und diese seien erschütternd: "Ein 16-Jähriger, der einen Kampfsportkurs besucht, um die Mutter vor dem Vater zu schützen, ein Siebenjähriger, der das Blut der Mutter vom Boden aufwischt, bevor er in die Schule geht", berichtete Zimmerl. Die möwe-Zentren betreuen aktuell insgesamt 485 Fälle in der Prozessbegleitung.

(APA/Red)

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