Mode mit Mehrwert
Für die Präsentation ihrer ersten Kollektion schickt sie zu Texten des jungen Grazer Dramatikers Johannes Schrettle und Musik von Sofa Surfer Wolfgang Schlögl Schauspielerinnen als Models über den Laufsteg. Die Premiere am Samstagabend im Kasino des Burgtheaters erwies sich als irritierendes Spiel mit Ambivalenz.
Die Besucherinen (Herrenmode wird nicht angeboten) können aus zehn im Programmheft abgebildeten Modellen von Basic (Unterwäsche zu 200-250 Euro) bis zu Celebrity (Ballmode ab 1000 Euro) wählen, beigelegt ist ein Karton zum Versenden der Billigteile an die in Berlin ansässige Firma. Als Lohn für die Risiken, die Ungewissheit und den Preis winkt, so das Programmheft, ein einzigartiges, wahrhaft welthaltiges und bewusstseinserweiterndes Kleidungsstück, das reuelosen Genuss des eigenen Wohlstands verspricht.
Natürlich ist das insofern Schwachsinn, als die ausgebeuteten Frauen und Kinder aus Bangladesh oder Sri Lanka am rein materiellen Mehrwert ja nicht teilhaben. Und so gerät die schicke Modenschau zur vielfach gebrochenen, ironisch-witzigen Reflexions-Show über Bedingungen und Bedeutungen von Mode. Mit Perücken und Trockeneis wird die klassische Catwalk-Präsentation überhöht, dazwischen fallen die Models aus ihrer Rolle in die der Konsumentin oder Näherin, denken laut nach über ausgelagerte Arbeitsverhältnisse, über das richtige Leben im falschen Kostüm, über dieses Gefühl, immer auf der falschen Seite zu stehen und den Wunsch auszusteigen aus der globalisierten Konsumwelt – was in Wirklichkeit nicht möglich sei, nur eben als Spiel im Rahmen von boat people: Dann könnten für einen kurzen Moment die Interessen der Firma und meine zusammentreffen.
Schrettles vielschichtiger Text und Robert Lehnigers Inszenierung funktionieren wie ein Kipp-Bild, das die Ernsthaftigkeit dieses Anspruchs konstant in Schwebe hält. Eine Afrikanerin stellt sich etwa per Video als Mitarbeiterin von Lisa D. vor und bietet den Zuschauern an, den H&M-Einkauf für sie zu erledigen: Ihr Outfit ist mein Profit. Kritisches Bewusstsein in Jeans und Rollkragenpullover zu demonstrieren sei nämlich auch keine Lösung, suggeriert die Aufführung, sondern höchstens unsexy: Nie vergessen, dass du ein Zeichen bist!, ermahnt Alexandra Henkel das Publikum in einer herrlich komischen Videozuspielung aus der Garderobe.
Im Rahmen eines Fernseh-Themenabends wird auf dem Laufsteg Lisa D. – Mädchenjahre einer Markenterroristin gespielt, und Dietmar König als eitler Moderator demontiert nicht nur sich selbst, sondern auch Talk-Stargast Lisa D. (Petra von Morzé): Du neoliberale Sau – wie kommt man eigentlich zu so einem Spitznamen? Diese bedankt sich abschließend bei boat people und ihren eigenen Kontexten dafür, dass sie an diesem Abend über die Produktionsbedingungen reden durfte. Genau das freilich bleibt sie in Wahrheit schuldig. Dass die H&M-Teile in Stoffe transformiert werden, um Geschichten (ihrer Herkunft) zu erzählen – womit wir mitten im Theater wären – wird auf der Bühne auf die bloße Behauptung reduziert. Die Figur Lisa D. möchte zwar über die Kinder gesprochen haben, die 16 Stunden an Sweatshirts gearbeitet haben. Doch das Licht wird ausgehen, und die Zusammenhänge werden im Dunkeln sein, schließt das Stück in Anlehnung an Brecht und das Literarische Quartett.
Unter welchen Bedingungen die Mode von H&M und vergleichbaren Ketten tatsächlich entsteht, und ob es wirklich keine Möglichkeiten gibt, diese zu ändern, kommt in der Aufführung nicht zur Sprache. Als Mehrwert leistet die Modenschau immerhin eine Irritation der Zuschauer – zu denen bei der Premiere auch die neue Kulturministerin Claudia Schmied (S) zählte. Und die Ex-Bankerin hätte in Sachen Welthaltigkeit wohl mehr zu sagen gehabt als dieser Abend.