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Misstrauensvotum: Fällt ganze Regierung, werden Beamte betraut

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Sollte ein Misstrauensvotum gegen die ganze Regierung erfolgreich sein, dann müsste diese auch sofort ihre Ämter aufgeben...

Bundeskanzler Sebastian Kurz steht in der kommenden Woche eine Misstrauensabstimmung im Parlament bevor. Sein Parteikollege Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka setzte für Montag eine Sondersitzung an.

Kurz (ÖVP) muss weiterhin fürchten, dass ihm am Montag vom Nationalrat das Misstrauen ausgesprochen wird. Dabei kommt es auf die zwei anderen großen Nationalratsparteien an. Aber SPÖ und FPÖ lassen sich Zeit mit der Entscheidung, ob sie dem Misstrauensantrag der Liste Jetzt zustimmen werden. Die SPÖ überlegt auch einen eigenen Misstrauensantrag.

Klar ist nur, dass die 61 ÖVP-Abgeordneten und die NEOS – sie haben zehn Mandate – dem Antrag gegen Kurz nicht zustimmen. Diese 71 Stimmen sind allerdings zu wenig, um Kurz im Amt zu halten – wenn die anderen 112 Abgeordneten (SPÖ 52, FPÖ 51, Jetzt 7, Parteifrei 2) einem Misstrauensantrag zustimmen. Kanzler bliebe Kurz allerdings auch, wenn eine der beiden großen Fraktionen den Plenarsaal bei der Abstimmung verlässt. Dann wären 131 bzw. 132 Abgeordnete (wenn niemand krank oder sonst verhindert gemeldet ist) anwesend – und ein Antrag mit 71 Contra-Stimmen abgelehnt.

So funktioniert ein Misstrauensantrag

Was passiert wann?

Doch was passiert, wenn der Misstrauensantrag gegen die Regierung erfolgreich ist? Sollte ein Misstrauensvotum gegen die ganze Regierung erfolgreich sein, dann müsste diese auch sofort ihre Ämter aufgeben. Der Bundespräsident hätte dann laut Verfassung die Aufgabe, sofort andere Personen mit der vorübergehenden Fortführung der Verwaltung zu betrauen. Laut Verfassungsexperte Theo Öhlinger kämen in diesem Fall nur leitende Beamte der betreffenden Ministerien infrage.

In Artikel 74, Abs. 1 der Bundesverfassung ist das Vorgehen geregelt, wie im Falle des Ausscheidens der Bundesregierung aus dem Amt grundsätzlich vorzugehen ist. Der Bundespräsident hat demnach “bis zur Bildung der neuen Bundesregierung Mitglieder der scheidenden Bundesregierung mit der Fortführung der Verwaltung und einen von ihnen mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung zu betrauen”, heißt es darin.

Alternativ kann mit dieser Aufgabe “auch ein dem ausgeschiedenen Bundesminister beigegebener Staatssekretär oder ein leitender Beamter des betreffenden Bundesministeriums betraut werden”. Laut Öhlinger käme im Falle eines erfolgreichen Misstrauensantrags gegen die ganze Regierung nur mehr die Variante der leitenden Beamten infrage.

Hofer (ORF) zum Misstrauensvotum

Kommt es aber nur zu einem Misstrauensvotum gegen den Bundeskanzler, dann würde der Vizekanzler die Vertretung übernehmen. Sollte – wie derzeit aufgrund des Rücktritts von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache infolge der Ibiza-Affäre – kein Vizekanzler im Amt sein, so hätte der Bundespräsident die Möglichkeit, ein anders Mitglied der Bundesregierung mit der Fortführung der Geschäfte zu beauftragen, so Öhlinger gegenüber der APA.

Runder Tisch: Regieren mit Experten

Was ist ein Misstrauensantrag?

Der Misstrauensantrag ist für den Nationalrat das schärfste Mittel der Kontrolle. Nach einem Misstrauensvotum muss der Bundespräsident das betreffende Regierungsmitglied (bzw. die gesamte Regierung) des Amts entheben, ohne dass dafür eine besondere Begründung nötig wäre. Nötig ist allerdings die Mehrheit in der Abstimmung. Und so kam es – obwohl es seit 1945 schon 185 Mal versucht wurde – noch nie dazu.

Kurz droht Misstrauensantrag im Nationalrat
Kurz droht Misstrauensantrag im Nationalrat ©APA

isher hatten alle Regierungen die Nationalratsmehrheit hinter sich. Auch wenn Koalitionen zerbrachen und Neuwahlen ausgerufen wurden, hielten sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen bis zur Neuwahl daran, nicht gegen noch im Amt befindliche Kanzler oder Minister zu stimmen. Und umstrittene Regierungsmitglieder, denen der Vertrauensentzug drohte, traten immer zurück, ehe es dazu kam.

Mehrheit am Montag nicht ausgeschlossen

Der in der Sondersitzung kommenden Montag bevorstehende 186. Misstrauensantrag der Zweiten Republik könnte eine Mehrheit finden. Stimmen entweder der bisherige Regierungspartner FPÖ oder die SPÖ zu, müsste Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seines Amts entheben.

Für den Vertrauensentzug reicht die einfache Mehrheit im Nationalrat – allerdings mit dem verschärften Erfordernis, dass die Hälfte der Abgeordneten bei der Abstimmung im Plenarsaal anwesend sein muss. Und es gibt noch eine Besonderheit: Auf schriftliches Verlangen eines Fünftels der Abgeordneten muss die Abstimmung über einen Misstrauensantrag auf den zweitnächsten Werktag vertagt werden. Damit soll laut Parlamentshomepage verhindert werden, dass z.B. in Zeiten einer Grippewelle Regierungsmitglieder durch “Zufallsmehrheiten” zu Fall gebracht werden.

Antrag braucht keine besondere Begründung

Besonders begründet werden muss ein Misstrauensantrag – anders als z.B. eine Ministeranklage – nicht. Es muss also z.B. keine rechtliche Verfehlung eines Regierungsmitglieds vorliegen. Gerichtet sein kann der Antrag entweder gegen ein einzelnes Regierungsmitglieder oder gegen die gesamte Regierung.

In der Zweiten Republik gab es bisher insgesamt 185 Misstrauensanträge. In der aktuellen Legislaturperiode XXVI. Legislaturperiode lehnte die – bisherige – türkis-blaue Mehrheit sieben solcher Ansinnen ab. Einmal versuchte die SPÖ, die Amtsenthebung des – mittlerweile zurückgetretenen – Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (FPÖ) zu erreichen. Und sechs Mal versuchten SPÖ, NEOS und Liste Jetzt (teilweise auch gemeinsam) Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) das Misstrauen auszusprechen.

Wobei der Opposition in der Regel auch klar ist, dass ihr Antrag nicht durchkommen wird – aber er wird als starkes Zeichen des Protests genutzt, und zwar besonders seit den 70er-Jahren. In kaum einer der letzten Legislaturperioden gab es weniger als zehn Misstrauensanträge. Auffällig ist die XXIV. Gesetzgebungsperiode von 2008 bis 2013. In dieser überstand die rot-schwarze Koalition 41 Misstrauensanträge von FPÖ, BZÖ und Grünen. Drei richteten sich gegen die ganze Regierung, fünf gegen Kanzler Werner Faymann (SPÖ).

Auch während der ersten schwarz-blauen Zusammenarbeit bekundeten rote und grüne Oppositionspolitiker der Regierung häufig – ohne freilich die Mehrheit zu finden – ihr Misstrauen. Von 1999 bis 2002 blockte die ÖVP-FPÖ-Mehrheit 13 Anträge ab – und in der XXII. Periode von 2002 bis 2006 waren es 18. Jeweils einer betraf Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und jeweils einer die gesamte Regierung – und einige davon brachte Alexander Van der Bellen als damaliger Chef der Grünen ein.

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