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Missbrauch verjährt nicht

Der heutige Gastkommentar von Johannes Huber.
Der heutige Gastkommentar von Johannes Huber. ©pixabay.com (Sujet)
Gastkommentar von Johannes Huber. Die Stadt Wien hat das Unsägliche aufarbeiten lassen, das ehemaligen Heimkindern widerfahren ist. Die Täter kommen jedoch ungeschoren davon. Das ist unerträglich.

Die Geschichte des Franz G. ist bezeichnend für das Schicksal vieler, die bis in die 1990er Jahre hinein in Heimen der Stadt Wien aufgewachsen sind: Auf dem Wilhelminenberg wurde er von Erziehern geschlagen und mit Drahtbürsten gequält. Die sichtbaren Verletzungen wurden nicht verarztet. Bis heute leidet er unter den Spätfolgen dieser Misshandlungen. Alles?

Nein, es geht weiter: Erbrochenes musste er aufessen. In seiner Verzweiflung flüchtete er. Gebracht hat ihm das jedoch nichts. Im Gegenteil, Franz wurde aufgegriffen und in das Heim der Stadt im niederösterreichischen Eggenburg gebracht. Auch hier wurde er geschlagen und nach einem weiteren, gescheiterten Fluchtversuch allein in einem Keller eingesperrt.

Nach Erreichen der Volljährigkeit wurde der heute 63-Jährige entlassen – allerdings ohne Geld und ohne abgeschlossene Schulbildung. Gerne hätte er zwar eine Lehre als Koch absolviert, das war ihm von der Heimleitung jedoch verwehrt worden.

Die Geschichte des Franz G. ist fiktiv, aber nicht erfunden: Sie steht für hunderte, auf die die Hilfsorganisation „Weißer Ring“ bei ihren Recherchen gestoßen ist. Und zwar im Rahmen einer Aufarbeitung im Auftrag der Stadt Wien. Zum Abschluss wurde nun Bilanz gezogen: 2384 Opfer erhielten eine finanzielle Entschädigung von insgesamt 42,13 Millionen Euro. Von einer Wiedergutmachung wurde in diesem Zusammenhang bewusst nicht gesprochen, weil eine solche unmöglich ist.

Das Leben von Franz und vielen anderen ehemaligen Heimkindern ist nachhaltig zerstört worden. Sowohl psychische als auch physische Schäden sind bleibend. Umso mehr muss man sich über einen Missstand wundern, auf den Opferanwalt Johannes Öhlböck hinweist: Die Täterinnen und Täter werden nicht belangt. Und zwar wegen sogenannter „Verjährung“, wie es so verharmlosend heißt.

Verjährungen sind selbstverständlich Teil des Strafrechts. Bei leichten Körperverletzungen beträgt die Frist beispielsweise drei Jahre. Das kann man als Laie noch nachvollziehen, wenn die Spuren verschwunden sind. Aber wenn das eben nicht der Fall ist?

Es ist beschämend für die Politik, dass sie bei all den Strafverschärfungen, die sie in regelmäßigen Abständen vornimmt, diesen einen Punkt bisher „übersehen“ haben will; nämlich die Verjährung von schwerer Körperverletzung sowie sexuellem Missbrauch Minderjähriger nach 20 Jahren. Das gehört gestrichen. Dieser Missbrauch verjährt nicht.

Viele Heimopfer stehen in der Mitte ihres Lebens. Sie haben noch schwere Zeiten vor sich. Da ist es extrem großes Unrecht, dass ihre Peiniger und all jene, die diesen vorgesetzt waren, einfach vergessen bzw. nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Ja, das ist unerträglich.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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