Mikroplastik und die Krise der männlichen Fruchtbarkeit

Die Welt steht vor einer "Spermakrise". Zahlreiche Studien zeigen, dass die Fruchtbarkeit von Männern in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Tatsächlich hat sich die Spermienzahl weltweit in den letzten 50 Jahren halbiert. Dies wurde kürzlich von Forschern aus Israel in einer Metaanalyse von 288 Studien mit über 57.000 Männern festgestellt. Seit den frühen 1970er Jahren ist die Spermienkonzentration von durchschnittlich 101 Millionen auf 49 Millionen Spermien pro Milliliter Sperma gesunken, wobei der Rückgang seit dem Jahrtausendwechsel besonders drastisch ist.
Bisher wurden schädliche Chemikalien wie Pestizide häufig als Ursache genannt. Nun gibt es jedoch einen neuen Verdacht: Forscher um den chinesisch-amerikanischen Toxikologen Xiaozhong Yu von der University of New Mexico in den USA untersuchten 23 menschliche Hoden und 47 Hoden von Haushunden. Dabei stellten sie fest, dass alle analysierten Hodengewebe "erhebliche Konzentrationen von Mikroplastik" enthielten.
Mikroplastik im Hodengewebe: Mensch vs. Hund
Die Forschergruppe um Yu berichtet im Fachjournal "Toxicological Science", dass die durchschnittliche Konzentration von Mikroplastik im Hodengewebe der untersuchten Tiere 122,63 Mikrogramm pro Gramm Gewebe betrug. Im untersuchten menschlichen Gewebe fanden sie eine durchschnittliche Konzentration von 329,44 Mikrogramm pro Gramm. "Die Konzentration von Mikroplastiksplittern und anderen Kunststoffarten in menschlichen Hoden war dreimal höher als bei Hunden, und die Hunde fressen vom Boden", sagte Yus Kollege Matthew Campen gegenüber "CNN". "Das zeigt uns wirklich, was wir unserem eigenen Körper zumuten."
Polyethylen (PE) war der am häufigsten vorkommende Stoff sowohl in den Hoden von Menschen als auch von Hunden. Dieser Stoff wird für die Herstellung von Plastiktüten und -flaschen verwendet. Bei Hunden wurden auch beträchtliche Mengen an Polyvinylchlorid (PVC) entdeckt. Dieses findet in industriellen, kommunalen und häuslichen Installationen sowie in vielen anderen Bereichen Verwendung.
Weitere Untersuchungen der Gewebeproben der Tiere zeigten, dass eine höhere Konzentration von Mikroplastik mit einer niedrigeren Spermienzahl in den Hoden einherging. Insbesondere stellte das Team fest, dass dies mit den PVC-Werten korrelierte, während keine Verbindung zur PE-Konzentration im Gewebe festgestellt wurde. "PVC kann viele Chemikalien freisetzen, die die Spermatogenese stören, und es enthält Chemikalien, die endokrine Störungen verursachen", erklärte Yu.
Mikroplastik und Spermienproduktion: Forschungsbedarf
Die Forscher konnten nicht untersuchen, ob höhere Mengen an Mikroplastik in den Hoden des Menschen mit einer geringeren Spermienkonzentration zusammenhängen, da die Hoden über Jahre hinweg chemisch konserviert waren. Es bedarf weiterer Forschung, um zu verstehen, wie Mikroplastik die Spermienproduktion beeinflussen könnte, erklärt Yu: "Wir haben viele Unbekannte. Wir müssen uns wirklich die möglichen langfristigen Auswirkungen ansehen. Ist Mikroplastik einer der Faktoren, die zu diesem Rückgang beitragen?"
Allgegenwärtigkeit und Gefahren von Mikroplastik
Es ist nahezu unmöglich, Mikroplastik zu vermeiden. Es findet sich nicht nur in offensichtlichen Quellen wie Plastikflaschen oder Kaugummis, sondern ist allgegenwärtig. Menschen nehmen es durch kontaminierte Lebensmittel, die Haut, Schleimhäute und sogar durch die Luft auf. Im weltweiten Durchschnitt nimmt eine Person wöchentlich bis zu fünf Gramm Mikroplastik auf. Das entspricht ungefähr dem Gewicht einer handelsüblichen Kreditkarte.
Frühere Studien legen nahe, dass Mikroplastik Schäden an menschlichen Zellen verursachen und die Metastasierung von Krebszellen fördern kann. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Ablagerung von Mikroplastik in der Halsschlagader, bekannt als Plaques, das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und vorzeitigen Tod deutlich erhöht.
(VOL.AT)