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"Meine zwei Leben": Estibaliz C.'s Memoiren zwischen Eislady und Esti

Die verurteilte Doppelmörderin Estibaliz C. hat in "Meine zwei Leben" ihre Memoiren niedergeschrieben
Die verurteilte Doppelmörderin Estibaliz C. hat in "Meine zwei Leben" ihre Memoiren niedergeschrieben ©edition a / APA
Was geht im Kopf einer Doppelmörderin vor, die zwei ihrer Männer umgebracht, zerstückelt und die beiden Leichen im Keller einbetoniert hat? Wie es im Fall von Estibaliz C. ist, die in Wien-Meidling einen Eissalon betrieb und wegen dieser Delikte zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, kann man nun in "Meine zwei Leben" nachlesen. VIENNA.at hat das getan.
Memoiren erscheinen
Urteil: Lebenslange Haft
Prozess: Schlussplädoyers
Beim Doppelmord-Prozess
Diese Störung hat C.
"Eine tickende Zeitbombe"

“Schon im Stiegenhaus schlug mir Verwesungsgestank entgegen. Durch den Schlitz der Wohnungstür war bereits  Leichenflüssigkeit, vermischt mit Blut, auf den Gang gelaufen. Ich wollte nicht in die Wohnung. (…) Die Vorstellung, seinen Körper zerteilen zu müssen, war grauenhaft. Aber wie sollte ich ihn sonst in die Gefriertruhe bringen?” Eines vorweg: die Lektüre von “Meine zwei Leben. Die wahre Geschichte der Eislady” ist, wie die Materie schon nahelegt, nichts für Zartbesaitete.

Aus dem Leben einer Doppelmörderin

Wie “erklärt” man eines der schlimmsten Verbrechen, das man einem Menschen antun kann? Den Versuch unternimmt die in der Justizanstalt Schwarzau (NÖ) in Haft befindliche Doppelmörderin Estibaliz C., unterstützt von Martina Prewein, die seit über 20 Jahren als Kriminalreporterin tätig ist. Die Memoiren von C. sind eine ehrliche, schonungslose Darlegung der Ereignisse, die zur Verhaftung und Verurteilung der inzwischen 36-Jährigen führten. Die vielleicht interessanteste Frage dabei ist, wie es so weit kommen konnte, dass eine ganz normale Frau zur Mörderin wird.

Tief sitzende Verletzungen, Demütigungen durch ihre Männer, das ständige Streben nach dem unerreichbaren Familienglück, dem ultimativen Ziel in ihrem Leben, werden eindringlich in “Meine zwei Leben” beschrieben. Die Gefühle von Estibaliz C. erscheinen bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Bis man an die Stelle kommt, an der nach ihrer eigenen Beschreibung “ein fremder Regisseur” die Kontrolle in ihrem Kopf übernimmt, als bei C. der Tropfen fällt, der das Fass zum Überlaufen bringt.

“Problemlösung” Mord statt Trennung

Was in einem heftigen Wortgefecht hätte enden können, löst sie in zwei Fällen so, wie es für die meisten von uns nicht mehr verständlich ist: mit dem Griff zur Waffe und dem Erschießen ihres Ex-Mannes bzw. Lebensgefährten. Und zwar von hinten in den Kopf, als der eine mit dem Rücken zu ihr am Computer sitzt, der andere im Bett von ihr abgewandt liegt und schläft.

Wie im Prozess und im Gutachten zu ihrem Geisteszustand später von Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner herausgestrichen wird, leidet C. unter einer Persönlichkeitsstörung, die es ihr einfacher erscheinen lässt, Männer, mit denen sie sich in unglücklichen Beziehungen befindet, als “Hindernisse” aus dem Weg zu räumen, als sich einer Trennung zu stellen. Ihrem generell problematischen Verhältnis zum anderen Geschlecht ist einiges vorangegangen, wie sie schildert: Soldaten, welche ihre Puppen zertrampelten, als sie ein Kind war, zweifache Vergewaltigung mit 16, Beziehungen, in denen sie sich für ihre Partner aufopferte, die dies mit Fremdgehen quittierten.

Die wahre Geschichte der Estibaliz C.

Erzählt wird die “wahre Geschichte” von Estibaliz C. in Rückblenden. Beginnend mit der Entdeckung ihrer Taten, nachdem die beiden zerstückelten Leichen monatelang im Keller unter ihrem Eissalon gelagert waren. Die Situation, in der sich die zu diesem Zeitpunkt 34-Jährige befindet, ist eigentlich eine Erfreuliche: Die in einer glücklichen Beziehung befindliche C. erfährt, dass sie schwanger ist, schmiedet Zukunftspläne, freut sich auf ihr ersehntes erstes Kind mit dem Mann, den sie liebt. Nur wenige Wochen später der Schock: Ein riesiges Polizeiaufgebot vor ihrem Geschäft, Handwerker haben bei Arbeiten im Keller die Leichenteile gefunden.

C. beschreibt ihre Flucht, ihre Verhaftung, die folgende Untersuchungshaft, in der sie ihren Sohn zur Welt bringt, der ihr sofort weggenommen wird, die Hochzeit hinter Gittern, dann in wenigen Worten den Prozess, den sie wie benebelt unter dem Einfluss starker Psychopharmaka erlebt, der zu ihrer Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen zweifachen Mordes führt, das “Jetzt”. Dazwischen immer wieder in der Erinnerung aufflackernd: die grausamen Bluttaten an ihren vormaligen Partnern Holger und Manfred.

Erinnerungen an zwei Morde

“(…) Immer wieder habe ich diese Flashbacks. Dann laufen die fürchterlichen Szenen vor mir ab. Wie ich Holger tötete. Wie ich Manfred tötete. Bei meinen Verbrechen war ich nicht ich selbst, manchmal fehlen mir die Erinnerungen an ihren genauen Ablauf. Doch an das, was danach geschah, erinnere ich mich ganz genau. Weil da kein Regisseur mehr in meinem Kopf war, der mir Befehle gab.”

Beschrieben wird die “Herausforderung” für die kleine, eher zarte Frau, die beiden Leichen zu beseitigen, was nicht auf Anhieb gelingt – als das Anzünden der ersten Leiche fehlschlägt, das Hochhieven misslingt, das Zerstückeln mittels Motorsäge aus dem Baumarkt sich als für sie einzig gangbarer Weg herauskristallisiert.

Das stundenlange Putzen der Wohnung, die von Blut und Leichenflüssigkeiten kontaminiert ist, das stückweise mühselige Transportieren der schweren Behälter mit den Leichenteilen in die Kellerräume, die Erinnerungen, die sie bis in den Schlaf verfolgen, die darauf folgenden, regelmäßigen, fast andächtigen Besuche im Keller, bei denen die gläubige Katholikin im Nachhinein mit ihren Opfern spricht, bei ihnen betet.

“Meine zwei Leben”: Esti vs. Eislady

Wiederholt deutet C. auch an, dass die Last ihrer Vergehen so schwer zu tragen war, dass sie zuweilen geradezu erwischt werden wollte. Dass sie Manfred unter Vorwänden in den Keller schickte, in dem die zerstückelte Leiche Holgers lag, dass sie nicht nur in Anspielungen, sondern sogar in eindeutigen Worten gegenüber einem Polizisten, der sie nach dem Verschwinden ihres Mannes befragt, angibt, dieser läge tot im Keller, aber nicht ernst genommen wird.

Bist du die Eislady? Nein, ich heiße Esti (…).” Wichtig ist für Estibaliz C., wie im Laufe der Erzählung klar wird, die titelgebende Unterscheidung ihrer beiden Leben. Immer wieder beschreibt sie, wie sie ganz gezielt aus der Realität in Tagträume flüchtet, sich aus belastenden Situationen einfach “wegbeamt”, hinein in eine Reihenhaus-Idylle mit Ehemann und Kind, ganz liebende Mutter ohne jegliche dunkle Facette ihrer Persönlichkeit, die das Leben lebt, von dem sie schon als kleines Mädchen geträumt hat.

Hoffnung auf Gottes Vergebung

Estibaliz C. macht sich mit ihrem Buch keine Illusionen, will “nichts beschönigen”, ist sich bewusst, dass sie zu Recht “die härteste Strafe erhalten hat, die ein europäisches Land über einen Menschen, der ein Tötungsdelikt begangen hat, verhängen kann” – und zwei Müttern ihre Söhne genommen hat, was sie, nunmehr selbst Mutter, der ihr Sohn über alles geht, inzwischen als unverzeihlich versteht.

Die Hinwendung an Gott, den Estibaliz C. wieder und wieder um Verzeihung für ihre Taten bittet, zieht sich als roter Faden bis zum Ende durch “Meine zwei Leben”. “Gott, wirst du mir meine Verbrechen jemals verzeihen?, frage ich ihn wieder einmal. Ich bekomme auch diesmal keine Antwort.”

(DHE)

 

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