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"Mein Bein ist mein Bein – egal woraus"

Rick versteht es wie kein anderer, stets das Positive zu sehen: „Immerhin werde ich mir nie das linke Schienbein brechen.“
Rick versteht es wie kein anderer, stets das Positive zu sehen: „Immerhin werde ich mir nie das linke Schienbein brechen.“ ©Jennifer van Greunen – Heartistic Photography
Eine Infektion hat Rick aus Bregenz seinen linken Unterschenkel gekostet – und ihm eine völlig neue Lebenslust geschenkt.

Von Anja Förtsch (Wann&Wo)

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„So ein amputierter Unterschenkel hat schon enorme Vorteile“, sagt Patrick Heidegger im Gespräch mit WANN & WO mit breitem Grinsen. „Ich brauche weniger Platz auf der Couch, ich werde mir garantiert niemals das Schienbein brechen und in die Badewanne passt man so zu zweit auch viel leichter hinein.“

Zugegeben, wenn man Rick, so sein Spitzname, trifft, bleiben einem im ersten Moment schon die Worte weg. Und auch im weiteren Gespräch fehlen sie einem immer wieder – vor Lachen. Denn der Bregenzer geht so offen und humorvoll mit seiner Amputation um, wie wohl kaum jemand. Schließlich denkt er nicht daran, sich zu verstecken. „Es gibt aktuell etwa 50.000 Amputierte in Österreich. Zeit, dass es kein Tabuthema mehr ist.“

Verhängnisvolle Wunde

Dabei hätte der 33-Jährige allen Grund, verbittert oder wütend zu sein. Denn er verlor sein Bein vor etwa zehn Jahren nicht aus eigener Schuld: Ein Keim führte dazu, dass sich eine eigentlich simple Wunde am Zeh nicht schloss, es kam zu einer Knocheninfektion und Blutvergiftung. „Da war nichts mehr zu retten. Der halbe Fuß musste ab.“ Er bekam eine erste Prothese. „Das Problem war aber, dass sie auf dem Knöchel auflag und dort so stark gerieben hat, dass es sich entzündete.“ Rick trifft eine der schwersten Entscheidungen seines Lebens: Der ganze Unterschenkel soll weg. „Eine Prothese ab dem Knie ist in der Regel einfacher anzupassen und macht dadurch weniger Probleme“, erklärt Rick. Mittlerweile ist die Technik so weit, dass die Prothese kaum mehr von einem gesunden Unterschenkel zu unterscheiden ist. „Ich habe mich aber bewusst gegen eine kosmetische Prothese entschieden“, sagt er ernst. „Mein Bein ist mein Bein. Ob es nun aus Fleisch und Knochen oder aus Stahl und Karbon ist.“

Blick nach vorn

So harmonisch war die Beziehung zwischen Rick und seinem neuen, linken Bein aber nicht immer. „Jede Prothese ist ein Lernprozess“, sagt er. „Man muss das Leben damit üben. Zuerst in kleinen Schritten: Das fängt mit nur fünf Minuten tragen an. Wichtig ist auch, das Vertrauen in die Prothese zu lernen.“ Zudem sei die Grundhaltung entscheidend – und seine war von Beginn an positiv: „Ich habe die Amputation akzeptiert, ich konnte es ja ohnehin nicht ändern. Also wollte ich immerhin das Beste aus der Situation machen.“ Also verbrachte er bereits in der Reha Stunden auf dem Laufband und fährt heute wann immer möglich mit dem Fahrrad. „Ich habe inzwischen mit Prothese weit mehr Sportarten probiert, als ohne. Sogar Tennis.“ Und Rick nimmt noch etwas anderes, ganz Entscheidendes aus dem Reha-Zentrum mit: seinen Humor.

Leben in die Hand nehmen

Den hat er sich auch zurück im Alltag bewahrt. „Ich habe im Krankenhaus und in der Reha Leute kennengelernt, die es viel schwerer getroffen hat, als mich. Da waren wirklich harte Geschichten dabei – aber auch positive. Und da ist mir klar geworden: Jeder hat es selbst in der Hand, wie es ihm geht. Nämlich durch die Art, wie er mit einem Schicksalsschlag umgeht“, schildert Rick.

Beispiele dafür erlebt er immer wieder: „Eine Frau hat sich auf einer Bank einmal von mir weggesetzt, auf die nächste Bank, nachdem sie mein Bein gesehen hat. Klar, darüber könnte ich sauer oder bestürzt sein“, führt er aus, „aber ich weiß ja nicht, was ihre Gründe sind. Vielleicht hatte sie in ihrem eigenen Umfeld einen Amputationsfall erlebt, der sie sehr mitgenommen hat. Ich kann in niemanden hineinschauen. Und wenn ich Toleranz erwarte, muss ich selbst auch tolerant sein.“ Und schließlich habe er gerade durch die Prothese viele tolle Leute kennengelernt. „Videokünstler und Fotografen beispielsweise, die mit mir spannende Projekte umsetzen.“

Auch seine Freundschaften seien noch einmal deutlich enger geworden. „Meine Kollegen haben so viel mit mir durchgestanden. Und ganz besonders meine Freundin Carmen. Ich kann gar nicht sagen, wie viel ich ihr verdanke“, erzählt Rick – und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Ich danke es ihr jetzt mit mehr Platz in der Badewanne.“

Selbsthilfegruppe für Amputierte und Betroffene

Nach seiner Amputation schockierte Rick eine Sache besonders: Dass es in Vorarlberg keine Selbsthilfegruppe für Betroffene gibt. Aber Rick wäre nicht Rick, wenn er die Dinge nicht in die Hand nehmen würde – und gründet nun selbst eine. „Danke an Susanne und Andreas, die das möglich machen!“ Start ist voraussichtlich zwischen November und Dezember, geplant ist vorerst ein monatliches Treffen im Lebensraum Bregenz. Interessierte können sich an Rick wenden unter hook.bookings@gmail.com.

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