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Marwins Leben mit dem Down-Syndrom: Zwischen Integration, Träumen und Herausforderungen

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Heute ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Marwin, ein 16-jähriger Junge aus Rankweil mit Down-Syndrom, beweist wie wertvoll Vielfalt in unserer Gesellschaft ist.
"Sie ist normaler als viele andere"

Dürfen wir vorstellen: Das ist Marwin, 16 Jahre alt und ein echter Rankweiler. Er lebt, wie rund 500 bis 600 andere Menschen in Vorarlberg, mit dem Downsyndrom. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Fälle dürfen aufgrund des Datenschutzes nicht registriert werden. Er und seine Familie sind Teil des Vorarlberger Down-Syndrom-Vereins. Gemeinsam mit 135 weiteren Familien können sie sich dort austauschen, Unterstützung finden und Schulungen besuchen.

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Marwin und Schwester Emma im Gespräch mit VOL.AT. ©Schad / VOL.AT

Wie Marwin Freude in die Klasse bringt

Marwins Leben im Schul- und Kindergartensystem lief bislang ab, wie bei so ziemlich jedem anderen Kind. Er ging in die Krabbelgruppe, anschließend in den Kindergarten und dann weiter in die Volks- und Mittelschule. Dabei war er immer ein integrierter Teil des Regelschulsystems. Ein echter Gewinn für ihn, wie seine Eltern im Gespräch mit VOL.AT berichten. "Wir haben gemerkt, wie viel er durch den Umgang mit den anderen Kindern lernt", meint sein Vater Otmar Baur.

Papa Otmar Baur mit seinen Kindern Marwin und Emma, sowie Mama Bettina Hartmann. ©Schad/VOL.AT

Nicht nur für ihn aber hatte das gemeinsame Lernen mit Kindern ohne Behinderung große Vorteile. Auch die anderen Kinder konnten von den Erfahrungen profitieren. "Marwin ist ein sehr mögiger. Er geht offen auf die anderen zu und konnte deshalb immer viele Menschen für sich gewinnen", so Baur. So auch seine Lehrerinnen an der Mittelschule. Ihnen schreibt der 16-Jährige gerne per WhatsApp. "Die haben ihre Nummern aber alle freiwillig herausgegeben", lacht Mama Bettina Hartmann. Eine Lehrerin hat den Eltern berichtet, Marvin habe eine beruhigende Wirkung auf die Klasse. Die anderen Kinder würden umsichtiger mit ihm und den anderen Mitschülern umgehen und eher aufeinander Rücksicht nehmen, als es sonst bei anderen Gleichaltrigen der Fall ist.

Down-Syndrom: Ein wertvoller Teil der Gesellschaft

"Das ist eine typische Wahrnehmung", ordnet Martina Natter vom Vorarlberger Down-Syndrom-Verein ein. "Leider werden wir aber viel zu selten als wertvoller Teil der Gesellschaft gesehen", fügt sie weiter hinzu. Zwar sei klar, dass in einer Leistungsgesellschaft ein Mensch mit Down-Syndrom nur wenig vorantreibe, "im realen Leben geht es aber nun mal mehr um Sozialkompetenzen als um das Beherrschen von Vokabeln." Genau wie die Familie Hartmann-Baur prangert sie daher das Schulsystem in Österreich an, das keine weiterführende Schule für Kinder und Jugendliche mit kognitiver Beeinträchtigung vorsieht.

Die Eltern von Marwin im VOL.AT-Gespräch. ©Schad/VOL.AT

Marwins Situation kann daher als sehr glücklich beschrieben werden. Auch, weil die Familie von Anfang an Unterstützung durch Freunde und Bekannte erfahren hat. "Marwin ist eigentlich von unserem gesamten Dorf Brederis mit aufgezogen worden", freut sich Bettina Hartmann und fährt fort: "er ist von Anfang an alleine durch die Nachbarschaft gezogen und hat seine Freunde besucht. Wir leben hier in einer echten Oase." Nicht zuletzt das habe dafür gesorgt, dass der heutige Teenager relativ selbstständig ist.

Der wachsende Drang nach Freiheit

Wie jeder andere Teenager auch sehnt sich Marwin mehr und mehr nach Freiheiten. Er möchte feiern gehen, Freunde treffen und auch Bier trinken. "Das hat mir aber so gar nicht geschmeckt. Ich mag eher Weiß sauer", erzählt Marwin mit einem verschmitzten Lächeln. Seine Eltern und seine Schwester Emma lachen. Otmar und Bettina verbieten ihm so etwas nicht. Viel mehr freuen sie sich und vertrauen auf ihre ältere Tochter. Emma nimmt Marwin häufig mit. Gemeinsam mit ihren Freundinnen gehen sie in die Disco oder auch auf Feste. "Für mich war das nie ein Problem. Ich kenne ihn nicht anders. Und auch alle meine Freunde verstehen sich super mit Marwin. Warum sollte ich ihn also nicht einfach mitnehmen, wie es auch andere Geschwister tun?", meint sie selbstbewusst.

"Wir haben sehr viel investiert, dass er heute so leben kann"

Ganz so einfach, wie es heute ist, war es aber nicht immer. "Wir haben wahnsinnig viel investiert, damit Marwin heute der ist, der er ist", versichern beide Eltern einstimmig. Außerdem hätten sie insbesondere am Anfang erst lernen müssen, dass Marwin und andere vom Down-Syndrom Betroffene nur rund 50 Prozent des Aufmerksamkeitsfokus eines nicht betroffenen Menschens haben. In Gesprächen fällt es den Menschen daher schwerer, zu folgen. Auch gefühlstechnisch empfinden Menschen mit Down-Syndrom nur zu rund 50 Prozent. "Trotzdem ist es ein ganz klares Vorurteil, dass Menschen mit Trisomie 21 immer nur glücklich und zufrieden sind. Das ist ganz eindeutig nicht der Fall. Auch diese Personen verspüren Wut, Unbehagen und Trauer", verdeutlicht Bettina Hartmann.

Bettina Hartmann ist sichtlich stolz auf Marwin. ©Schad/VOL.AT

In seiner Freizeit macht Marwin gerne Sport. Im Sommer liebt er es schwimmen zu gehen und neuerdings geht er auch ins Karatetraining. In der Vorarlberger Vereinslandschaft ist gelebte Inklusion aber noch eine Seltenheit. "Wir haben keinen Verein gefunden, in dem er in Rankweil Sport treiben könnte", ärgern sich die Eltern. Sie vermuten, dass vor allem Unwissenheit und mangelnde Berührungspunkte mit Menschen mit Down-Syndrom zu der Ablehnung in Sportklubs führen. Marwin muss deshalb bis nach Bregenz ins Training fahren. Weil es ihm Spaß macht, stört ihn das aber nicht.

Emma und Marwin sind ein echtes Team. ©Schad/VOL.AT

Auch für die Zeit nach der Schule hat der 16-Jährige große Pläne: Er möchte Polizist werden. Wenn das Vorhaben auch eher schwer zu erreichen ist, die Illusion wollen seine Eltern ihm nicht nehmen. "Wir versuchen immer eher zu verdeutlichen, was alles möglich ist und ihn groß träumen zu lassen, statt ihm ständig vor Augen zu führen, was er alles nicht kann", ist es Otmar Baur wichtig zu betonen. "Und vielleicht gibt es ja in der Tat irgendeine kleinere Aufgabe bei der Polizei, die er dann als Beruf ausüben kann", gibt Bettina Hartmann zu bedenken.

Marwin und Emma beim Maße nehmen für das Kleidungsprojekt von Emma. ©VOL.AT/Archiv

Ein weiteres ganz alltägliches Problem, dem sich Marwin gegenüber sieht, ist passende Kleidung zu finden. Schwester Emma besucht die HTL Dornbirn und hat sich deshalb in ihrer Diplomarbeit dem Problem angenommen. "Ich muss ständig Marwins Ärmel und Hosenbeine kürzen, weil sie zu lang sind. Dann habe ich gemeinsam mit zwei Mitschülerinnen eine Umfrage unter Menschen mit Down-Syndrom gestartet, wie es ihnen bei der Suche nach passender Kleidung ergeht." Das Ergebnis sei ernüchternd gewesen. Offenbar haben Betroffene kürze Gliedmaßen und auch einen kürzeren Rücken. "Wenn Menschen nur deshalb Kleidung in der Kinderabteilung kaufen müssen, führt das natürlich nicht gerade dazu, ernster genommen zu werden", ärgert sich Emma. Ihr Projekt, passende Kleidung zu entwerfen, war ihr deshalb eine Herzensangelegenheit. Und schon ganz bald wird sie im Rahmen einer Modenschau der Öffentlichkeit präsentiert. "Das macht mich schon ein wenig stolz", gibt sie zu.

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