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Marco Wanda: "Scham kenne ich nicht"

Marco Wanda ist "Philosoph, Schriftsteller und Rockmusiker"
Marco Wanda ist "Philosoph, Schriftsteller und Rockmusiker" ©APA/Ingo Pertramer/Zsolnay
Marco Wanda, Sänger und Songschreiber der Wiener Gruppe Wanda, bringt am Dienstag (19.8.) sein erstes Buch heraus. "Dass es uns überhaupt gegeben hat" rollt nicht nur die Bandgeschichte aus der Sicht des 38-Jährigen auf, sondern blickt auch in die Seele des Erzählers. "Ich habe lange Zeit meine Sprache im Schreiben gesucht, über zehn Jahre. Mit diesem Buch habe ich sie gefunden", so Marco Wanda im Interview mit der APA, das auf seinen Wunsch hin schriftlich geführt wurde.

APA: Was hat Sie letztlich motiviert, das Buch tatsächlich zu schreiben?

Marco Wanda: Das Buch zu schreiben hatte mehrere Motivationen - eine ganz persönliche Versöhnung mit den 14 aufregendsten und prägendsten Jahren meines Lebens, eine Darstellung der Generation an Kunstschaffenden, denen ich mich verbunden fühle, und das Gefühl, alles was mir passiert ist, war zu lehrreich, um es nicht zu teilen.

"Alle Gefühle, auch Schmerz, wollen gesehen werden"

APA: Es scheint, dass Sie auf Beschönigungen verzichtet haben. Wie schwer ist Ihnen das gefallen? Image-Politur kann man Ihnen wohl nicht vorwerfen.

Marco Wanda: Um sich mit sich selbst zu versöhnen oder in eine Beziehung mit sich zu treten, muss man sich sehen, wie man ist. Das ist mir beim Schreiben passiert, alle Gefühle, auch Schmerz, wollen gesehen werden. Also habe ich hingesehen, habe es beim Schreiben ausgehalten, und danach ging es mir besser.

APA: Sie beschreiben sehr explizit Ihre Sucht, etwa wohin Sie überall gekotzt haben. Gab es Überlegungen, auf solche Details zu verzichten?

Marco Wanda: Da dieses Buch unter anderem auch in der Motivation entstanden ist, lehrreich für andere zu sein, war von Anfang an klar, dass ich auch die vermeintlichen Schattenseiten meiner Karriere beleuchte. Resilient werden wir nur, wenn wir scheitern. Das wollte ich vermitteln.

APA: Sie schreiben offen über Ihr Innenleben. Ist das auch eine Art Selbsttherapie?

Marco Wanda: Therapie ist Therapie. Schreiben ist auch eine Form der Heilung, kann aber eine Therapie nicht ersetzen. Als das Buch beendet war, habe ich durchgeatmet - einen langen, großen, versöhnlichen Atemzug. Gestaunt und geweint vor Dankbarkeit, am Leben zu sein.

"Scham kenne ich nicht"

APA: Wie viel Überwindung gehört dazu, Ängste und Fehlverhalten einzugestehen?

Marco Wanda: Ich bin ein Mensch, der sich chronisch für nichts schämt, dieses Gefühl, unter dem angeblich so viele Menschen leiden - Scham - kenne ich nicht. Schämen sollte man sich für schlimme moralische Verfehlungen, alles andere ist des Schämens nicht wert.

APA: Apropos: Sie schreiben über die Verwüstung eines Dorfes im Suff. Hier liest sich Scham aber heraus. Würden Sie jetzt einiges anders machen, wenn Sie könnten? Was würde der Marco Wanda von heute dem Marco Wanda von damals raten?

Marco Wanda: Der junge Mensch, der ich damals war - Anfang 20, brennend, leidenschaftlich einem Traum hinterherjagend - hat mir das Leben, das ich heute führen darf, ermöglicht. Er ist durch Höllen gegangen, könnte ich ihm begegnen, würde ich ihm umarmen, mich bedanken und ihm Mut zusprechen.

"Manchmal war es schwierig, sich gewissen Momenten zu stellen"

APA: Der Tod von Wanda-Gründungsmitglied Christian Hummer hat Sie schwer getroffen, es gab aber auch andere Trennungen und Verluste, die Sie verarbeiten mussten. Waren das die schwierigsten zu Papier bringenden Aspekte?

Marco Wanda: Das Buch ist in einem einzigen literarischen Atemzug innerhalb weniger Wochen entstanden. Manchmal war es aber schwierig, sich gewissen Momenten zu stellen. In solchen Fällen habe ich mich nicht gezwungen weiterzuarbeiten. Dann - durchatmen - und weiter, aus Liebe zu den Menschen, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin.

APA: Zur Geschichte von Wanda gehören mitunter schmerzhafte Trennungen. Sie nennen manches beim Namen, treten aber nicht nach ...

Marco Wanda: Die wirklich weichenstellenden Momente in meinem Leben, die großen inneren Veränderungen, haben immer Menschen auf meinem Weg, in mein Leben, getragen. Ich war immer offen dafür, und mein Buch ist voll von solchen Menschen, denen ich nur das Beste wünsche.

APA: Die Kardinalfrage: Ist das Buch recherchierte Wahrheit, Eigeninterpretation der Geschehnisse oder auch teilweise schriftstellerische Freiheit?

Marco Wanda: Von Anfang an habe ich die Geschichte der Band durch eine literarische Brille betrachtet. Mir war von der Bandgründung mit Manuel Poppe im Café Alt Wien bis zum Donauinselfest 2024 vor über 100.000 Menschen in jedem Moment klar, dass wir hier gerade Musikgeschichte schreiben und Teil von etwas sind, an das man sich sehr lange erinnern wird. Mein Vater hat vor seinem Tod den faktischen Teil übernommen und alle Artikel und biografischen Hard Facts gesammelt. Dieses Archiv hat mir geholfen, mich zu erinnern und die Chronologie biografisch so korrekt wie möglich wiederzugeben.

"Bin seit zwölf Jahren Philosoph, Schriftsteller und Rockmusiker"

APA: Das Pressefoto zum Buch zeigt eher einen Philosophen als einen Rockmusiker in Lederjacke? Ein neues Image?

Marco Wanda: Keine Ahnung, wie man mich medial interpretiert hat. Ich bin seit zwölf Jahren Philosoph, Schriftsteller und Rockmusiker. Ob in Lederjacke, Anzug, Unterhose oder nackt.

APA: Welche Pläne hat Marco Wanda für die nahe Zukunft? Und wie geht es mit Wanda weiter?

Marco Wanda: So lange sich das, was ich schreibe, sei es Musik oder Literatur, relevant anfühlt, werde ich es teilen.

(Die Fragen stellte Wolfgang Hauptmann/APA)

(S E R V I C E - Marco Wanda: "Dass es uns überhaupt gegeben hat", Zsolnay Verlag, 288 Seiten, 26,50 Euro; Buchpräsentation in Wien am 20.8., 19.30 Uhr, im Theater im Park, Marco Wanda im Gespräch mit ORF-Redakteurin Alice Pfitzner, )

(APA)

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