WANN & WO: 20 Jahre Gabriels Cucina. Was ist das für ein Gefühl?
Gabriel Venturiello: Das erste Gefühl ist, dass die Zeit vergeht (lacht). Wir haben viel Schönes erlebt und hatten auch Momente, in denen wir dachten, das überleben wir nicht. Nach 20 Jahren hat man den Vorteil, dass man ein Team, Stammgäste und eine gewisse Konstanz im Betrieb hat. Das macht viel aus.
WANN & WO: Was ist dir speziell in Erinnerung geblieben?
Gabriel Venturiello: Wir haben am 7. Jänner aufgemacht und am 17. Jänner ist mein Sohn auf die Welt gekommen. Am 16. dachte ich, dass ich noch schnell abrechnen könnte. Das ist sich nicht ausgegangen, also musste die Ex-Wirtin das Lokal am nächsten Tag aufmachen. In den Anfängen habe ich viel von meinen Vorgängern übernommen, sowohl die Karte als auch das Stammpublikum. Es war keine Neueröffnung im klassischen Sinne, sondern ein fließender Übergang. Nach einem halben Jahr hat ein Gast zu mir gesagt: „Ah, sie sind also der neue Kellner.“ (lacht)
WANN & WO: Wäre eine Pizzeria für dich in Frage gekommen?
Gabriel Venturiello: Italien macht mehr aus, als nur eine Pizzeria. Wir sind ein mediterranes Restaurant und nicht rein italienisch. Meine Wurzeln sind in Italien, aber meine Mama ist eine „Dorabirare“. Für uns ist die Saisonalität der Karte wichtig, Seafood auch. So passt das ganz gut mit der mediterranen Ausrichtung.
WANN & WO: Hast du ein persönliches Lieblingsgericht auf der Karte?
Gabriel Venturiello: Es gibt auf der Karte nichts, das ich nicht mag, weil sonst hätte ich es nicht da drauf. Das Risotto Don Antonio, ein Tomatenrisotto mit scharfen Rindsfiletstreifen, ist eine Hommage an meinen Papa.
WANN & WO: Alles außer Morcheln?
Gabriel Venturiello: (lacht) Das ist der Titel unseres Kochbuchs, zu dem es eine andere Geschichte gibt: Ein Freund, der oft bei der Menübesprechung dabei war, meinte immer: „Macht etwas mit Morcheln.“ Einmal haben der Küchenchef und ich gleichzeitig erwidert: „Alles außer Morcheln!“ So entstand der Buchtitel, aber wir verwenden in unserer Küche sehr gerne Morcheln. Es gibt kaum etwas, das ich nicht probieren würde, aber lebendige Raupen brauche ich zum Beispiel nicht.
WANN & WO: Wie siehst du den Trend, Insekten zu essen?
Gabriel Venturiello: Das wird in nächster Zeit sicher eine Herausforderung, weil wir uns in der Ernährung überlegen müssen, wohin wir uns bewegen, um ökologisch zu arbeiten. Für die Leute ist das vielleicht jetzt noch schockierend, aber ich glaube, dass sich das in zehn, zwanzig, dreißig Jahren nicht mehr so falsch anfühlen wird. Wir haben auch schon damit herumprobiert und das sind wirklich gute Produkte.

WANN & WO: Wie stehst du zur Pizza Hawaii? Ist das ein No-Go für dich?
Gabriel Venturiello: Überhaupt nicht, meine Frau liebt Pizza Hawaii (lacht). Früher hast du das in Italien natürlich nicht bekommen, aber zwischenzeitlich gibt es da auch Pizza mit Würstel und Pommes oder mit Dönerfleisch. Ob man das mag oder nicht, ist natürlich jedem selbst überlassen. Es gibt Sachen, die nicht meines wären, aber die ich vom Gedanken her verstehe. Wichtig ist, dass die Gerichte für einen selbst Sinn ergeben, man authentisch bleibt und mit guten Produkten arbeitet. Ich esse aber genauso gerne ein Schnitzel, einen Leberkässemmel oder einen Hamburger, wenn er gut gemacht ist. Wichtig ist, dass wir uns diese Vielfalt bewahren.
WANN & WO: Was waren die größten Herausforderungen der vergangenen 20 Jahre?
Gabriel Venturiello: Die größte Herausforderung war, am Anfang einen gewissen Bekanntheitsgrad über die Stammkunden hinaus zu bekommen. Im ersten Jahr habe ich wirklich meine Frau auf die Terrasse gesetzt, damit es nicht so leer aussieht. Mit der Zeit ist es etwas leichter gefallen, aber es ist wichtig, dass man immer dranbleibt. Heute haben wir eine große Reichweite und tolle Stammkundschaften. 2007 haben mir Bank und Steuerberater geraten, ich solle aufhören. Ich hab gesagt: „Gebt mir noch ein halbes Jahr.“ Das hat mir dann gereicht, um den Break-Even zu erreichen.
WANN & WO: Liegen Erfolg und Herausforderungen so nahe beisammen?
Gabriel Venturiello: Es ist schwierig, wenn du das Wasser am Hals hast und überlegen musst, was mache ich, wenn ich jetzt pleite gehe? Das hat mich sehr geprägt. Ich hätte schon wieder mein Zimmer bei meinen Eltern und etwas zu essen auf den Tisch bekommen, aber dieser Druck, nicht versagen zu wollen, war wirklich eine große Herausforderung. Das merke ich heute noch an Tagen, an denen wenig los ist.Oder wenn ich merke, dass irgendwo ein Hund drin ist.
WANN & WO: Deine emotionale Bindung zum Lokal äußert sich auch ab und zu in den Sozialen Medien.
Gabriel Venturiello: Gabriels Cucina ist halt der Gabriel und mir ist bewusst, dass ich eine polarisierende Persönlichkeit bin. Man investiert viel Energie und manchmal ist der „Pfus“ weg. Ich hab mich auch schon hin und wieder dafür entschuldigt, dass ich manchmal halt nicht aus meiner Haut kann und sehr emotional reagiere. Ich bin ein halber Süditaliener und wenn die Energie weniger wird, gehe ich ab und zu schnell an die Decke. Ich habe aber tolle Mitarbeiter, die mich kennen und mir das abnehmen, wenn sie merken, dass ich nicht so einen guten Tag habe.
WANN & WO: Ist Dornbirn und Süditalien so eine explosive Mischung?
Gabriel Venturiello: Es wäre wohl schlimmer, wenn ich beide Seiten von unten hätte (lacht). Ich habe das Herz vom Papa und den Verstand von der Mama – ohne einen von beiden beleidigen zu wollen. Mama hat als Geschäftsfrau immer sehr geradlinige Geschichten gemacht, während Papa darauf geachtet hat, dass alles zusammenhält. Es kommt bei jedem vor, dass man mal nicht gut drauf ist. Einerseits bitte ich dafür um Verständnis, aber Emotionen sind nicht immer negativ, ganz im Gegenteil. Da ist auch ganz viel Freude dabei. Ich bin nicht so launisch, wie das für manche wirken mag, aber wenn ich mal launisch bin, merkt man das sofort.
WANN & WO: Warum hast du während der Corona-Zeit das Wort ergriffen, als es um die Sperrstunden ging?
Gabriel Venturiello: Im Grunde ging es mir dabei darum, dass diese Sperrstundenverschleppung für uns nicht nachvollziehbar war. Für uns Gastronomen war es schwierig, dass sich so vieles in den privaten Bereich verlagert hat. Wir wussten zu dieser Zeit nicht, wo hilft man uns und wie? Wenn du nicht weißt, wie es weitergeht, man dir einfach zusperrt, dazwischen sagt „du musst um acht oder um zehn zusperren“, an Silvester offen oder dann doch wieder nicht. Ich muss einkaufen, produzieren, verkaufen. Die Spannen in der Gastronomie sind nicht so groß, wie viele denken. Das ist ein Business, in dem es wirklich auf jeden Tag und jeden Gast ankommt. Darum war es wichtig, dass jemand das Wort ergreift und Viele haben es begrüßt, dass mal jemand Tacheles redet. Heute würde ich wohl anders agieren, weil man uns damals schnell in die eine oder andere Schublade gesteckt hat. Es ging uns nie um eine links-rechts-Positionierung, aber manche wollten mich vor ihren Karren spannen. Ich habe auch mehrere Anfragen von Parteien bekommen, die ich aber alle abgelehnt habe.
WANN & WO: Muss man so laut schreien, damit man gehört wird?
Gabriel Venturiello: Ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr (lacht). Zu diesem Zeitpunkt ja. Und plötzlich wurde ich ins Landhaus mitgenommen, um die Dinge zu besprechen. So haben wir diese Ländle-Hilfe mit angeschoben. Im ersten Lockdown hat man uns zugesperrt und verboten, die Lokale zu betreten. Dass unsere Waren verderben, war kein Thema. Ich durfte in den ersten Tagen nicht einmal ins Lokal, um den Biomüll zu leeren. Klar, die Politik war mit vielen Dingen beschäftigt, aber etwas mehr Kommunikation hätte gutgetan. Im Nachhinein betrachtet, haben sich so aber auch einige neue Schnittstellen ergeben.
WANN & WO: Würdest du das Lokal heute wieder eröffnen?
Gabriel Venturiello: Definitiv, ich bin stolz auf das, was wir hier geschaffen haben. Unser Klientel geht von der 94-jährigen Oma, über den Geschäftsmann oder Arzt zum Handwerker, quer durch alle Altersgruppen.
WANN & WO: Nochmal 20 Jahre?
Gabriel Venturiello: Naja, irgendwann möchte ich schon an die Pension denken, aber in der Zwischenzeit ist mein Sohn schon mit in der Küche. Nach dem Zivildienst möchte er eine Karriere im Gastgewerbe starten, die ich ihm aber außerhalb des Betriebes empfehle. Vielleicht wird er irgendwann sagen, dass er das Lokal übernehmen möchte.
WANN & WO: Was ist, wenn jemand reserviert und dann nicht kommt?
Gabriel Venturiello: Das ist eine einfache Rechnung. Ich habe offiziell 36 Sitzplätze und wenn da – nehmen wir einen Fall aus der Vergangenheit her – acht Leute nicht kommen, ist das eine Größenordnung, die schmerzt. Nicht nur wegen dem Umsatzentgang, sondern auch, weil ich Gäste wegschicken muss, die sich über den Platz freuen würden. Wenn man anruft und Bescheid gibt, ist das alles kein Thema. Wenn nicht, ist das einfach eine schwierige Situation für uns. Jetzt wird es gleich wieder heißen von wegen „Wut-Wirt“, aber die eine Geschichte ist im Endeffekt nur „eskaliert“, weil es die Medien thematisiert haben.
WANN & WO: Wie steht es um die Gastronomie in Vorarlberg?
Gabriel Venturiello: Sie steht derzeit an der Kippe. Wir werden eine sehr herausfordernde Zeit haben und ein paar werden sich das nicht mehr antun. Leute, die früher zwei bis drei Mal essen gegangen sind, gehen nur noch ein Mal. Es wird auch immer schwieriger, die Mitarbeiterstrukturen zu finden. Wirte müssen überlegen, wann und mit wem sie aufmachen können? Wie gestalten sie die Karte? Braucht es zusätzliche Schließtage? Unser Gewerbe wäre sehr schön, wird aber oft als schwierig dargestellt. Wir haben ein Gewerbe, in dem wir direkt Feedback von den Kunden bekommen, in dem wir uns kreativ ausleben können, in dem wir durch andere Arbeitszeiten auch mal ins Schwimmbad oder auf die Piste können, wenn das sonst keiner kann. Es gibt sehr viel schöne Aspekte am Gastgewerbe.
Zur Person: Gabriel Venturiello
- Alter, Wohnort: 49, Dornbirn
- Ausbildung, Beruf: Hotelfachschule Bludenz, Gastwirt Gabriels Cucina
- Familie: Geboren in Dornbirn, Papa Süditaliener, Mama Dornbirnerin, 4 Geschwister, verheiratet, 2 Kinder
- Hobbys: Darts, Schach, Tischtennis, früher Hallenfußball, Kochen mit Freunden. „Es gibt nichts, das ich nicht probiere.“
(WANN & WO)