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"Madalyn" von Michael Köhlmeier

Hohenems - Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Ein Vater-Tochter-Roman ohne tatsächliche Verwandtschaft. Ein detailgenaues Wiener Grätzel-Porträt. Eine geglückte Literaturwerdung schmerzhafter Lebenserfahrung. Ein Schlüssellochblick mit Augenzwinkern. All diese und wohl noch mehr Lesarten erlaubt der neue Roman von Michael Köhlmeier, der eben im Hanser Verlag erschienen ist.
Michael Köhlmeier and Friends
Köhlmeier im 3sat-Porträt

Vor allem aber ist “Madalyn” ein mit Herzenswärme geschriebenes Buch, das große Gefühle transportiert, ohne sie dem Leser aufzudrängen.

Zwischen dem Mädchen Madalyn und dem Schriftsteller Sebastian Lukasser, dem Ich-Erzähler, besteht eine freundschaftliche Beziehung voller Vertrauen. Sie ist ein Nachbarskind, das der Autor seit ihrer Geburt kennt. Als sie fünf ist, ist Lukasser nicht nur der Erste, dem sie ihre frisch erworbenen Radfahrkünste vorführt (“… Lukasser kennt sie seit ihrem fünften Lebensjahr. Damals hatte er ihr das Fahrrad fahren beigebracht”, liegt der Klappentext hier gleich doppelt falsch), sondern auch der Erste, der an ihrer Seite ist, als sie von einem Auto niedergefahren wird. Er hält ihre Hand, begleitet sie im Rettungsauto und wird von ihr künftig Lebensretter genannt.

Während Madalyns Eltern sich nicht einmal bedanken, sondern Lukasser weiterhin meiden, bekommt er von dem Mädchen freimütig immer wieder schulische oder familiäre Probleme erzählt und wird, als sie beinahe 14 ist, in das intensive Gefühlswirrwarr ihrer ersten großen Liebe einbezogen. Schwarm Moritz ist zwei Jahre älter, geht nach einem Schul-Rauswurf nun in dieselbe Schule wie Madalyn und ist wegen Aufbrechens eines Zigarettenautomaten vorbestraft. Nie kann man sicher sein, ob er lügt oder die Wahrheit sagt. Was auch den väterlichen Freund, der Vermittler und Ratgeber spielen soll, vor verzwickte Probleme stellt.

Sebastian Lukasser, den Michael Köhlmeier in seinem großen Roman “Abendland” eingeführt hatte, trägt noch unverhohlener als damals Züge des Autors. In einer selbstironischen Episode lässt er Madalyns Deutsch-Professorin im Gymnasium Rahlgasse (das es wie alle Schauplätze des vor allem in der engeren Naschmarkt-Umgebung spielenden Romans tatsächlich gibt) in Aufregung geraten, als sich ihre Bekanntschaft mit dem berühmten Schriftsteller herumspricht, und ihr ein Interview als Hausaufgabe geben.

Köhlmeier zeichnet sein Alter Ego als herzensguten Menschen, der dennoch immer wieder ins Dilemma gerät: Der Altersunterschied verhindert Freundschaft auf Augenhöhe, elterliche Erziehungsberechtigung darf er sich nicht anmaßen. Trotz größter Zuneigung zu dem Mädchen gelingt es ihm nicht immer, das Richtige zu machen, und nur seiner Redegewandtheit verdankt er es, dass er Madalyn zum zweiten Mal das Leben retten kann. Köhlmeier scheint jedoch mehr von den Gefühlswelten des Teenagers zu verstehen als sein Kollege Lukasser, denn “Madalyn” überzeugt gerade durch die Beschreibungen der mannigfaltigen Stimmungen, des sich bedingungslos Auslieferns an einen Menschen, der schmerzlichen Leere, die mangelnde Elternliebe hinterlässt.

In “Idylle mit ertrinkendem Hund” hat Michael Köhlmeier bereits vor zwei Jahren den Tod seiner Tochter Paula im Jahr 2003 zu einem Buch verarbeitet, und auch “Madalyn” ist unverkennbar aus der intensiven Auseinandersetzung mit der Erinnerung an sie entstanden. Diese Lesart scheint auch der Verlag nicht zu scheuen. Mitte September gibt es eine gemeinsame Buchpräsentation mit seiner Gattin Monika Helfer, die sich in “Bevor ich schlafen kann” noch unverhohlener dem Andenken an Paula widmet. Gesprächspartner der beiden, die außerdem gemeinsam ein neues Kinderbuch (“Rosie und der Urgroßvater”) geschrieben haben, ist der Autor und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer.

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