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Luftige, steinerne Stadt

"Städtische, dichte Wohnqualität – die kann auch in der Höhe gelingen." (Christian Matt, Architekt)
"Städtische, dichte Wohnqualität – die kann auch in der Höhe gelingen." (Christian Matt, Architekt) ©Christian Grass
Bregenz - Sinnvoll ist, Städte in zwei Arten einzuteilen: solche, die den Wünschen ihre Gestalt geben, und jene, wo die Wünsche die Stadt auszulöschen vermögen.
Passivhauswohnanlage Rheinstraße West

So resümiert Marco Polo seine Reise in Italo Calvinos „Die unsichtbaren Städte“. Man fragt sich, wenn man in Bregenz die Hauptstraße Richtung Stadtrand nimmt: Ist das so eine Stätte der Wünsche und Begierden – Beine feiner Damen, Benzintempel, Bums- Boutiquen, Billas und was sonst manch‘ Herz begehrt? Dahinter die Heime privaten Glücks. Und gegenüber: Orte, stark genug, den Wünschen Gestalt zu geben? Hier sind die beiden Arten von Stadt kaum sauber geschieden, belagern sich, formloses Wuchern gegen Mühen der Ordnung. Dazwischen die Schneise, die ins Stadtzentrum führt, nachdem sich die Straße über den Grenzfluss geschwungen hat und damit die Stadtgrenze hinter sich gelassen. An Spannung jedenfalls kein Mangel für den, der hier baut.

Eine Fläche von 6000 m2, Wohnraum für 260 Bewohner, entlang der Einfallstraße, direkt an der wasserreichen Bregenzer Ach – Brückenkopf, Puffer zum Verkehr, Mittler zwischen geschlossenen Höfen (der Tirolersiedlung), Einfamilienhäusern und Großsiedlung in der Nähe. Die Herausforderung unterschiedlicher Erwartungen liegt auf der Hand, die Antwort lautet soziale Mischung, gewünscht sind hohe Dichte und eigene Identität. Und das in der neuartigen Konstellation mit drei gemeinnützigen und einem privaten Bauträger als Bauherr.

Mit städtebaulichen Studien begannen Dorner/Matt Architekten vor sieben Jahren, parallel zu einem Gutachten durch Schweizer Stadtplaner. Drei Leitideen nahmen Gestalt an: ein Turmhaus als Eingang in die Stadt; Fortführung der hofartigen Bebauung, abgewandelt durch eine offene Seite zur Ach; harte Schale und weicher Kern – nach außen wenig Fenster, dagegen großzügige Öffnung mit durchgehenden Balkonen zum Hof mit Spielplätzen und Bäumen. Autos bleiben unter der Erde. „Was uns vorschwebte: Dynamik und Dichte, wie sich’s Leben in Italien abspielt“, so der Architekt Christian Matt.

Nun ist das Ufer der Bregenzer Ach nicht Italien – die Planer mussten Abstriche hinnehmen. Die Randbebauung fiel ein Stockwerk niedriger aus, der Wohnturm büßte gar fünf Geschoße ein, der Südflügel orientiert sich heute mit den Balkonen nach Süden und nicht mehr zum Hof. Und doch entstand trotz engen Kostenrahmens beim integrativen Wohnbau ein Quartier von hoher Wohnqualität, Wiedererkennbarkeit dank klarer Gestalt und absolut positiven Rückmeldungen.

Die Bauten sind in Betonmassivbauweise ausgeführt, mit 20–24 cm Dämmung versehen, haben dreifachverglaste Fenster, werden mit Fußbodenheizung temperiert und erreichen mit kontrollierter Be- und Entlüftung Passivhausstandard. In der Wohnung gibt’s nur Leichtbauwände.

Die Konstruktion, die das geschlossene Volumen betont, entspricht dem Bekenntnis der Architekten zu urbanem Bauen, vorzugsweise der steinernen Stadt. Das Spiel der weißen Körper unter dem Licht der Sonne: Anspielung auf die klassische Moderne – was durch das Zusammenfassen von Fenstern zu Bändern oder die über Eck geführte Befensterung unterstrichen wird. Zum Bedauern der Planer standen dafür nur Farbe und Differenzierung in der Putzkörnung zur Verfügung – eine plastische Durchbildung, die bei der außen aufgebrachten Dämmung möglich gewesen wäre, fiel dem Kostenargument zum Opfer.

Dennoch: Der Bezug auf die Moderne fällt spielerisch aus – die gruppierten Fenster ergeben ein ausgeglichenes Muster jenseits von horizontaler oder vertikaler Betonung. Ganz im Kontrast zu den Balkonseiten: Hier herrschen horizontale Streifen gleicher Breite aus gläserner Brüstung und zurückliegenden Loggien. Auch hier: die Streifen entfalten ein Spiel – ein farbiger Verlauf von Grün zu Gelb mit zunehmender Höhe. Zusammengeführt werden beide Motive beim Kopfbau, dem Entree in die Stadt: eine kräftige Vertikale in Weiß hält einen Banner sich zum Himmel hin aufhellender Farbbahnen.

Dass diese Glasbrüstungen nicht bloße Optik sind, wird bei einem Wohnungsbesuch deutlich. Alle Fenster in dieser Richtung gehen bis auf den Boden und vergrößern den Raum bis zur Balkonbrüstung, die sich als transluzent bedrucktes Glas zeigt. Blickschutz zum einen, Lichteinfall zum andern –Gewinn an Helligkeit auf jeden Fall. Für die Hälfte der tiefen Loggien ebenso wie für den schmalen Bereich vor dem Schlafzimmer. „Tolle Wohnqualität: Lage, Ruhe, Aussicht – wenn ich morgens aufstehe, gibt’s den Sonnenaufgang, das Rauschen der Ach. Und wenn’s einige Stockwerke mehr gäbe: den Blick über den Bodensee nicht nur bis Friedrichshafen“, schwärmt Michael Faast, der mit Frau und zwei Kindern im achten Stock wohnt. „So naturverbunden wie ich bin – es passt hier oben. In die Stadt zieht’s mich kaum, lieber geh’ ich laufen oder im nahen See schwimmen.“

Daten & Fakten

Objekt: Passivhauswohnanlage Rheinstraße West, Bregenz

Bauherren:

  • Haus 1: Wohnbauselbsthilfe
  • Haus 2: Vogewosi
  • Haus 3 und 4.1: Alpenländische Heimstätte
  • Haus 4.2: i+R Schertler-Alge

Architekt: Dorner/Matt Architekten Bregenz,

Statik: Mader & Flatz

Energieplanung: GMI Ingenieure – Messner Peter, Dornbirn

Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach

Elektroplanung: Ingenieurbüro Brugger, Thüringen

Planung: 2007–2010

Ausführung: 2010–2012

Wohnnutzfläche: 6450 m2

Grundstücksgröße: 6000 m2

Heizwärmebedarf: unter 10 kWh/m² im Jahr

Tiefgarage: 125 Plätze für Bewohner und Besucher Bauweise: Stahlbeton Massivbau, 20–24 cm Dämmung, Decken massiv 25 cm; Fußbodenaufbau 15 cm; Flachdach, Entwässerung innen; Keller und Garage in Stahlbeton und Massivbau 25 cm mit Perimeterdämmung; Fußböden Parkett; Fliesen in Sanitärräumen; Heizung: Gasthermen kombiniert mit Solaranlagen; in Haus 4.2 Luftwärmepumpe; Innenwände im Trockenbau; Fenster: Holz mit 3-fach-Verglasung

Ausführung: Generalunternehmer i+R Schertler-Alge, Lauterach

Baukosten: ca. 16 Mill. Euro

(Leben & Wohnen – Die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg, Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
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