Der Bericht der Historikerkommission, die sich mit den Missbrauchsfällen im ehemaligen Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg beschäftigt, sorgt erneut für Entsetzen. Laut Kommission fehlte es damals an gut ausgebildeten Erziehern. Etwa die Hälfte hatte keine oder nur eine minimale Ausbildung. Dies, so hieß es, erkläre zum Teil, warum “populäre” und “autoritäre” Vorstellungen von gewaltsamer Erziehung im Heim vorherrschten. Vor allem die 1950er Jahre standen noch im Schlagschatten der faschistischen Epoche in Europa und der mentalen Auswirkungen des Krieges. Auch nach 1945 waren wieder Personen tätig, die auch während der NS-Zeit in Fürsorgeeinrichtungen beschäftigt waren.
Misshandlungsfälle in Kinderheimen nicht kontrolliert
Ein Kontrollsystem fehlte offenbar lange Zeit: Die Entdeckung von einzelnen Misshandlungen in Kinderheimen in den 1950er bis 1970er Jahren geschah laut Bericht nur zufällig. Eine systematische Kontrolle der Erzieher und ihrer Praktiken sei nicht zu erkennen gewesen. Die Innenwelt der Heime war lange Zeit vom Jugendamt abgetrennt. Bis in die 1960er Jahre war das sogenannte Anstaltenamt für die Heime zuständig. Auch als modernere Methoden längst diskutiert wurden, gab es noch “reaktionäre Inseln”, wie es hieß – wobei hier auch das Heim Wilhelminenberg genannt wurde.
Heimkinder waren oft mit Gleichgültigkeit konfrontiert
Es gab auch keine Stelle außerhalb der Heime, an die sich Betroffene hätten wenden können. Sieder berichtete von Fällen, wonach Angehörige von Heimkindern oder Heimkinder selber versuchten, bei der Polizei eine Anzeige gegen gewalttätige Erzieher zu erstatten. Sie trafen dort auf Unverständnis, wobei laut Kommission die Beamten von der Erziehergewalt in den Heimen wussten, sie aber für berechtigt hielten.
“Verstörend” erschien der Kommission die “anhaltende Gleichgültigkeit” gegenüber den Betroffenen. Heimkinder wurden und werden zum Teil bis heute in der Bevölkerung oft pauschal für gefährliche Kinder gehalten, was, wie betont wurde, eine “notorische Fehleinschätzung” sei. In Wirklichkeit seien sehr viele Zöglinge noch sehr klein gewesen, als sie in die Anstalten kamen. Dorthin seien sie gebracht worden, nicht weil sie in irgendeiner Form auffällig waren, sondern weil in ihren oft zerrütteten Familien kein Platz mehr für sie gewesen sei.
Gewalt und Missbrauch waren in vielen Wiener Heimen üblich
Zu “schwer erziehbaren” Kindern wurden sie demnach oft nur, weil sie in den Kinderheimen in eine “Kultur der Gewalt und des Missbrauchs” gerieten. “Sie hatten keine Chance, sich in den Heimen zu heilen oder zu erholen”, bedauerte Sieder. Dort zu überleben, habe hohe Widerstandskraft, Gegengewalt, aber auch Techniken der inneren Emigration erfordert – was oft zu seelischen und körperlichen Erkrankungen geführt habe.
Die intendierte Kontrolle der Fürsorge und der Erziehung durch Wissenschaften und Gerichte funktionierte laut Historikerkommission nur sehr bedingt. Viele Akteure seien voneinander abhängig gewesen. Systemexterne Kontrollinstanzen gab es nicht. (APA)