AA

Lebendige Stadt

Kontrast belebt Das „Gasthaus“ mit seinen historischen Schichten – die Küche mit Ausblick, technisch geglättet.
Kontrast belebt Das „Gasthaus“ mit seinen historischen Schichten – die Küche mit Ausblick, technisch geglättet. ©Christian Grass
Bludenz - Passt! Zeitgleich mit dem Aufbrechen des frischen, prächtigen Grün nach langen, grauen Tagen erlebt die Altstadt von Bludenz ein Raumwunder.
Leben & Wohnen in Bludenz: Eichamt

Seit vergangenem Wochenende ist die Stadt um einen kleinen, feinen Platz reicher, mit Bäumen, umgeben von belebten Räumen, mit Blick auf die Gipfel des Rätikon – ein Gewinn, der so „harmlos“ wie der Weg von Knospe zu Blüte ist.

Rund zwei Jahrzehnte stand am Schnittpunkt von Stadtmauer und dem Weg vom Bahnhof zur Innenstadt das aus dem 19. Jh. stammende Eichamt leer. Dem im Besitz der Stadt befindlichen, bescheidenen Bau drohte der Verfall. Auf der anderen Seite suchte die gemeinnützige Initiative „Werkzeit“, die junge Leute in Ausbildungsplätze vermittelt und ein handwerkliches „Zwischenpraktikum“ anbietet, geeignete Räume für Gastronomie – Ausbildung und „echte“ Gastronomie in einem.

Eine Nutzung von öffentlichem Interesse, eine zentrumsnahe Lage, direkte Anbindung an die Pulverturmstraße, ein kleiner, verkehrsberuhigter Platz an der Sturmengasse – eine geradezu ideale Kombination. Die Gasträume fanden im Gebäude mit dem Charme der Geschichte Platz. Auf der Stadtmauer, anstelle eines in den 90er-Jahren abgebrochenen Hauses und über noch brauchbaren Lagerräumen, sind Küche und Nebenräume in einem Neubau untergebracht. Ein Lift stellt direkten Zugang zum Lager und von dort zum Lieferverkehr her – unerlässlich, versorgt doch die Küche neben dem Gasthaus umliegende Schulen mit 200 Essen pro Tag.

Beim Eichamt wurde großen Wert auf die historische Erscheinung gelegt, ohne Veränderungen im Lauf der Zeit zu „beschönigen“. So zeigt es sowohl Putz als auch offen gelegtes Bruchsteinmauerwerk. Das einsturzgefährdete Dach wurde dem Vorläufer entsprechend erneuert. Der Innenraum wurde entkernt, das Sprengwerk des alten Daches Bestandteil des neuen Raumes. Schwarz eingefärbter Zementestrich, Putzflächen der Wände in lichtem Grau und eine weiße, fein gelochte Akustikdecke als Abschluss zur gedämmten Sparrenlage bilden die neue Raumschale. Intensivem Ringen der Architekten ist zu verdanken, dass die Lüftung in einem eigenen „Haus im Haus“ verschwindet – schwarz mit glänzenden Lüftungsmündern.

Bestens passen zu dieser modernen Einrichtung die Kastenfenster, die mit großer Mühe den historischen Vorbildern nachgebaut wurden – bis hin zur Kittverglasung. Das neue Innere zeigt sich draußen einzig mit einem großen Fenster, das Bar und Platz miteinander verbindet. Die Möbel wurden, soweit möglich, von benachbarten „Werkzeit“-Werkstätten gefertigt. Betreten wird der Altbau giebelseitig über einen schmalen Zwischenbau – ein Vestibül, das den rechtwinklig anschließenden Küchenneubau auf Abstand hält und selbstverständlich Gelenk und Zugang bildet.

Der Küchenneubau bildet die zweite Platzseite. Zum Platz orientiert und direkt einsehbar sind die Küchenräume. Auf diese Weise entstanden taghelle Arbeitsplätze, sinnvoll organisiert von Anlieferung über kalte und warme Küche, Spülbereich und Ausgabe direkt neben dem Gastraum. Auf der Rückseite der Küche befinden sich Nebenräume und Technik.

Der Küchenneubau gibt sich unverblümt als Neubau. Ein scharfkantiger Kubus, glattflächig die gebürstete und dunkelbraun eloxierte Aluminiumhaut, umlaufend eine „Banderole“ aus Lochmuster, die Fenster und Lüftungsöffnungen integriert, als Ganzes von Boden und Stadtmauer durch eine kräftige Fuge aus zurückliegendem schwarzem Blech abgesetzt. „Keine Karikatur eines Hauses wollten wir auf die Stadtmauer setzen“, so Architekt Markus Mallin, „eher ein abstraktes Objekt“. Und Kollege Christian Zottele ergänzt: „Es sollte schon etwas frech sein, die Kombination von Alt und Neu, keine Anbiederung, eher eine Bereicherung durch Kontrast.“

Man denkt an ein Wechselspiel: Hier die alte Hülle mit neuem Inneren, dort die neue Hülle mit eher konventionellem, jedenfalls gebräuchlichem Inneren. Ist der Kontrast wirklich der von altem und neuem Bauen, oder nicht eher von Architektur und Design? Die Rede vom Neubau als Objekt, die dunkle Geschlossenheit, die Lochleiste – spielt all das nicht auf das seinerzeit sensationell empfundene neue HiFi-Design an? Wie neu ist, was nun auch schon ein halbes Jahrhundert zurückliegt?

Immer dann, wenn die Winkel und Linien nicht ganz passen, wenn Abweichungen sichtbar werden, Geschichte spürbar, wird’s lebendig – beim Flur über der Stadtmauer, beim Giebel des Gastraums, auch bei der neuen Bar, vor allem aber beim leichten Anzug der Dachkante des Neubaus, wodurch technische Aufbauten verschwinden, was aber – absichtlich? – die Gipfelkette des Rätikon hinterm Haus in Szene setzt.

Daten & Fakten

Objekt: Sanierung und Zubau Eichamt
Eigentümer: Amt der Stadt Bludenz
Architekt: zottele . mallin architekturbüro, Bludenz,
Statik: Amiko Bau Consult, Bludenz
Planung: 2011
Ausführung: 6/2012–2/2013
Grundstücksgröße: 438 m²
Nutzfläche: 65 m² (Lokal), 115 m² (Zubau)

Bauweise Eichamt: Mauerwerk Bestand saniert, teilweise Natursteinmauerwerk; Innenwände neu, Gipskarton, Akustikdecke; Nutz-Estrich eingefärbt; Dach: Biberschwanz; Kastenfenster Lärche geölt

Bauweise Zubau: Holzelementkonstruktion, gedämmt 24 cm; Fassade hinterlüftet: Aluminium eloxiert gebürstet; Holzfenster; Holzdecken: Kreuzlagenholz, Warmdach; Dachpappe beschiefert; Küche: Edelstahl; Wand: Schichtstoffplatten; Bodenbeschichtung

Heizung: Fernwärmenetz Feuerstein

Ausführung: Innenausstattung teilweise in Zusammenarbeit mit den Tischler-und Schlosserwerkstätten der Werkzeit; Baumeisterarbeiten: Gebrüder Vonbank, Schruns; Zimmerer: Sutter Holzbau, Ludesch; Fassade Aluminium: Peter, Götzis; Fassade Sanierung Verputz Bestand: Entner, Muntlix; Kastenfenster: Brugger, Gantschier; Holzfenster: Feuerstein, Bludenz; Innenausbau: Rudigier, Silbertal; Böden: Betonboden: Tschanhenz, Bludenz; Elektro: Neyer, Bludenz; Heizung, Sanitär: Stolz, Bludenz; Lüftung: Hörburger, Altach

Baukosten: ca. 700.000 Euro

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

Architektur vor Ort 99
Schauplatz der Architekturführung des vai ist am Freitag, 26. April, IRR+Rhein-Schauen in Lustenau.
Treffpunkt 17 Uhr, Höchster Straße 4, Lustenau
Info: v-a-i.at

Kommentare
Kommentare
Grund der Meldung
  • Werbung
  • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
  • Persönliche Daten veröffentlicht
Noch 1000 Zeichen