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Leben nach dem Beben

(VN) Lech - Jugendliche aus Fuku­shima erholen sich derzeit in Vorarlberg.
Jugendliche aus Fukushima in Lech

Wenn Shiori Itoi durch ihre Heimatstadt geht, betrachtet sie oft nachdenklich die Schiffe. Sie ankern nicht im Hafen, sie liegen inmitten der Trümmer. Minamisoma ist drei Kilometer weit vom Meer entfernt. Aber die Flutwelle, die am 11. März 2011 auch über die Küstenstädte der japanischen Präfektur Fukushima hereinbrach, hat Spuren hinterlassen. Gut sichtbar, auch fünf Monate nach der Katastrophe.

Einladung vom Rotary Club

Die 15-Jährige sitzt jetzt in der Gästestube im Hotel Gotthard in Lech. Gemeinsam mit 20 anderen Jugendlichen aus der Region Fukushima kann sie fast drei Wochen lang in Österreich Urlaub machen. Der Rotary Club hat ihnen die Reise ermöglicht. Etwa Nicole Walch vom Hotel Gotthard, die sie kostenlos ein paar Tage lang in der noblen Herberge einquartiert. Zuvor standen die Japaner schon vor dem Stefansdom, waren in Salzburger Seen baden oder raften in Tiroler Schluchten. Ein Besuch der Festspiele und ein Erlebnistag am Golm liegen noch vor ihnen.

In Lech regnet es in Strömen, die geplante Wanderung wurde abgesagt. Die Jugendlichen scheinen darüber nach dem intensiven Programm der letzten Tage nicht allzu traurig zu sein. Dafür: endlich einmal ausschlafen. Minamisoma ist nur 30 Kilometer vom Kernkraftwerk Fukushima weg. Als innerhalb des Mantels alles außer Kontrolle geriet, war Shiori mit ihrer Familie schon auf der Flucht. Einen Monat lang konnten sie bei Freunden im Landesinneren unterkommen und dort den ersten Schock verdauen. Die Japanerin wohnt mit ihrer Familie nun wieder in ihrem Haus, das intakt blieb. „Aber in unserer Nachbarschaft sind viele Häuser zerstört.“

Shiori spricht leise. Über den Tsunami, Tote und die Angst vor der Strahlung. Die unsichtbare Gefahr ist präsent. „Im Fernsehen wird während der Nachrichten unten die Strahlenbelastung in den einzelnen Städten eingeblendet“, sagt sie. „Wir sind besorgt, weil sie bei uns immer höher ist als woanders.“

Auf der Reise hat sie sich mit Juri Miro angefreundet. Die 17-Jährige war gerade im Turnunterricht am Tischtennis spielen, als das Erdbeben einsetzte. Das Mädchen aus Shinchi lief mit ihren Schulkameraden ins Zentrum. In der Stadthalle fanden sie Unterschlupf. Nach einer Nacht in der Notunterkunft konnte sie nach Hause zurück. Aber es gab keinen Strom, kein Benzin, kaum Essen. Eine Woche lang. Ihr Vater hat durch das Unglück den Job verloren. Das Taxiunternehmen wurde zerstört. „Unsere Schule ist beschädigt. Überall sind Risse in der Wand. Aber man kann sie noch benützen“, erzählt Juri und lächelt schüchtern. Die Tage in Österreich haben ihr gut getan. „Ich fühle mich von innen heraus erneuert. Es gibt immer etwas Neues: Landschaft, Essen, Leute.“ Und noch etwas hebt sie hervor: die Luft. Sauber, unverstrahlt.

“Total gegen Atom”

Klar seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, ist in Japan nicht üblich. Trotzdem sagt Juri bestimmt, dass sie von Atomenergie nichts mehr wissen will. „Die Jugend ist total gegen Atom. Wir wurden zum Opfer der Stromversorgung für Tokio.“ Der in Fukushima produzierte Atomstrom geht hauptsächlich in die Hauptstadt. Dort, wo schon längst wieder das normale Leben seinen Lauf nimmt, während in Fukushima nichts mehr ist wie vorher.

Auch Shitoi erteilt der Atomstrategie ihres Landes eine klare Abfuhr. „Seit dem Abwurf der Atombomben haben wir eine besondere Beziehung zur Atomkraft. Japan hat die Gefahren bereits erlebt. Uns wurde immer versichert, dass man in den AKW alles unter Kontrolle hat. Dass das nicht der Fall ist, war ein großer Schock“, sagt das Mädchen. Es klingt bitter, vor allem aus dem Mund einer 15-Jährigen. (VN)

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