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Latex-Sex und Zwischenrufe

Christa Dietrich über die Hausopern der diesjährigen Bregenzer Festspiele, die gestern über die Bühne gingen - und gemischte Gefühle beim Publikum hervorriefen.

„Jetzt arbeite ich Tag und Nacht an meiner neuen Oper . . . Ich hoffe, es wird eine bedeutende Steigerung gegenüber dem ,Protagonisten´ sein“, schrieb Weill im Jahr 1926, als er „Royal Palace“ schuf, an seine Eltern. Er behielt Recht, auch wenn es lange dauerte, bis man davon Notiz nahm. Bis zum gestrigen Abend. Mit gemischten Gefühlen zwar.

Im Rahmen seines Kurt- Weill-Schwerpunktes hat es der neue Intendant der Bregenzer Festspiele, David Pountney, darauf angelegt, nicht nur den in die Vereinigten Staaten emigrierten deutschen Komponisten (1900Ö1950) wieder zu entdecken, er präsentierte die beiden Jugendwerke erstmals auch als jenes „Geschwisterpaar“, als das sie vorgesehen waren. Thematisch um Selbstfindung, Täuschung und Projektion bzw. Vorstellungen angesiedelt, zeichnen die beiden Einakter auch einen Aspekt des künstlerischen Weges eines Musikers nach, dessen Entwicklung letztlich von den politischen Ereignissen im Deutschland der 30 er-Jahre gestoppt wurde.

Spannendes

Ist der „Protagonist“ noch typisch traditionell verankert (wobei Schönberg und die Wiener Schule stärker zum Ausdruck kommen als der im Zusammenhang mit Weill immer wieder zitierte Busoni), tritt bei „Royal Palace“ schon jener Weill zutage, den das breite Publikum mit der „Dreigroschenoper“ oder „Mahagonny“ zu schätzen gelernt hat. Abgesehen davon, dass Jazz, Ragtime, Tango oder das klassische Chanson, die allesamt in den süffig durchkomponierten Melodien von „Royal Palace“ hervorlugen, natürlich ein sehr hörgefälliges Ergebnis erzeugen, ist beim „Protagonisten“ die Anstrengung des Suchenden noch spürbar. Nach Radikalität wurde getrachtet, Irrläufer im Rhythmus, dramaturgisch nicht immer verankerte Wechsel sind noch spürbar. Allerdings auch ganz wunderbare Verzerrungen, mit denen Yakov Kreizberg am Pult der Wiener Symphoniker sehr gut zu Rande kommt.

Und überhaupt tritt hier viel Spannendes zutage, das die Banalität im Optischen (die beim „Protagonisten“ siegt) erträglich macht. In Zusammenarbeit mit dem Dramatiker Georg Kaiser ist das Werk entstanden. Und heutzutage wird man natürlich enorm an Thomas Bernhard erinnert, wenn eine Schauspieltruppe in ein Gasthaus kommt und dort den Launen betuchter Zuschauer bzw. Auftraggeber ausgesetzt ist. Die Suche nach Wahrhaftigkeit des Protagonisten wird verknüpft mit dem psychologischen Aspekt der Selbsteinschätzung durch die Wertung des anderen, auch durch dessen Begehren.

Groteskes

Was als Pantomime bzw. Tanzpantomime (inklusive Einbeziehung eines Klerus auf Abwegen) angelegt war, verzerrt Regisseur Nicolas Brieger gern ins Groteske. Alle Akteure befinden sich auf der Bühne ebenfalls in Zuschauerreihen, der eigentliche Besucher erlebt die Täuschung sozusagen doppelt gespiegelt. Das geht eine Weile lang gut und bestätigt auch die sichere wie gewitzte Hand des Berliners. Halbstündige Beckenstöße, unterbrochen durch Fellatio und sonstige Turnübungen, sind aber auch dann irgendwann nicht mehr komisch und dem Täuschungsthema nicht mehr dienlich, wenn alle Brüste und Bäuche ohnehin nur aus Latex sind und sich in erster Linie die Männer zum Deppen machen. Beim finalen Mord an der vermeintlich treulosen Schwester, den der Protagonist als große Schauspielkunst erlebt, fühlt man sich erlöst. Sollte uns Weill nicht auch Anregung bieten?

Ganze Arbeit

Bei „Royal Palace“ ist das schon etwas anderes. Die kleine Geschichte um eine Frau und deren selbstverliebte Verehrer (Text: Iwan Goll) wird zur Multimedia-Revue. Leise Bühnenpräsenz, großes Gefühlskino, tolle Suggestivwirkung und kleine Gesten, alles fügt sich hier zu einem Ganzen, kündet von jener Aufbruchstimmung, von der Künstler im Berlin der Zwanzigerjahre beseelt waren, bevor das Ende drohte. Selten so gelächelt, so geträumt, den Kopf so frei bekommen.

Und das schönste überhaupt ist, dass die Sänger den Übergang vom Chanson zur Oper so gut beherrschen. Catherine Naglestads Stimme liefert ein berauschendes Duett mit der Klarheit dieser Bilder, Gerhard Siegel (Protagonist und einer der Verehrer) hat das richtige Timbre für dieses Genre, Peter Bording und Otto Katzameier haben ein tolles Standing, und allesamt sind sie sowieso gute Schauspieler. Solche, die dieses Revuehafte, das die Zeit wie das Leading-Team, das die Stücke diesbezüglich nicht aus der Verankerung reißt, fordert. Und neben dem ideenreichen und Weill-kompetenten Bühnenbildner Raimund Bauer haben die Boys von „fettfilm“ ganze Arbeit geleistet. Viele Bravos und einige Missfallenszwischenrufe im Festspielhaus, wobei offen bleibt, ob sie nicht zu den inszenierten Täuschungen gehören.

Weitere Aufführungen finden am 25. Juli, 1. und 8. August (11 Uhr) sowie am 31. Juli, um 14 Uhr statt.
Dauer: ca. 2,5 Stunden, eine Pause.

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