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Kurz liefert uralte Politik

©REUTERS
Gastkommentar von Johannes Huber. Der Kanzler pfeift auf sein Wahlversprechen, vieles neu und besser zu machen. Siehe ORF: „Beste Ideen“ spielen keine Rolle, es geht einfach nur um Macht.

Am kommenden Dienstag bestimmt der Stiftungsrat, gewissermaßen also der Aufsichtsrat des ORF, wer das wichtigste Medium des Landes in den folgenden vier Jahren führen wird. Entscheidend wird nicht sein, welche Kandidatin, welcher Kandidat die besten Ideen hat. „Es geht darum, wen will Bundeskanzler Sebastian Kurz am Chefsessel des ORF haben“, so Redakteurssprecher Dieter Bornemann in einer Rede vor wenigen Wochen.

Zu dieser Darstellung gibt es keinen Widerspruch. Sie entspricht der Wirklichkeit: Auch 2021 bemüht sich der Kanzler darum, den ORF zu kontrollieren. Genau das ist bei der Bestellung des „geeigneten“ Generaldirektors entscheidend: Über wen lässt sich am ehesten eine willfährige Berichterstattung gewährleisten, die Tag für Tag ein Millionenpublikum erreicht, das dafür auch noch bezahlen muss. Kurz ist diesbezüglich nicht besser und auch nicht schlechter als die meisten seiner Vorgänger, er hat es nur viel einfacher: So dominierend seine Partei in der Regierung ist, so beherrschend ist ihre Stellung de facto auch im Stiftungsrat.

Vor diesem Hintergrund ist ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann Favorit für den Chefsessel. Laut einem „Standard“-Bericht hat er sich bereits mit türkisen Stiftungsräten getroffen; und zwar im Beisein des Kanzler-Vertrauten Gerald Fleischmann in der Zentrale des ÖVP-Wirtschaftsbundes. Andererseits sollte man Amtsinhaber Alexander Wrabetz nicht unterschätzen. Ursprünglich zwar ein „Roter“, hat er schon öfter maximale Anpassungsfähigkeit bewiesen – für die eine oder andere „türkise“ Stimme ist ihm allerhand zuzutrauen.

Genau das führt jedoch zum Punkt: Kurz ist in der Bundesregierung verantwortlich für Medienpolitik. In der Praxis lässt er sie Fleischmann machen, wobei es einzig und allein um Machterhalt bzw. mediale Darstellungen geht, die ihm dienen. Das ist Uraltpolitik. Oder Steinzeitpolitik, wie man in Anlehnung an die Aussage des Kanzlers feststellen könnte, wonach Klimaschutz nicht „zurück in die Steinzeit“ führen dürfe.

Bei der ORF-Führung tun „beste Ideen“ laut Dieter Bornemann nichts zur Sache. Genauso wenig werden es Kompetenz, Eigenständigkeit, Erfahrung etc. tun. Das kennt man. Von der Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Boss etwa, die letztlich ebenfalls unter politischer Verantwortung von Sebastian Kurz erfolgt ist.

Gerade im Medienwandel bräuchte es an der Spitze des ORF eine Person, die nicht verdächtigt werden kann, geschweige denn bekannt dafür ist, sich jeweils Regierenden anzupassen. Gefragt wäre vielmehr eine Person, die eine Ahnung davon hat, wie unabhängiger Qualitätsjournalismus bestehen kann. Das würde vor allem auch für internationale Erfahrung (und zum Beispiel auch gegen Wrabetz) sprechen. Doch das ist ganz offensichtlich nicht gewollt, dazu fehlen bezeichnenderweise die Rahmenbedingungen: Stiftungsrat und Parteipolitik sind so miteinander verwoben, dass das keine Rolle spielen kann. Sebastian Kurz, 2017 mit dem großen Verspechen angetreten, vieles neu und besser zu machen, hat bisher nicht einmal ein Bemühen gezeigt, hier etwas zu ändern. Er wird schon wissen, warum. Es ist jedoch ein Versäumnis, das ihm anzulasten ist.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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